Neuer Roman von Isabel Allende:Ungeführtes Tagebuch

Das schafft nur sie. In Isabel Allendes neuem Roman geht es um Gewalt, Drogen, Pädophilie und trotzdem: Wann immer möglich, streut sie Magisches ein. "Mayas Tagebuch" ist eine verhinderte Detektivgeschichte, mal feinsinnig und kitschfrei, mal wird doch bloß die idealtypische Allende-Leserin bedient.

Ralph Hammerthaler

Wenige Tage vor seinem Tod 2003 gab Roberto Bolaño dem mexikanischen Playboy ein scharfsinniges Interview. Zum Beispiel wurde er gefragt, ob er, wenn er mit Isabel Allende und Angeles Mastretta ein paar Gläser getrunken hätte, womöglich anderer Meinung über ihre Bücher wäre. Bolaño sagte: "Nein. Erstens, weil es beide Damen vermeiden, mit jemandem wie mir zu trinken. Zweitens, weil ich nicht mehr trinke. Drittens, weil ich mir noch in meinen allerschlimmsten Räuschen einen Rest von Klarheit bewahrt habe, ein Gefühl für Rhythmus und Wortwahl, einen Widerwillen gegen Plagiat, Mittelmäßigkeit, Unvermögen."

Schriftstellerin Isabel Allende wird 70

Schriftstellerin Isabel Allende im Mai 2010 in New York.

(Foto: dapd)

Es wird also nicht leicht, den neuen Roman von Isabel Allende, "Mayas Tagebuch", vorbehaltlos anzugehen. Egal, ob nüchtern oder im allerschlimmsten Rausch. Es wird auch deshalb nicht leicht, weil der Suhrkamp Verlag in der deutschsprachigen Aufmachung alles Beunruhigende getilgt hat. Im Original heißt der Titel "El cuaderno de Maya", "Mayas Heft", genau so übersetzt von Svenja Becker, wenn das Wort im Text fällt. Denn Maya führt kein Tagebuch.

Dazu wäre sie, die nervöse, gebeutelte Neunzehnjährige, auch nicht imstande. Grob gliedert sie ihr Heft nach Sommer, Herbst, Winter und Frühling. Und weil sie sich, zurückgezogen und versteckt auf einer kleinen Insel in Chile, auf der südlichen Halbkugel befindet, enthält der Sommer die Monate Januar, Februar, März. Eher schweifend erzählt Maya aus ihrem offenbar unkaputtbaren Leben. Sie springt vom Heute ins Gestern und wieder zurück. Ein Datum für ihre Einträge gibt es nicht.

Hinzu kommt, dass die deutsche Ausgabe mit einer sagenhaft schönen Frau geschmückt ist, niedergeschlagene Lider, sehr melancholisch. Das spanische Original dagegen, erschienen bei Plaza & Janés in Barcelona, zeigt eine liegende Frau, die sich mit dem Ellbogen aufstützt, das Gesicht eine verstörende Maske. Auch diese Maya ist einem Bestsellerpublikum zumutbar. Zu guter Letzt wirbt Suhrkamp auf dem Einband mit einem Ausruf von El Mundo: "Isabel Allende ist die Königin der Gefühle!" Danke, das hat gerade noch gefehlt.

Es sieht so aus, als wollte der deutsche Verlag mit der sanften, gefälligen Aufmachung die idealtypisch zu denkende Allende-Leserin nicht verschrecken. Darum Tagebuch, schöne Melancholie und Gefühle mit Ausrufezeichen. Zwar leistet sich Isabel Allende auch in diesem Buch etliche sanfte, gefällige Sätzlein, aber weil sie eine Figur wie Maya erfunden hat, kommt sie damit nicht durch. Mit Blick auf US-Krimis wird ihre Sprache streckenweise rau und kantig, gut zu lesen. Eine Detektivgeschichte, sagt sie im Promo-Video, habe ihr vorgeschwebt. Das wird insofern eingelöst, als Maya sich vom FBI, von Interpol und einer Verbrecherbande aus Las Vegas verfolgt sieht. Nur weiß der Leser immer, wo die Gesuchte, nämlich Maya, steckt. Also eher keine Detektivgeschichte.

Allende schreibt einen Satz, der kein Sätzlein sein will und mehr über ihre Literaturwerkstatt verrät als beabsichtigt: "Glück hat etwas Seifiges, es glitscht einem durch die Finger, an Problemen dagegen kann man sich festklammern, sie sind rau und hart und geben Halt."

Maya ist ein Problemkind. Obwohl sie behütet und verhätschelt aufwächst in Berkeley bei ihrer flippigen Großmutter, einer Chilenin, rutscht sie nach dem Tod des geliebten Wunschgroßvaters langsam, aber sicher ins Elend. Es fängt an mit leichten Drogen und Alkohol auf der Highschool, es geht weiter mit Lockangeboten für Pädophile, um sie, kaum dass sie angebissen haben, auszurauben, und es endet damit, dass Maya aus dem Internat flieht und, bei einem Zwischenstopp brutal vergewaltigt, nach Las Vegas trampt. Dort gerät sie in die Fänge von Gangstern, die ihr Geld mit Drogen und Dollarblüten machen. Sie dient ihnen als Kurierin.

Flucht aus Las Vegas

Die Las-Vegas-Story hebt sich tapfer ab von den teils folkloristisch kolorierten Anekdoten auf den Inseln Chiloés. Für Maya wird es eng, mittlerweile braucht sie harte Drogen. Sie stürzt sich in die miesesten Ecken der Stadt, beklaut eine Obdachlose, die gut zu ihr war, prostituiert sich. Maya verliert ihr Gesicht. Erst mit Hilfe einer Jesus-närrischen Schwarzen, einer "sanften Riesin", und deren Mann, einem "echten Engel", entgeht sie der Hölle - einem kriminellen Geflecht, in das sie sich ebenso naiv wie gefügig verstrickt hat. Ihre Großmutter fährt sie im Auto zurück nach Berkeley. Klar ist, dass Maya für eine Weile verschwinden muss. Darum schickt die Großmutter sie zu einem Freund ans Ende der Welt, auf eine kleine, südchilenische Insel.

Großmutters Freund aus vergangenen Tagen heißt Manuel, Anthropologe, ein alter, liebenswerter Kauz. Wie er mit Maya (und sie mit ihm) umgeht, wird feinsinnig und angenehm kitschfrei beschrieben. Aber dann entpuppt sich Manuel, wie um die idealtypisch zu denkende Allende-Leserin zufriedenzustellen, als Mayas wahrer, leiblicher Großvater. Er leidet unter Albträumen, die auf die Zeit nach dem Militärputsch durch Pinochet zurückgehen. Maya will ihn davon befreien. Und so infiziert der therapeutische Diskurs, über den sich Allende gerade noch lustig gemacht hat, jäh den erzählerischen, sodass man aufschreien will wie Manuel vor seinen allerschlimmsten Heimsuchungen. Umständlich wird rekonstruiert, wie der Großvater als junger Mann in einer Villa gefoltert wurde.

Dass es auch anders geht, hat Roberto Bolaño in seinem kurzen Roman "Chilenisches Nachtstück" vorgemacht. Hier schält sich aus dem lockeren Selbstge-spräch eines Priesters das pure Grauen heraus. In einer Villa, wo eine Schriftstellerin literarische Salons veranstaltet, wüten im Keller Pinochets Folterknechte.

Isabel Allende weiß, welche Erwartungen sie zu bedienen hat. Und so streut sie, wann immer möglich, Magisches ein. Vor allem der verstorbene Wunschgroßvater erscheint ein ums andere Mal seiner umherirrenden Wunschenkelin Maya, er tröstet sie und macht ihr Mut. - Tja, das ist schön.

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