Süddeutsche Zeitung

Neues Album "Banga" von Patti Smith:Oma Adlerauge knurrt

Patti Smith ist Punk-Pionierin, Dichterin und gesegnet mit einer Kratzstimme, die als Weltsubkulturerbe verehrt und auch ein bisschen gefürchtet wird. Nun kommt ihr neues Album "Banga", und mit ihm die Frage, ob man über Fukushima einen Popsong machen kann.

Jan Kedves

Der ergreifendste Moment neulich in der Burroughs-Doku "A Man Within" war der, als Patti Smith sich daran erinnerte, wie heftig verliebt sie in jungen Jahren in William Burroughs gewesen war - und wie der reagierte, als sie, damals ja ein hübscher Tomboy, ihm das spätnachts einmal gestand: sanft schmunzelnd, den Arm um sie legend wie ein impotentes Onkelchen, dann rasch wegdösend.

Der zweitbewegendste Moment des Films war, als gemutmaßt wurde, warum Burroughs nicht, wie beinahe sein gesamtes Umfeld, an Aids starb: Immer, wenn Leute ihn in seinem "Bunker" in der Lower East Side besuchten, habe er, Häuptling des Junk, die Spritze als erster benutzen dürfen, bevor sie weitergereicht wurde. Gestorben ist Burroughs dann trotzdem - wie eigentlich alle wichtigen Männer im Leben von Patti Smith irgendwann, man muss es so sagen, abgekratzt sind.

Die Bettszene mit Burroughs taucht in "Just Kids", Smiths sehr unterhaltsamer und mit dem amerikanischen National Book Award 2010 bedachter Autobiographie über ihre gemeinsamen Jahre mit Robert Mapplethorpe, gar nicht auf - was ein bisschen merkwürdig ist, denn im Buch geht es um genau diese Zeit: die späten sechziger und frühen siebziger Jahre, als New York noch prototypisch wild und AIDS unbekannt war, und als Smith und Mapplethorpe ein zwar inkompatibles, aber unzertrennliches Hippiepärchen waren.

Ließ Smith die Episode aus schlechtem Gewissen raus? Liest der in seiner quietschfreien Liebesschaukel hoch oben im Himmel hängende Mapplethorpe noch eifersüchtig mit? Es scheint jedenfalls, als gebe es so etwas wie einen Exklusivitätsanspruch der toten Männer auf die posthumen öffentlichen Erinnerungen ihrer Freundin Patti Smith.

Womit wir direkt bei "Banga" (Sony) wären, dem neuen Album der mittlerweile 65-Jährigen Punk-Pionierin, Dichterin und Kratzstimme, die quasi als Weltsubkulturerbe verehrt und bisweilen auch ein bisschen gefürchtet wird, und die zugleich auch immer das ist: Überlebende.

Den Verstorbenen gewidmet

So widmet Smith auch "Banga" den Verstorbenen - und fast wäre das dem Album zum Verhängnis geworden: Da ist der Gedenksong an Amy Winehouse - ein furchtbar überflüssiger, routiniert weggewippter Versuch in Sixties-Pop, der weder Winehouse noch Smith zur Ehre gereicht ("This is the Girl").

Da ist der Gedenksong für die Fukushima-Opfer - schon viel besser, eine dem Thema angemessen verzweifelt gerockte Hymne ("Fuji-san"). Da ist "Maria", ein Stück, in dem Smith allzu simpel "When we were young" auf "Now you're gone" reimt, um damit der im vergangenen Jahr verstorbenen Maria Schneider zu gedenken - der Schauspielerin, die in "Der letzte Tango in Paris" als von Marlon Brando benutztes Mädchen berühmt und damit ein Leben lang nicht so recht glücklich wurde.

Zur Abwechslung ist "Nine" ein Geburtstagsständchen für einen berühmten Freund, mit dem Smith ab und zu Gitarre spielt und mit dem sie sich schon von Annie Leibovitz in karibischen Piratenoutfits hat fotografieren lassen - eine einleuchtende Kostümierung für Johnny Depp, aber überraschenderweise auch für Smith, die man sich ja heute immer als ledrige Sioux oder Apache vorstellt, als eine Art innerstädtische Oma Adlerauge. Johnny Depp aber sollte aufpassen, denn sogar in seinem Geburtstagslied geht es ums Sterben: "We will die a little", singt Smith da.

So betrachtet, könnte man "Banga" also für eine ziemlich deprimierende Angelegenheit halten. Richtig aber ist: Smith bettet all diese Gedenksongs ein in eine wahnwitzige, lyrisch anmaßende, weltumspannende Rahmenerzählung. Gleich im ersten Stück "Amerigo" muss sich Vespucci noch einmal in Richtung Amerika aufmachen, wo er nicht nur die Eingeborenen zwangstauft, sondern selbst - begleitet von im Midtempo schaukelnden Streichquartetten, wie sie auch bei Rufus Wainwright zu hören sein könnten - zwangsgetauft wird, und zwar vom reinen südamerikanischen Urwaldregen.

Aufbruch ins Weltall, begleitet von Kinderchören

Noch schöner wird es in "Constantine's Dream", wo es um Kolumbus und Gott und unsere Sünden geht und wo Smiths Band, wie immer angeführt von Lenny Kaye, wüstenstaubigen Stoner Rock mit irischen Geigen kombiniert, während im Hintergrund jemand italienisch spricht und Smiths dröhnende Stimme sich in immer beschwörerische Tiefen hinabschraubt.

Wie viele Sorgen sich Patti Smith um unsere Welt macht! Wie sie am Ende in "After the Gold Rush" vom erlösenden Aufbruch ins Weltall singt, begleitet von Kinderchören - dem eigentlich unter allen Umständen abzulehnenden Erpressungs im Pop! Und wie sie im Titelsong sogar knurrt wie ein Hund!

Wer hätte es gewusst: Banga, so heißt in Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita", einem Roman, der Patti Smith sehr gut gefallen hat, ein Hund. Sein Besitzer ist Pontius Pilatus. Keine Sekunde weicht das Tier von der Seite seines Herrchens, während Pilatus vor der Himmelspforte geschlagene 2000 Jahre darauf wartet, zu Jesus vorgelassen zu werden.

Aus dieser epischen Perspektive schnurren die paar hundert Jahre, die seit Vespucci und Kolumbus vergangen sind, und in denen die Neue Welt zu einer bösen Alten Welt geworden ist, natürlich auf Rockalbumlänge zusammen. Patti Smith scheint bei all dem Wahnwitz den Überblick nicht verloren zu haben. Und man würde sich auch nicht wundern, wenn in ihrer Erlösungsgeschichte der Heiland ein bisschen aussähe wie Johnny Depps Jack Sparrow.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1371492
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.06.2012/ihe/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.