Neues Album der "Descendents":Punk wird niemals tot sein

Neues Album der "Descendents": Zwölf Jahre haben Fans auf das Album der Descendents gewartet. Alles ist wie immer: Songs unter zwei Minuten, keine Gitarrensoli, kein Quatsch.

Zwölf Jahre haben Fans auf das Album der Descendents gewartet. Alles ist wie immer: Songs unter zwei Minuten, keine Gitarrensoli, kein Quatsch.

(Foto: Kevin Scanlon/PR)

Die legendäre kalifornische Band "Descendents" legt nach langen Jahren der Abstinenz ein neues Album vor. Es belegt: Alte Säcke spielen besonders lebensklug.

Albumkritik von Thomas Bärnthaler

Wo Punk, die böse, laute Wutmusik des 20. Jahrhunderts, ihren Ursprung hat, darüber streiten die Popkritiker bis heute. War es das damals kaputte New York in Gestalt des CBGB-Clubs, in dem Bands wie die Ramones oder Television gediehen? War es das hippe London, wo die Sex Pistols ihre kleine Kulturrevolution lostraten? Oder war es doch die im Zerfall begriffene Motorstadt Detroit, in deren Dunstkreis Iggy Pop und seine Stooges randalierten?

Als gesichert gilt, dass es nicht Manhattan Beach war, eine von vielen sonnengeküssten kalifornischen Städten südlich von Los Angeles, wo sich Mitte der Siebzigerjahre die Band Descendents formierte, deren Spielart des Punk ironischerweise zur nachhaltigsten überhaupt avancieren sollte. Denn während Punk in den USA schnell zum aggressiven Hardcore gedieh, in dem es mit stoischem Ernst fundamentalistisch zur Sache ging, was bald keinen mehr interessierte, blieben die Descendents stets locker, gaben sich besser gelaunt, humorvoller, nicht so verbissen, kalifornisch eben. Und eroberten die Welt.

Die Sucht nach Dreifach-Espresso ließ sie immer schneller und härter spielen

Sie gehörten irgendwie nicht dazu, mit ihrem bebrillten Sänger, der Biologie studierte und auch so aussah, ihren Popmelodien und der aufrichtigen Selbstbefragung, die sich als roter Faden durch ihr Gesamtwerk zieht. Glaubt man dem von der Band seit Jahren weitergesponnenen Privatmythos, dann war es auch weniger die Wut auf die Verhältnisse als vielmehr die Sucht nach zuckrigem Dreifach-Espresso, die sie im Übungsraum immer schneller und härter spielen ließ.

Zu ihrem typischen Sound fand die Band Mitte der Achtzigerjahre, als sie sich zwischenzeitlich in All umbenannte und mit "She's My Ex" sogar in die Billboard-Charts einstieg. Da hatte sie sich längst vom rasenden Polkabeat ihrer frühen Jahre emanzipiert und war bei einer Art juvenilem Power-Rock angelangt, der bald die College-Radios eroberte und zum Signatur-Sound einer ganzen Teenagergeneration werden sollte. Die kaufte dann später all die Platten, die Bands wie Bad Religion, Green Day, Weezer und Blink 182 sehr reich machten.

Das ist nun viele Jahre her. Aber Punk ist bekanntlich nicht tot und wird es auch nie sein. Obwohl die Haare von Sänger Milo Aukerman weiß geworden sind, der Bauch von Schlagzeuger und Songwriter Bill Stevenson immer stattlicher wurde. So ist nach nunmehr zwölf Jahren Abstinenz mit "Hypercaffium Spazzinate" (Epitaph) tatsächlich noch einmal ein neues Descendents-Album erschienen, das sich natürlich genauso anhört wie alle anderen: schnell, druckvoll nach vorne stürmend, mit packenden Hooklines und Melodien. Kaum ein Song länger als zwei Minuten, keine Gitarrensoli oder anderer Firlefanz. Viel Leidenschaft, wenig Pose, immer auf die Zwölf. Den guten Descendents-Song, und davon gibt es auf dem Album einige, erkennt man daran, dass man ihn sofort mitsingen will. (Nicht mitgrölen wie die stumpfen Hymnen der Toten Hosen.)

Gerade weil sie alte Säcke sind, ist ihr lebenskluger Adult-Punk so sympathisch

Nun könnte man es sich leicht machen und fragen: Braucht dieses Album irgendein Mensch außer vielleicht Schulabbrechern und Punk-Veteranen, die ihrer wilden Jugend hinterhertrauern? Doch die Descendents sind weit davon entfernt, nur ihre eigene Folklore weiterzuspinnen. Der Witz ist: Gerade weil sie alte Säcke sind, ist ihr lebenskluger Adult-Punk so sympathisch, ja anrührend. In Wirklichkeit haben wir es nämlich mit sehr sensiblen und verletzlichen Musikern zu tun.

Sie singen von den Wunden, die das Leben schlägt, wenn ein naher Mensch stirbt ("Feel This") oder in Schwierigkeiten ist ("Smile"). Sie erzählen von den Mühen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, statt nur darüber zu jammern ("Victim of Me") oder zürnen über eine Gesellschaft, die ihre hyperaktiven Kinder mit Medikamenten ruhigstellt ("Limiter").

Probleme von Männern eben, die längst Väter sind und ihre Midlife-Crisis hinter sich haben. Nur sie können so aufrichtig und weise über das Scheitern der Liebe singen wie in "Without Love", dem besten Song des Albums: "Life won't wait for us, and love won't heal itself. We can't live like this anymore", heißt es da - das Leben wartet nicht auf uns, und Liebe heilt nicht von allein. So können wir einfach nicht weiterleben. Gut gebrüllt, Löwe.

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