Neuer Roman von Harper Lee:Demontage eines Nationalheiligen

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Harper Lees neuer Roman "Gehe hin, stelle einen Wächter" (Foto: dpa)

Mit Atticus Finch erschuf Harper Lee eine amerikanische Leitfigur. In "Gehe hin, stelle einen Wächter" kehrt er zurück - und bereitet dem Leser Schmerzen.

Von Fritz Göttler

Mit "Wer die Nachtigall stört" wurde Atticus Finch zur amerikanischen Leitfigur. Ein aufrechter Kämpfer für Gerechtigkeit und Gleichheit, ein Nationalheiliger in einer Welt der Rückständigkeit und des Rassismus - erst recht, seit Gregory Peck ihn in der Verfilmung des Romans verkörperte.

Harper Lees Welterfolg von 1960 erzählt von einer Kindheit in den Dreißigern, im Städtchen Maycomb, Alabama, im tiefsten Süden der USA. Das Mädchen Jean Louise, von allen Scout genannt, ihr Bruder Jem und ihr Freund Dill strolchen durch den Kleinstadt-Ferienalltag, Scouts Vater Atticus Finch ist Anwalt und übernimmt, gegen starken Widerstand aus der Stadt, die Verteidigung eines jungen Afroamerikaners, der einer Vergewaltigung beschuldigt wird.

Nun erscheint Lees neuer Roman "Gehe hin, stelle einen Wächter" auf Deutsch. Uns wurde eine faszinierende Vater-Tochter-Geschichte versprochen. Man erwartete ein ähnliches Leseglück, wie man es Generationen von Lesern mit "Wer die Nachtigall stört" erlebt hatten.

Rückkehr in den Fünfzigern

Allein schon, weil sich die 89-jährige Autorin Lee nach der "Nachtigall", also in den Sechzigern, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und kein weiteres Buch mehr veröffentlicht hatte - es war also eine Sensation, als Anfang des Jahres ein "neuer" Harper-Lee-Roman angekündigt wurde. Nicht neu im eigentlichen Sinn, sondern das allererste Buch, das sie geschrieben hatte, 1957, und das vom Verlag abgelehnt worden war. Jahrzehntelang war das Manuskript verschollen, nur durch Zufall sei es nun gefunden worden.

Das Buch spielt in den Fünfzigern, seiner Entstehungszeit also. Jean Louise kehrt aus New York mit intellektuellen Ostküsten-Ideen in ihre Heimatstadt zurück und muss erkennen, dass ihr verehrter Vater nicht besser ist als die anderen Rassisten der Stadt. Er hält die Afroamerikaner, denen die Regierung in Washington die Gleichberechtigung verschaffen will, für nicht reif genug dafür, beharrt auf der Rassentrennung. Schmerzlich führt das Buch, im schroffen Gegensatz zur "Nachtigall", in eine gar nicht harmonische, zerrissene, paranoide Welt, die Jahre des Erstarkens der Bürgerrechtsbewegung, die mit jahrhundertealten Konventionen und Ansichten brach. Im unglaublichen Hype um das Buch, dessen Startauflage auf zwei Millionen Exemplare kam, ging der große Schock des Romans unter - die Demontage des amerikanischen Helden Atticus.

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Von Fritz Göttler

Der Wächter, den man schließlich bestellt, ist das Gewissen, und jeder Mensch hat sein eigenes. Eine spannende, schmerzliche Lektüre, man muss Widerstände überwinden beim Lesen, und den Helden zugestehen, dass sie nie wirklich ideal sein können.

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