Süddeutsche Zeitung

Neues Album von Bonaparte:Wie ein Berlin-Popstar der Stadt ein Denkmal setzt

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Berlin hat eine neue, frische, rundum den Merkwürdigkeiten der Stadt angepasste Hymne. Sie heißt "Mañana Forever" und wird gelallt, gekrächzt, gegrölt. Die Band Bonaparte würdigt mit ihrem dritten Album die Stadt, die einfach nichts auf die Reihe kriegt.

Jan Kedves

Berlin hat ja schon so einige Hymnen gesehen: "Pack die Badehose ein" von Cornelia Froboess, "Heroes" von David Bowie, "Auf'm Bahnhof Zoo" von Nina Hagen und, etwas aktueller: "Dickes B." von Seeed. Einige dieser Hymnen strahlten eher ins Regionale, andere weit darüber hinaus. Jetzt hat Berlin eine neue, frische, rundum den temporalen Merkwürdigkeiten der Stadt angepasste globale Hymne bekommen. Sie heißt "Mañana Forever", findet sich auf dem dritten Album der Band Bonaparte, stammt also aus dem für die Hauptstadt so vitalen Kontext der tage- und nächtelangen Technofeierei, und wird gesungen - oder man sollte besser sagen: gelallt, gekrächzt, gegrölt - von Tobias Jundt.

Man kennt den aus der Schweiz stammenden Bandleader, seit er um 2006 herum anfing, ausartende Punkkonzerte in der Bar 25 zu spielen, jenem sagenumwobenen Techno- und After-Hour-Schuppen am Spreeufer zwischen Kreuzberg und Friedrichshain, dessen Betreiberkollektiv bis zur Schließung im Herbst 2010 dem monströsen Stadtentwicklungsprojekt Mediaspree trotzte. Man darf ruhig sagen, dass Jundt der erste richtige Berlin-Popstar seit Peaches ist, und mit "Mañana Forever", einer polternden, Gitarren-quietschenden, halb auf Spanisch, halb auf Englisch gesungenen Wüstenrocknummer, hat er der Prokrastination, also der Lebenskunst des ewigen Aufschiebens, ein Denkmal gesetzt.

Was kann einem zu diesem raffinierten Song nicht alles einfallen! Natürlich, der Flughafen: Seine Fertigstellung scheint sich in einem ewigen Morgen abzuspielen. Das Stadtschloss, die Verlängerung der Stadtautobahn: für immer verschoben? Einen Versuch, dieser anscheinend speziell Berlinerischen Nichteinhaltung zeitlicher Prognosen sprachlich Herr zu werden, stellte jüngst die Einführung des Futur III durch den Satire-Nachrichten-Blog "Der Postillon" dar. Ein musikalischer Versuch, der sich dem Thema von der anderen Seite nähert, nämlich dem Präsens, ist "Mañana Forever": Die Abgeschlossenheit des Heute soll auf ewig suspendiert werden, die Sorgen von Morgen dürfen die Party im Hier und Jetzt nicht bedrohen.

Fantasien über innerstädtische Realitäten

Kurz: Dieses Lied, das eindeutig den Höhepunkt des ansonsten nicht so bemerkenswerten neuen Bonaparte-Albums darstellt, bringt das internationale Lebensgefühl der Stadt auf den Punkt - wohlgemerkt das internationale, denn es hat ja, seien wir ehrlich, doch weit weniger mit den innerstädtischen Realitäten zu tun als mit den Fantasien darüber. Dass der Flughafen nicht fertig wird, liegt zumindest bestimmt nicht daran, dass die Arbeiter dort von "werde fertig wären gewesen" reden und dabei Bonaparte pfeifen. Und das Partykontinuum der Stadt ist momentan sogar hochgradig bedroht dadurch, dass die GEMA fürs nächste Jahr ihre frechen Tariferhöhungen für Clubs plant und bislang auch keine Anstalten macht, an deren Inkrafttreten irgendetwas zu verschieben.

All das braucht Jundt nicht mehr zu kümmern, er feiert nur noch selten in Berlin selbst, sondern tourt als inoffizieller Botschafter der Stadt vor allem durchs Ausland. So hört man, er sei in Frankreich mittlerweile am erfolgreichsten (was auch ein bisschen am Namen seiner Band liegen mag). Überall dort jedenfalls, wo er mit seinem Animationsteam auftritt, bewirbt er einen wilden und touristisch sehr wirksamen Mythos. So sagte er vor kurzem in einem Interview auf Spiegel Online, angesprochen darauf, wie er es auf Tour mit Drogen halte: "Wenn ich auf Tour bin, sind die Drogen zu Hause, haben sturmfrei und posten die ganze Zeit Aktfotos von sich." Dieses Zuhause ist Berlin.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2012
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