Dass Adele Adkins die weiße weibliche Soulstimme ihrer Generation ist, daran gibt es nach Anhören ihres neuen, heute erscheinenden Albums "25" (XL Recordings) keinen Zweifel. Sofort hat man die Heerscharen junger Mädchen vor Augen, welche die großen Hits dieses Albums in den Pop-Castingshows dieser Welt nachsingen werden. Neben dem gerade weltweit die Single-Charts anführenden Klavier-Schmachter "Hello" sind das die mit der Akustischen hingezupfte Pop-Nummer "Send My Love (To Your New Lover)" und das düster stampfende, angegospelte "River Lea". Und man wird dabei versuchen, jedes stimmliche Detail akribisch zu reproduzieren.
Nein, man kann Adele wirklich nicht für den Melismen-Irrsinn verantwortlich machen, der entstehen wird. Er wird von den Juroren solcher Castingshows mit der ewigen Rede davon forciert, der Gesang müsse "von ganz unten" kommen (wo meist aber nicht viel ist) und "direkt durchs Herz" fließen (das sich dann aber doch nur fürs Gewinnen interessiert). In den englischen und amerikanischen Ausgaben von "The X Factor" urteilt übrigens so der Popmanager Simon Cowell, er ist mindestens so unerträglich wie Dieter Bohlen.
Wenn sie die Silben zum Flattern bringt, wollen die Tränen nur so schießen
Melismen, das sind jene Tonfolgen oder Melodien, die entstehen, wenn eine Silbe nicht auf einem Ton gesungen, sondern über mehrere Töne gedehnt wird. Also zum Beispiel das, was Whitney Houston in "I Will Always Love You" hoch oben mit dem "You-hu-hu-hu" machte. Es sind Syntax-Unterbrechungen, die verdeutlichen sollen, dass sich gerade ein reines Gefühl Bahn bricht, weil Worte ja nie genau auszudrücken vermögen, was wirklich transportiert werden muss. Mariah Carey steckt sich in solchen Momenten stimmlicher Überwältigung gerne links einen Finger ins Ohr und zeichnet mit der Rechten die Tonbewegungen in der Luft nach, rauf und runter - ganz virtuos.
Auch Adele beherrscht diese besonders in der Soul- und R&B-Musik kultivierte Kunstform aus dem Effeff. Es ist auf ihrem neuen Album nicht nur in "Hello" zu hören, wo sie in der Mitte des Songs das Wörtchen "us" - wir - dramatisch die Tonleiter herunterpurzeln lässt. Man hört es auch am Ende von "Remedy", wo sie die letzte Silbe des titelgebenden Wortes mit einem hinterhergeseufzten "Hmm" derart zum chromatischen Flattern bringt, dass die Tränen nur so schießen wollen.