Neues Album "Thank You":Meghan Trainor und die Champagner-Probleme

Lesezeit: 3 Min.

Ein Seminar zur Selbstliebe in 11 Lektionen: das neue Album der Grammy-Gewinnerin Meghan Trainor. (Foto: Alice O'Malley; Sony Music; Bearbeitung SZ.de)

Beinahe könnte man das neue Album der Grammy-Gewinnerin als feministisches Statement verstehen. Aber nur fast.

Off the Record: die Pop-Kolumne von Julian Dörr

"We learned more from a three minute record than we ever learned in school", sang Bruce Springsteen 1984 . Und das stimmt auch heute noch. Pop kann uns die Welt erklären - in unserer neuen wöchentlichen Musik-Kolumne.

Brüste sind jetzt wieder der neue Hintern. Das ist nicht die zentrale, aber vielleicht die popkulturell relevanteste Erkenntnis aus dem neuen Album von Meghan Trainor. Schon im Eröffnungsfunk von "Watch Me Do" sprechsingt die 22-Jährige: "I ain't saying I'm the besteses but I got nice curves, nice breasteses." Ich bin nicht die Größte, aber ich hab schöne Brüste. Im Pop, der ja von der weiblichen Anatomie beständig fasziniert bleibt, ist das erst mal keine außergewöhnliche Aussage. Wäre da nicht "All About That Bass" - Meghan Trainors bislang größter Hit.

Kurzer Sprung zurück in den Sommer 2014, der Sommer der Hintern. Nicki Minaj hypnotisiert mit ihrem Po Anacondas, J Lo und Iggy Azalea schütteln und reiben ihre Bootys im Wettstreit aneinander. Und eine gerade dem Teenageralter entwachsene Songwriterin aus Nantucket klettert mit einer Liebeserklärung an ihr wohlgeformtes Hinterteil auf Platz eins der weltweiten Charts. "All About That Bass" war clever, selbstironisch und im Vergleich zu den phallischen Frucht- und Massageöl-Orgien der oben genannten Damen beinahe züchtig. Vor allem aber sollte "All About That Bass" eine Selbstermächtigungsgeste sein: Du bist schön, auch wenn du Plus Size trägst.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Seit jenem Sommer ist viel passiert. Aus Meghan Trainors Charterfolg wurde eine Popstarkarriere. Deren bisheriger Höhepunkt: Der Grammy für die beste Newcomerin im vergangenen Februar. Nun erscheint ihr zweites Album "Thank You" und die Augen und Ohren der Popwelt sind auf sie gerichtet. Was kommt nach Nummer-1-Hit und Grammy? Zunächst einmal mehr vom Bewährten. "Thank You" ist ein Seminar in Selbstliebe, in 11 Lektionen hämmert Meghan Trainor ihren Hörern eine Botschaft ins Hirn: Du bist stark. Du bist schön. Du bist sexy.

Alte Geschlechterrollen in neuen Melodien

"Shh, be quiet, I've been on a low-hater diet." Halt die Klappe und hör zu, ich bin auf Hater-Diät. So beginnt die Platte und so lautet auch ihr Motto, das von Song zu Song nur minimal variiert. Kostprobe? "Who's that sexy thing I see over there? / That's me" ("Me Too"), "All my girls raise your hand / If you don't need a man" ("Woman Up"), "I don't need your hands all over me/ If I want a man then I get a man" ("No"), "I love me" ("I Love Me"). Subtil ist anders.

Allerdings verfehlt die Hartnäckigkeit nicht ihre Wirkung. Denn beinahe lässt man sich von Meghan Trainors Jeder-Mensch-ist-schön-Masche einlullen. "Thank You" könnte ein feministisches Statement sein. Wäre da nicht diese Retro-Heimeligkeit, die einem im Grunde auch nur alte Geschlechterrollen in neuen Melodien verkauft.

Album von Jamie-Lee Kriewitz
:Die Mär vom seltsamen Popmädchen

ESC-Kandidatin Jamie-Lee Kriewitz klingt auf ihrem Debütalbum wie Miley Cyrus. Zumindest wie ihre kleine Schwester, die sich noch nicht traut, nackt auf der Abrissbirne zu reiten.

Albumkritik von Johanna Bruckner

Sicher, Meghan Trainor hat eine Agenda - und die ist nicht die schlechteste. Gerade hat sie das Video zu ihrer neuen Single "Me Too" sperren lassen, weil jemand ihre Hüften mit Photoshop zu sehr verschmälert hatte. Einerseits. Andererseits hat Meghan Trainor nicht nur musikalische Einflüsse, sondern auch ein paar lebensweltliche Vorstellungen aus den Fifties und Sixties in den zeitgenössischen Pop gerettet. "Dear Future Husband" von ihrem Debütalbum war kaum mehr als ein Rezept für die glückliche, heteronormative Ehe. Und auf "Thank You" wünscht sie sich in "Kindly Calm Me Down" den starken Retter, der sie wie ein Medikament wieder gesund macht: "I could use some saving / Your love, so strong / Like a pill I take it".

Bei aller Selbstliebe, aus Geschlechterrollensicht ist das ziemlich retro. Auf "Thank You" sind diese Klischees nur schwerer zu entdecken. Die Songwriterin Meghan Trainor hat ihren Stil aufgefächert. Klar, es gibt immer noch viel Doo Wop und schmissige Girl-Band-Chöre ("Dance Like a Daddy"). Auf "Thank You" zeigt sich aber auch Meghan Trainors Liebe zur karibischen Musik - wie im Calypso-Reggae von "Better" - und zum Hip-Hop - wie in der wirklich dreisten Beyoncé-Single-Ladies-Kopie "Woman Up".

Am Schluss ist das alles auch irgendwie okay. Verunsicherte Teenager auf der ganzen Welt wird es erreichen. Und dass da eine wertkonservativere Generation heranwächst, liest man auch allenthalben. Meghan Trainor ist sich ihrer priviligierten Position bewusst. Sie könne sich nicht beschweren, singt sie im letzten Song "Champagne Problems": "I got champagne problems, champagne problems / Let's pour a glass and drink up all my champagne problems". Genau diese Champagner-Probleme hat man auch mit Meghan Trainors zweitem Album. Knallt erstmal, schäumt ein bisschen und dann ist schnell der Pep raus.

Meghan Trainor: "Thank You" (Sony Music)

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Neues Album von A$AP Ferg
:Das Streben nach Goldzähnen

Vom Ghetto in die Charts: Der New Yorker Rapper A$AP Ferg will uns weismachen, dass der amerikanische Traum noch funktioniert.

Off the Record: die Pop-Kolumne von Julian Dörr

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: