Süddeutsche Zeitung

Neues Album: Herbert Grönemeyer:Schffsvrkhr

Lesezeit: 3 min

Karies auf der Seele und Konsonanten wie kleine Winterkartoffeln: Herbert Grönemeyer hat eine neue Platte und stellt selbst die entscheidende Frage: Was soll das denn jetzt?

Alex Rühle

Herbert Grönemeyers Markenzeichen ist dieses konsonantische Singen: Vokale möglichst kurz hervorstoßen, Konsonanten in all ihrer verdammt ehrlichen Härte ausstellen. So dass ihm die Wörter beim Singen wie kleine Winterkartoffeln aus dem Mund kollern: nahrhaft, hart und erdverbunden. Wobei das bei ihm anders klingen würde, eher so: Hartmwind. Nll Kmprmsse!

Praktisch an diesem Hackdeutsch ist, dass man darin ohne Weiteres "Gott" auf "Boot" reimen kann. Schlecht daran ist, dass sich schon nach den ersten Zeilen der neuen CD "gefüllte Segel" in "gefüllte Säckl" verwandeln, was dem Pathos doch ein wenig abträglich ist, gefüllte Säckl klingen nämlich nach schwäbischen Krämerseelen statt nach dem cinemascopisch weiten Pophimmel, in den alle Grönemeyer-Songs zielen, allen voran dieses erste, das dem Album seinen Titel gibt: Schffsvrkhr, pardon, Schiffsverkehr.

Passend zum Titel hat Grönemeyers Plattenfirma vor ein paar Tagen 200 Journalisten zu einer Schifffahrt durch Berlin eingeladen, auf der dann das Album vorgespielt wurde. Jetzt gibt es 200 Texte, in denen Berliner Stadtimpressionen gegen die Texte des Albums, Grönemeyers professionell sympathischen Auftritt und den mal respektvoll geraunten, mal ironisch zwinkernden Hinweis geschnitten werden, das Album sei in den Abbey Road-Studios (Beatles), im New Yorker Electric Lady (Hendrix), den Berliner Hansa Tonstudios (U2) und dem Mono Music Studio, das dem Ex-Abba Benny Anderson gehört, entstanden.

Um es deutlich zu sagen: Herbert Grönemeyer ist einer der nettesten Pfundskerle im ganzen Land. Er unterstützt vernünftige Projekte, wofür er keinerlei Häme, sondern schlichtweg Respekt verdient. Und sein Grönland-Record-Label ist eines der spannendsten Musikprojekte unserer Tage.

Herbert Grönemeyer gehört seit 30 Jahren zur popkulturellen Hintergrundstrahlung dieses Landes, ja seit seinem Album Mensch, auf dem er den Tod seiner Frau verarbeitet hat, ist er zum Ecce Homo des deutschen Pop, zur unantastbaren Ikone geworden. Vielleicht hatte deshalb keiner seiner Freunde den Mut, ihm zu sagen, dass das neue Album nix taugt.

Mit dem Titelsong Schiffsverkehr geht er erstmal mit vollen Segeln beim Deutschrock vor Anker. Gitarren in Nietenhosen, kernig dickes Schlagzeug, Synthi, alles auf die eins, und der Text wird rausgepresst, als würde er die Stimmbänder nachts in einer Roth-Händle-Packung einlegen. Alles in allem klingt das, als gehe Grönemeyer als Marius Müller-Westernhagen in den Fasching.

Eigentlich ist das ganze Album dann eine Art musikalischer Faschingsumzug. Kreuz meinen Weg unterlegt das ganzheitliche Grönemeyer-Pathos mit dem massiven Druck von Rammstein. Ansonsten gibt es Gipsy-Kings-Klatschen, Salsarhythmus, Gunter Gabriel, Rock Symphonies, einige Songs schunkeln dahin wie Circus Krone im Nachmittags-ZDF, und jetzt mal alle mitsingen: "Monotonie / ist wie ein Schuss ins Knie / und weiter bringt sie einen nie".

Viele Zeilen klingen in ihrem Durchhaltewillen, als seien sie aus einem Motivationsseminar stramm durchmarschiert in das jeweilige Lied. Dann wieder sollen mit dem Grübeldübel die ganz dicken Bretter gebohrt werden. Auf dem Promo-Schiffsausflug sagte er auf die Frage, welche Erfindung der Welt noch fehle: "Ein selbst textendes Computerprogramm".

Seltsam, dabei klingt das Album doch haargenau nach solch einem lyrischen Autopiloten: "Die Welt ist forsch und auch gemein / Das Leben könnt nicht besser sein."Oder das hier: "Ohne Regel kein Verkehr / Es kommt ein Licht von irgendwoher." All das singt Grönemeyer, ohne auch nur einmal mit dem Geklimper zu zucken. Als Wilhelm-Busch-Paraphrase würden solche Reime ja durchgehen, wenn sie aber im Brustton männlicher Überzeugung daherkommen, weiß man, warum mittlerweile von Wiglaf Droste bis Hagen Rether fast alle Kabarettisten eine Grönemeyernummer im Programm haben.

Zwischenrein gibt es drei Balladen, um die ist man dankbar, denn da ist Grönemeyer bei sich, zumindest zu Beginn, wenn er am Klavier die eingängig-schlichte Melodien hinblättert. Aber dann hebt das jedes mal ab, als hätten er oder sein Produzent einen emotionalen horror vacui, los, Geigen dazu, Terz drüber singen, jetzt pack da mal noch ein Pfund Celli drauf, und am Ende hat sich das derart hochgeschraubt, als würde ein Kamerateam im Hubschrauberrundflug noch mal über die Melodie drüber. Nach der dritten instrumental überzuckerten Ballade fühlt man sich, als hätte man Karies auf der Seele und am Ende drängt sich geradezu schmerzlich die Frage auf, die sich laut Grönemeyer im Interview mit der Zeit "alle meine Hörer stellen müssen, wenn das neue Album draußen ist: Was soll denn das jetzt sein?"

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Quelle:
SZ vom 18.03.2011
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