Wer erinnert sich noch an die "Männerbewegung"? An Robert Bly und seinen mit Camille Paglia, C.G.Jung und Archetypen-Astrologie aufgeblasenen Bestseller "Iron John" (dt.:"Eisenhans")? Damit wollte man zu Beginn der neunziger Jahre das - auch damals schon - unattraktivste Wesen der westlichen Welt, den weißen, männlichen Amerikaner aufpeppen, so als wäre er selber eine dieser hippen Minderheiten. Mit Mythologie, obskuren Traditionen und minoritären Ritualen.
Guns N' Roses haben ein neues Doppelalbum - gespickt mit allem, was in den letzten zwanzig Jahren von Rock-Abweichlern hervorgebracht wurde.
(Foto: Foto: dpa)Die ganze Sache war aber zu reaktionär für alle, die an Minderheitenkultur interessiert waren und zu ausgedacht und mädchenhaft für die echten, hässlichen, weißen Männer.
Von Bly liest man seitdem hin und wieder ein naturverbundenes Gedicht im New Yorker und erfährt, dass er Obama unterstützt. Zu seinen Fans gehörte Sinead O' Connor, die sich ja für jeden Religionsstifter begeistern konnte, und der als Doors-Biograph bekannt gewordene Musikjournalist Danny Sugerman. Der schrieb ein Buch über Guns N' Roses und fand in Axl Rose den krächzenden Schamanen, Über-Frontman und wahren eisernen John unserer Jetztzeit. Sinead pflichtete ihm bei.
Immer neue Besetzungen
Über 15 Jahre später: Das Projekt Guns N' Roses ruhte und köchelte, mehr als doppelt so lang wie es die Beatles überhaupt gab, auf sehr kleiner Flamme. In dem Maße, in dem die altgedienten Mitglieder und liebenswerten Rocktrottel um Axl Rose, all die Leute mit Jungstoilettenspitznamen wie Izzy und Slash, die Band verließen, schwollen Gerüchte um immer umfangreichere und ehrgeizigere Mehrfachtonträgerprojekte.
Zugleich entstanden immer neue Besetzungen, die zuweilen live auftraten und nach dem Prinzip des panischen Bundesligamanagers zusammengestellt waren: Für jeden abgehauenen Leistungsträger mindestens drei Ersatzleute engagieren.
Hier griff aber auch die Methode, mit der ein Präsidentschaftskandidat eine in sich zu diverse Partei und Wählerschaft ruhig zu stellen versucht: Die meisten neuen Funktionsträger mussten sich nicht nur dem Projekt einer Serie von, je nach Quelle, drei oder vier Doppel-CDs zur Verfügung stellen, vor allem musste jeder Einzelne eines der vielen kulturellen Segmente vertreten, in das die um 1991 noch homogene Guns N' Roses-Klientel inzwischen zerfallen war.
Mit anderen Worten: Auch "Chinese Democracy", das nun erscheinende erste Doppelalbum dieser Serie muss eine einst mehrheitsfähige, dominante kulturelle Kategorie rekonstruieren: das Mainstream-Rock-Album. Nur, dass Guns N' Roses nicht den Trick des Männermythologen versuchen, der einst hegemonialen Mehrheit eine Minderheitenidentität zu bieten. Sie versuchen die Volkspartei des Mainstream-Rock per stilistischer Akkumulation neu zu begründen.
Folglich erklingt hier alles, was die letzten zwanzig Jahre von Rock-Abweichlern hervorgebracht wurde: neurotischer Rock-Techno à la Nine Inch Nails, sentimental-tiefes Greinen aus verletzter Singersongwriterseele, Beats mit Breaks, Sound-Effekte, die ans Naturschöne gemahnen (Winde, Wellen), auch dunkle, böse und alternative Metal-Spielarten in homöopathischen Dosen, dazu prominente Gitarrensoli aller Provenienz, vom waidwunden Aufheulen des klassischen Soft-Metal bis zum experimentellen Gehacke eines zeitweiligen John-Zorn-Kollaborateurs namens Buckethead.
Naturwüchsige Blödheit
Mit diesen Tributzahlungen an ein, selbst im durch Mehrheitlichkeit bestimmten Bereich des Rock auseinander gelaufenes Publikum verfährt Axl Rose aber relativ schlau. Er türmt nicht einen Matsch aus allem auf, sondern verteilt die Elemente auf unterschiedliche Produktionsparameter und musikalische Funktionseinheiten.
Hier klingt eine ansonsten überwiegend sentimentale Stelle dreckig, dort wird ein Solo mit Lärm aufgefüllt, hier zischelt ein ungewohnt digital klingelnder Beat unter einer Holzfällergitarre. Ja, unser Schamane: von Eklektizismus und Mittelbarkeit umstellt. Alles, was ihm gegen diese selbstangerichteten Postmodernismus bleibt, ist sein Krächzen, sein Pathos, ja seine naturwüchsige Blödheit.
Zum Beispiel in politischen Dingen. In dem Punkt sind das ja alles sehr herzige Typen. Buckethead zum Beispiel tritt grundsätzlich mit einem Eimer auf dem Kopf auf. Der Eimer trägt ein Logo der Fastfood-Firma Kentucky Fried Chicken. Darauf hat er das Wort "Funeral" geklebt, so protestiert er gegen Legebatterien.
Rose wiederum hat vor Jahren, als er mit seinem Comeback-Album schwanger ging, den Scorsese-Film "Kundun" gesehen. Es hat ihn dabei "irgendwie genervt", wie die Chinesen mit dem Dalai Lama umgingen. Er wolle zwar "nichts gegen China sagen", so Rose bei der auch schon ein halbes Jahrzehnt zurück liegenden Uraufführung des Titelsongs von "Chinese Democracy", aber wir sollten doch froh sein, in Amerika in einer Demokratie zu leben. Ja, unser Dalai Lama!
Nicht nur, dass gut fünfzehn Jahre nachdem der letzte Synthesizer-Knecht und die letzte postmoderne Schrillness-Darstellerin sich für den freundlichen, professionell Reinkarnierten öffentlich eingesetzt hat, nun auch noch Axl Rose angeschietert kommt und sein gedämpft fauchendes Organ für den großen Integrator aller westlichen Bauchgefühle erhebt: Nein, er möchte sich trotzdem auf keinem Fall in die Nesseln eines allzu deutlichen Statements gegen die Volksrepublik setzen. So weit ist es gekommen, mit den Schamanen.
Hymnen ohne Republik
Ihr ganzer körperlicher und immer an die Grenzen des Diskant gepeitschter Einsatz für das Genre der Rock-Hymne soll auf keinen Fall weiter gehen als zu einem Appell, die eigene politische Zufriedenheit zu mehren. Kein Wunder, dass die klingende Summe dieser polystilistischen Versammlung mainstreamfähiger Generalstände eigentümlich leer tönt. Dies sind die aufwändigen Hymnen einer Republik, der die Bevölkerung abhanden gekommen ist.
Einst waren es die Linken, die Alternativen, die Minderheiten, die Independent-Geschmäckler und Selbstverwirklicher, die sich in immer winzigere kulturelle Nischen hineinzankten. Wenn es dagegen heute irgendwo im weiten Rund der Pop-Musik noch einen Mainstream gibt, dann bei den Radioheads dieser Welt und ihrer Rekonstruktion des ewig empfindsamen, mittelständischen Kinderzimmers der Indie-Kultur.
Jetzt hat Jahre später die große Politik nachgelegt und genau diese, nicht der Einigung fähigen Kulturen geeint - die USA haben einen Indie-Präsidenten. Die Herstellung dieser Einheit in einer Welt zersprengter, narzisstischer Individualhanseln ist nicht nur eine große Leistung, sondern vielleicht auch ein Zeichen für ein Ende der kulturellen Gewinnversprechen für Narzissmus und Distinktion.
Auf der rechten Seite des Spektrums, wo früher immer die Einheit war, ist sie zerfallen. Neoliberale Deregulierer und religiöse Fanatiker können nicht mehr zueinander finden. Dem einsamen, männlichen Kehlkopf-Authentiker, der früher immer die Wahl hatte, sentimental heimzukehren oder bombastisch zum bitter gewissenlosen Loner zu werden, sind beide Optionen abhanden gekommen - und vor allem der Zusammenhang zwischen beiden: zwischen der Ein-Mann-muss-tun-was-ein-Mann-tun-muss-Ethik von Wall Street und Western und dem Thanksgiving-Dinner mit Tischgebet. Das Haus der Eltern ist gepfändet, in der Wüste steckt eine panisch gewordene Panzerbesatzung und der Loner der Wall Street ist eine peinliche Figur geworden. Doch haben Guns N' Roses dafür die richtigen Klänge gefunden?
Wiederbelebungsversuch eines Rock-Ideals
Nein, das haben zuletzt Metallica. Die machen einfach weiter, was sie immer gemacht haben, seit sie sich vor 20 Jahren vom Mainstream absetzten, den damals Leute wie Guns N' Roses beherrschten. Diesen nun auch seit langem durchgesetzten Sound besetzten Metallica erfolgreich mit Bildern vom in der irakischen Wüste stecken gebliebenen Krisenamerika. Ihr viel metalleneres, unheimlich untot klingendes Krächzen entspricht dem heutigen Empfinden der Republikaner von morgen.
Dagegen ist es direkt sympathisch, wie Axl Rose versucht, ein noch viel älteres Rock-Ideal wiederzubeleben. Ein Ideal, in dem Hymnen, Illusionen, ja in Spurenelementen sogar altgegenkulturelles Gedankengut noch eine Rolle spielt. In seinen brütenden Jahren wollte er womöglich Größeres, als nur den neuen Männertyp der amerikanischen Konservativen rekonstruieren; es sollte auch noch einen Beigeschmack von Jim Morrison geben.
Dafür fehlt es Rose nicht nur an Ausstrahlung, es gebricht ihm erst recht an der sexuellen Ambivalenz, die diese Rolle selbst dann noch erfordert, wenn sie nur zitiert wird. Es ist ein Trümmerhaufen der Ambitionen geworden. Aber in diesen Ruinen spazieren zu gehen ist naturgemäß viel interessanter als es ein lebensfähiges, republikanisches Rock-Album gewesen wäre.