Süddeutsche Zeitung

Neues Album von Feist:Die hinreißendste Stimme des Indie-Pop

Bei Feist wäre man sogar dann verzaubert, wenn sie einem die neuen Nutzungsbedingungen von Google vorsänge. Gott sei Dank aber gibt es ein neues Album.

Von Jan Kedves

Wenn man sechs Jahre lang weg war, überlegt man sich als Musikerin wohl dreimal, wie man neu auf sich aufmerksam macht. Mit einem Tusch, einem "Hello, it's me!", einem verlockend perlenden Akkord? Auf "Pleasure", dem neuen Album der kanadischen Pop-Sängerin Feist, passiert erst mal gar nichts. Denkt man zumindest. Zehn Sekunden dauert es, bis man anfängt wahrzunehmen, dass aus dem Nichts, ganz langsam, ein gestrichener Sext-Akkord anschwillt. In diesen Sekunden hat man die Lautsprecher schon längst hochgedreht, um zu überprüfen, ob da wirklich nichts kommt. Hat sich der Stream aufgehängt, die Nadel in einer Leerrille verirrt? Man rutscht mit dem Ohr immer näher heran. Sodass dann die Gitarrenmelodie, die sich nach scheinbar endlosen 20 Sekunden über den Streicher-Akkord legt, so unvermittelt in den Kopf hineinzupft, dass man fast zusammenzuckt.

Ja, das nennt man wohl die raffinierte Inszenierung eines Comebacks. Leslie Feist, wie die Sängerin bürgerlich heißt, hätte einfach lossingen können, die Fans wären glücklich gewesen. Diese Stimme will ja jeder sofort hören: klar und manchmal kratzig. Feist hat drei Millionen Alben mit dieser Stimme verkauft, sie landete mit ihr in Deutschland in den Top Ten der Albumcharts und brachte - "One, two, three, four" - in einer Folge der "Sesamstraße" Kindern das Zählen bei. Sie schlägt manchmal ins Kieksige um, was besonders dann reizvoll klingt, wenn Feist sich selbst verdoppelt oder verdreifacht, wenn sie mehrere Spuren übereinanderlegt. In dieser Stimme verbinden sich das Mädchenhafte und das Weise. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass einem Feist die neuen Nutzungsbedingungen von Google vorsingen könnte und man wäre selbst davon verzaubert.

Feist will für sich noch einmal ganz neu bestimmen, was Musik für sie ist

Stattdessen kostet sie im Eröffnungs-Song von "Pleasure" - dem Nachfolger von "Metals", das 2011 nicht nur für die New York Times das beste Album des Jahres war - erst mal das Instrumentale aus. Etwa wie die Hand beim Umgreifen auf der Gitarre dieses metallische Schlieren produziert, das oft lauter ist als die Akkorde selbst. Wie dieses Schlieren in Schwingung mit der immer noch leise gehaltenen Sext gerät. Und wie, nach einem weiteren unvermittelten Bruch, ein rockig geschrammelter Refrain losstürmt, in dem Feist fast wie die Britin PJ Harvey klingt. Nicht nur in diesem ersten Song, sondern insgesamt auf dem neuen Album gewinnt man den Eindruck: Feist will für sich noch einmal ganz neu bestimmen, was Musik für sie ist, was sie ihr bedeutet, wie sie mit ihr zu "Pleasure", also Genuss und Freude kommen kann.

Der Unterschied ist jedenfalls frappierend. Hört man zum Vergleich noch einmal "Let It Die", ihr erstes Album von 2004, erschrickt man über diese Lieblichkeit! Über diesen von Chilly Gonzales, ihrem ebenfalls aus Kanada stammenden damaligen Produzenten, im Studio glattpolierten Pop-Schimmer! Ja, das war der Sound der Nullerjahre, der Sound einer Generation, die in den Neunzigern mit Techno aufgewachsen ist und die dann, mit Mitte oder Ende 20, doch noch zum Song fand, zum Folk, oder jedenfalls: zu dem, was man damals, wenn man sonntagmittags mit Freunden in einer großstädtischen Gegend wie Prenzlauer Berg in Berlin oder dem Hamburger Schanzenviertel bei aufgeschäumtem Kaffee zusammensaß, als irgendwie wahrhaftig wahrnahm, gefühl- und gehaltvoll. Die norwegischen Kings Of Convenience, Eirik Glambek Bøe und Erlend Øye mit ihren butterweichen Stimmen, waren Stars, "Quiet is the new loud" war die Devise. Die Musik klingt heute etwas naiv, irgendwie zu unbeschwert. Obwohl sie einem damals wie das genaue Gegenteil vorkam.

Was genau passiert ist in diesen Jahren, vor allem: was bei Feist in der erstaunlich langen Pause passiert ist, die zwischen "Metals" und nun "Pleasure" liegt, darüber lässt sich nur mutmaßen. In einem Porträt im Zeit Magazin konnte man kürzlich den Eindruck gewinnen, sie sei vielleicht schwanger gewesen und habe ein Kind verloren. Was sie im Interview allerdings so nicht bestätigte. Ja, das close reading von "Pleasure", besonders des Songs "I Wish I Didn't Miss You", erlaubt tatsächlich die Vermutung, dass im Leben der Künstlerin etwas verloren gegangen oder gestorben ist. Wobei man mit solchen Interpretationen dann aber doch vorsichtig sein sollte, weil sie die Wahrnehmung des Albums ja insgesamt überschattet.

Feist könnte genauso, als sie nach ihrer "Metals"-Tour nach Toronto heimkehrte und die "rock clock" abschaltete (um vier Uhr morgens ins Bett gehen, bis nachmittags schlafen), in eine tiefe Depression gefallen sein. Sie könnte auch, ohne Depression, angefangen haben, darüber nachzudenken, wie viel Zeit ihr noch bleibt und was sie mit der so anstellen will.

Fast jeder Ton vermittelt: Es kann nicht so weitergehen wie bisher

In der Mediathek der ARD findet man ein Interview mit ihr zu "Pleasure", in dem sie schmunzelnd sagt, sie spiele auf ihrem Album den "Sound der späten Dreißiger" - womit sie ihr Alter meint, zu dem Zeitpunkt, als sie die Songs schrieb. Jetzt ist sie 41. Es ist ja schon ziemlich sympathisch, wenn Künstler aus ihrem Alter kein Geheimnis machen und sich zudem darüber bewusst zu sein scheinen, dass sie ihre Songs doch in erster Linie für eine bestimmte Generation, eine bestimmte Altersgruppe spielen. Vielleicht könnte man sagen, dass Feist ein zweites Mal erwachsen geworden ist. Was man auf ihrem Album hört, vermittelt jedenfalls mit fast jedem Ton: Es kann nicht so weitergehen wie bisher.

In Songs wie "Lost Dreams", "Young Up" oder "Century" (mit Jarvis Cocker) klingt ein verändertes Verhältnis zu Zeit an. Wobei die Texte bei Feist nun auch nichts sind, was man unbedingt bis ins kleinste Detail ausdeuten muss. Sie dürfen ruhig etwas kryptisch bleiben, sie sind letztlich ja vor allem ein Mittel, um eben diese ergreifende Stimme zum Klingen zu bringen. Währenddessen fällt aber musikalisch auf, dass Feist und ihre beiden Produzenten, Dominic "Mocky" Salole und Renaud Letang, geradezu obsessiv hineinhorchen - in das Grundrauschen des Studios, in das Brummen und Surren der Stromkreise, in die Mini-Rückkopplungen zwischen Verstärker und Mikrofon. Auch in die Disharmonien, wenn sich so mancher Gitarrenton fast einen Halbton über den anvisierten Ton wölbt. Alles, was in modernen Studioaufnahmen normalerweise als störend, lückenhaft oder schlicht nicht zur Musik gilt und dann entweder herausgeschnitten oder begradigt wird, lassen sie drin. Und komprimieren den Rest nicht auf Anschlag.

Moderner Chart-Pop funktioniert in der Regel ja nach der Vorgabe, dass jede einzelne Spur sich durchsetzen und deswegen auf maximale Lautstärke hochgepumpt sein muss. Wodurch sich im Mix völlig paradoxe Klangeindrücke ergeben, die man aber längst nicht mehr als paradox wahrnimmt. Weil man sich daran gewöhnt hat, dass die leisen Stimmen schreien und auch in ruhigen Passagen keine Luft mehr bleibt. Feist leistet sich auf "Pleasure" hingegen den Luxus, nicht alles Körperliche, Atmende aus ihren Songs zu tilgen. Weswegen manche Passagen dann eben so leise klingen, dass man sie lauter dreht. Dabei hätte man auch mal genauer hinhören können.

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SZ vom 29.04.2017/doer
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