Süddeutsche Zeitung

Neues Album von Depeche Mode:Eisklarer Minimalismus

Woran hört man eigentlich, dass das neue Depeche-Mode-Album "Delta Machine" neu ist und nicht uralt? Und, falls man es nicht hören kann: Warum sollte das noch mal ein Problem sein?

Von Joachim Hentschel

Woran hört man eigentlich, wenn Musiker älter werden? Schlagen sie die Gitarren gebrechlicher, klappert die Hüfte, wird alles langsamer, faltiger? Die blöde Frage muss vorab geklärt werden, denn wenn Depeche Mode eine neue Platte veröffentlichen, eine Popgruppe, die es seit geschlagenen 33 Jahren gibt, dann wird das todsicher ein Thema. Nicht nur die Tatsache, dass die Mitglieder die 50 überschritten haben. Sondern, ganz allgemein, dass die Zeit nun mal läuft und vergeht, Ideale bringt, wieder wegschwemmt. Und auch die Millionen Ohren altern lässt, die das alles beurteilen sollen.

Anders gefragt: Woran hört man überhaupt, dass die neue Depeche-Mode-Platte neu ist und nicht uralt? Und, falls man es nicht hören sollte: Ist das ein Problem?

Erstens: Um zu entscheiden, ob die Musik auf "Delta Machine", dem 13. Album der Band, nicht auch von 2010, 1995 oder 2003 stammen könnte, bräuchte man Kenntnisse in Phasenphysik und Frequenzmodularanalyse. Insider werden sicher hier einen Schritt zurück zu den Achtziger-Wurzeln, dort einen Anflug von visionärem Wuseln, links drüben eine wildlederne Neunziger-Reminiszenz entdecken.

Aber das ändert nichts daran, dass Depeche Mode seit rund 23 ihrer 33 Jahre im Großen und Ganzen das Gleiche spielen. Chemische Nachtliebeslieder, die zwischendurch priesterlich beben oder flackern wie Krankenhaus-Neonröhren. Und, zweitens: Nein, das ist kein Problem. Das nennt man Stil, und wenn dieser Stil einem derart konsequenten Programm folgt wie bei Depeche Mode, werden sich darüber nur Leute aufregen, die keine Ahnung vom Wert ästhetischer Verbindlichkeit haben.

Mechanik im Pop

Darum ging es ja, als die Gruppe in den frühen Achtzigern begann, im herrlichen Superchaos nach Punk: die Muskelkraft, den Zufall aus der Musik zu verbannen, der Mechanik und Reproduzierbarkeit von Kunst auch im Pop zu ihrem Recht zu verhelfen. Der Alterslosigkeit, wenn man so will.

Dass sie dann um 1990 auch Gitarren, Blues und Jesus Christus ins Konzept nahmen, war ein spirituelles Update, zur richtigen Zeit: So großartig die Gruppe schon früher die kommunistische Bilderwelt und die Sozialkälte des westlichen Kapitalismus fusioniert hatte, so gut gelang nach der Wende die sanfte Umpositionierung.

Und während die Erbsenzähler in den Foren debattieren, ob es auf dem neuen Album nun etwas lauter zischt oder zongt, fiepst oder hupt, ob man hören kann, dass der Sänger Dave Gahan mit dem Rauchen aufgehört hat (kleiner Scherz, hat er gar nicht) - fragen wir doch lieber, was denn dieses Mal so die Höhepunkte sind.

"My Little Universe" zum Beispiel, eine kleine, eisklare, minimalistische Übung, die vielen alten Techno-Bunkerhockern Tränen der Rührung in die Augen treiben wird, von Gahan mit aufgestellten Brusthaaren gesungen, an einer Stelle kurz zerrissen von einer durch den Song ziehenden Partygesellschaft. Oder "Soft Touch/Raw Nerve", einer Art Kinderlied für elektrische Babys, doch noch Rock'n'Roll, Arm in Arm mit dem berühmten Duracell-Hasen. "Alone": ein herrlich hingeschlamptes Selbstzerfleischungsstück für Beichtstühle und zerwühlte Ehebetten.

Gahans katholische Feurigkeit droht zwar manchmal außer Kontrolle zu geraten, dafür belohnt er den Hörer mit Aphorismen, die ab sofort auch im Alltag einsetzbar sind, im Kindergarten, in der Metzgerei. Zum Beispiel dem, dass zwischen Schwarz und Weiß immer noch eine dünne graue Linie verläuft.

Abschließendes, felsenfestes Urteil: Die 13. Depeche-Mode-Platte ist nicht ganz so gut wie die siebte, besser als die zehnte und zwölfte, aber auf Augenhöhe mit der neunten. Oder umgekehrt. Wer keine Karte für die längst ausverkauften Sommer-Riesenkonzerte mehr bekommen hat, braucht nicht traurig sein, denn "Delta Machine" gibt es in jedem Elektromarkt, ein hervorragendes, demokratisches Durchhalteprodukt. Und wenn die Freunde spotten und sagen, Depeche Mode, das sind doch die in den schwarzen Lederwurstpellen, dann darf man entgegnen: Nein. Diesmal tragen sie weiße Anzüge.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2013/kath
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