"We learned more from a three minute record than we ever learned in school", sang Bruce Springsteen 1984 . Und das stimmt auch heute noch. Pop kann uns die Welt erklären - in unserer wöchentlichen Musik-Kolumne .
Neil Young ist auf den Frosch gekommen. Und auf die Krähe. Und auf das Pferd. Ja, wenn man sich die neue Veröffentlichung des kanadischen National-Folkies anhört, muss man davon ausgehen, dass sich Neil Young einen ganzen Zoo zugelegt hat. Kürzlich ist "Earth" erschienen, ein Live-Doppel-Album, aufgenommen im vergangenen Jahr, auf Tour mit seiner neuen Band Promise of the Real. Wobei man "live" im allerwörtlichsten Sinne interpretieren muss. Denn zwischen den Songs von "Earth" fleucht und kreucht so allerlei lebendiges Getier.
Eine Ode an die Natur - wider die menschliche Zerstörungswut
Hier muht eine Kuh zwischen Gitarren-Fuzz und Trommelwirbel, dort zirpen die Zikaden zur rhythmisch zuckenden Hi-Hat, da gleitet das Gejohle des Publikums sanft ins Geschnatter der Gänse. Und immer wieder brummen die Bienen. Bienen, das ist schnell klar, haben es Neil Young besonders angetan. Vielleicht weil sie sich so gut als Wappentiere seiner aktuellen Agenda eignen. Denn wenn die Bienen sterben, stirbt auch der Mensch. Hat Einstein gesagt. Oder so. Neil Young jedenfalls geht es ums Ganze. Die Rettung der Menschheit vor dem Gift des Großkapitalismus. Trump, Monsanto und Starbucks. Drunter macht er es im Alter auch nicht mehr. Weshalb "Earth" zweifellos als ein Weckruf zu verstehen ist, eine Ode an die Natur - wider die menschliche Zerstörungswut.
Wie die Songs auf dieser Live-Sammlung ist auch dieses Thema nicht ganz neu. Es ist vielmehr der rote Faden, der sich durch das Werk Neil Youngs zieht. Wenn nun auf "Earth" alte Klassiker ("Vampire Blues") und neue Songs ("Seed Justice") zusammenprallen, offenbart sich einmal mehr, welch gespaltenes Verhältnis dieser Mann zu Fortschritt und Technik hat. Schon 1970, auf "After the Goldrush", sang Neil Young davon, dass Mutter Natur auf der Flucht sei. Natürlich ist dieser Song auch heute dabei - mit aktualisierter Textzeile: "Mother nature on the run in the 21st century". Rührend müht sich Young am "Hippie Dream" ab: Er wettert gegen den Saatgutkonzern Monsanto ("The Monsanto Years") und kämpft für den kleinen amerikanischen Farmer ("Seed Justice"). "Too big too fail, too rich for jail" heißt es an anderer Stelle über die Gier der Banker.
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"Earth", das ist also eine Art Best-of-Waldschratrock. Und ob dazu nun Promise of the Real im Hintergrund rumpeln oder doch die alten Crazy Horse - das ist beinahe egal. Wer aber nun Neil Young als zauseligen Hippie-Prediger in den Altersstarrsinn entlassen möchte, der verdrängt eine nicht minder wichtige Seite an Youngs Künstler-Persona. Denn so sehr er sich auch nach der guten, alten, unberührten Zeit sehnt, mit mindestens ebenbürtiger Begeisterung wirft er sich in ausgetüftelte Pionier-Projekte. Vor ein paar Jahren baute er seinen Lincoln Continental zu einem Prototypen um, der ausschließlich auf erneuerbaren Energien lief. Und weil ihn die mindere Qualität von Musik im MP3-Format störte, entwickelte er einen eigenen Player, um Songs verlustfrei abzuspielen.
Neil Young hat es geschafft, über die vielen Jahrzehnte seiner Karriere relevant zu bleiben. Das liegt auch an dem Zwiespalt, der im Zentrum seines Werkes steht - ein Konflikt, der immer wieder neu ausgefochten werden muss. Zwischen den Versprechungen des Fortschritts und seinem Zerstörungspotenzial. Einen Zwiespalt, den wir alle in uns tragen. Neil Young kann uns lehren, ihn zu ertragen. Skeptisch sein, ja. Kritisch sein, unbedingt. Aber Angst vor der Zukunft? Angst vor Veränderung? Niemals!
Denn was geschieht in "After the Goldrush", nachdem Mutter Natur in die Flucht geschlagen ist? Die silbernen Raumschiffe machen sich auf den Weg in eine neue Heimat.