Neues Album der "Flaming Lips":Für alle, die heimlich das Böse lieben

Neues Album der "Flaming Lips": In der Himmelhölle eines gescheiterten Beach-Boys-Albtraumes - oder eines besonders geglückten: "The Flaming Lips".

In der Himmelhölle eines gescheiterten Beach-Boys-Albtraumes - oder eines besonders geglückten: "The Flaming Lips".

Miley Cyrus' toter Hund, stöhnende Wale und rätselhaft verstrahlte Musik: Auf ihrem Album "Oczy Mlody" umschmeichelt die Avantgarde-Pop-Band The Flaming Lips die Hörer, um sie im nächsten Moment zu verstören.

Von Juliane Liebert

Miley Cyrus' Hund ist tot. Wir wissen nicht warum, aber wir wissen, dass er gestorben ist, weil es ein Lied über den toten Hund gibt. Das Lied hat Miley Cyrus mit der amerikanischen Avantgarde-Pop-Band The Flaming Lips geschrieben.

Es wurde zuerst auf ihrem Mixtape "Miley Cyrus & Her Dead Petz" als "The Floyd Song" veröffentlicht und ist jetzt in einer leicht veränderten Version als "Sunrise (Eyes of The Young)" das Hundeherzstück des neuen Flaming Lips Albums, "Oczy Mlody" (Bella Union).

Würde diese Rezension der Logik des Albums folgen, kämen jetzt erst mal drei Absätze über den Hund. Unterbrochen von einer Bridge, ein paar geschmeidige Synthies, gruseligen Glockensamples, und dann, wenn alle glauben, jetzt wär endlich der Refrain dran, käme eine längere Vocoder-verzerrte Episode über eine verhexte Katze.

Dabei war der Hund Miley Cyrus' Lieblingshund. Er hieß Floyd. Was macht er auf diesem Album? Wurde er von den Flaming Lips gesammelt wie vorher die Totenschädel und Ufos und all die anderen Wunderlichkeiten, die diese Band eben so mitschleppt - wie andere ihre Verstärker?

Obwohl "Oczy Mlody" im Vergleich etwa "Embryonic" und "The Terror" beinahe lieblich daherkommt (es wird nicht in menschlichen Schädeln verkauft und wurde während der Postproduktion nicht in das Blut des Bandleaders Wayne Coyne getaucht), ist einem diese Musik zutiefst unheimlich, sie klingt auf rätselhafte Weise verstrahlt.

Der Grusel kommt hier so hinterhältig wie möglich vorbei, tief in Zucker verwoben

Alte Vertraute aus dem Flaming-Lips-Sound-Universum wie die Surfgitarren vom 1999 erschienenen Album "The Soft Bulletin" werden mit merkwürdigen Gruselpitchings versetzt. Viele, viele Bands versuchen, durch verzerrte Stimmen dissoziative Gefühle zu erzeugen, aber die Flaming Lips ist eine der wenigen Bands, die weiß, wie man es richtig macht. Nämlich so hinterhältig wie möglich, tief in Zucker verwoben.

Dazu kommt Coynes Gesang, der wie ein Echo aus den Sechzigern anmutet. Als hätte er damals nicht mehr aus seinen LSD-Trips zurückgefunden und würde nun die ewigen Jagdgründe der Psychedelik mit moderner Computertechnik ergründen.

In einem Interview sprach schon Brian Wilson über den inflationären Theremin-Einsatz auf den Beach-Boys-Platten zu den Hochzeiten ihrer Drogen- und der allgemeinen Hippie-Phase.

Also in der Zeit, kurz bevor mit Charles Manson (zum Zeitpunkt dieses Textes im Krankenhaus und für immer fast, aber noch nicht ganz tot) die dunkle Seite der Verstrahltheit auf den Plan trat. Wilson meinte, er könne sich die Musik heute nicht mehr anhören, weil ihm dieser Theremin-Sound solche Angst mache. "Oczy Melody" nimmt diese Verstörtheit und macht sie zum Prinzip.

Manchmal würde man sich mehr Gleichmäßigkeit wünschen

Das Intro wäre vertrauenserweckend, waberte nicht ein warnendes Sample darin, das Walstöhnen sein könnte oder Schlimmeres. Überhaupt hat die Platte schöne Soundmomente, nur bleibt im Gesamtbild immer etwas Beklemmendes.

Als könnte man aus dieser Welt niemals herausfinden. Als wäre der Hörer so müde, dass er in einen Zwischenzustand zwischen Tag- und Nachttraum verfällt. Er möchte zurück in die wache Wirklichkeit, aber schafft es nicht.

"Sunrise" wirkt mit seiner schmeichelnden Strophe wie eine Insel des freien Atmens, aber dann lauern harmonisch vertrackte Chöre in der Bridge, und man ist wieder in der Himmelhölle eines gescheiterten - oder besonders geglückten - Beach-Boys-Albtraumes.

"Oczy Mlody" ist also ein Album für all jene, die heimlich das Böse lieben. Das entschädigt für die zahlreichen Brüche innerhalb der Songs, die nervtötend sein können, selbst wenn man durchaus Lieblingslieder mit komplexen Strukturen hat.

Jedes gute Riff muss von einem völlig schrägen B-Part unterbrochen werden. Das ist offensichtlich genau so gewollt, nur manchmal würde man sich mehr Monotonie wünschen. Und so richtig beruhigend sind auch Songtitel wie "One Night While Hunting For Faeries And Witches And Wizards To Kill" oder "Listening To The Demon Frogs" nicht.

Ein schönes Rätsel

Die vollständigen Lyrics verstärken das eher noch. In "One Night" geht ein Mann in einen Wald, um ein paar Hexen zu töten, blendet sich mit seiner eigenen Kugel, stürzt blutüberströmt zu Boden. Die Hexen kommen, um ihn zu heilen, er erwacht in einem fremden Raum mit neuen Augen im Kopf, "und dann sieht er sie" ("and then I saw her").

Hier endet das Lied. Der Effekt könnte billig sein, aber die Zeile kommt so überraschend, dass sie die Gruseligkeit aufbricht. "Sie" scheint irgendetwas Schönes zu sein, ein schönes Rätsel. Ein Augenblick der erfüllten Sehnsucht, der zugleich ungeschehen bleibt, weil die Musik an dieser Stelle notwendigerweise enden muss.

Wer ist "sie"? Miley Cyrus? Woran ist der arme Floyd gestorben? Werden wir es je erfahren? Von Ferne erklingt das Bellen, das Bellen eines toten Hundes.

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