Neuer Roman von Dave Eggers:Auf Sand gebaut

Dave Eggers schickt in "Ein Hologramm für den König" einen runtergerockten Consultant auf tragikomische Mission in Saudi-Arabien. Der Roman ist amüsant - und zugleich eine bittere Parabel über den Niedergang der USA und die Folgen der Globalisierung.

Von Christopher Schmidt

Man hat ihn in die Wüste geschickt - buchstäblich und im übertragenen Sinn. Alan Clay ist mit einem Team von jungen Mitarbeitern nach Saudi-Arabien entsandt worden. Im Auftrag eines amerikanischen Telekommunikations-Riesen soll er König Abdullah ein IT-System verkaufen für die Retortenstadt King Abdullah Economic City, kurz KAEC, die dieser am Roten Meer aus dem Boden stampfen lässt.

Für den runtergerockten Consultant Clay ist die Präsentation, die in Form einer holografischen Konferenz über die Bühne gehen soll, die letzte Chance, noch einmal beruflich Fuß zu fassen, seinen Schuldenberg abzutragen, seiner Tochter Kit Geld fürs College zu schicken und "den würgenden Schraubstock seines Lebens in Amerika zurückzulassen". Er ist "vierundfünfzig Jahre alt und für die amerikanische Unternehmenswelt so faszinierend wie ein Flugzeug aus Lehm", heißt es zu Beginn von Dave Eggers' neuem Roman "Ein Hologramm für den König". Und weiter: "Er konnte keine Arbeit finden, konnte keine Aufträge an Land ziehen. Er war von Schwinn zu Huffy gegangen, weiter zu Frontier Manufacturing Partners, dann zu Alan Clay Consulting, um schließlich zu Hause zu hocken und sich auf DVD anzugucken, wie die Red Sox die Finalspiele von '04 und '07 gewannen. (. . .) Es war ein Sieg, der nie wieder weggenommen werden konnte."

Clay selbst hingegen, das hat ihn sein Auftraggeber unmissverständlich wissen lassen, sitze schon ziemlich lange auf der Reservebank, und es sei fraglich, ob er "noch Biss" habe, ob er "ein Spieler" sei. Denn natürlich pitchen auch die Chinesen mit am Golf.

Computergenerierte Fata morgana

Doch seinen ersten Einsatz nach langer Pause vermasselt Clay auf Anhieb. Dass er, in Dschidda angekommen, den für den nächsten Morgen in der eine Autostunde entfernten Wüstenbaustelle angesetzten Termin verschläft, fällt nur deshalb nicht weiter auf, weil der König ohnehin nicht erscheint: heute nicht und morgen auch nicht. Inschallah.

"Uns braucht man nicht alle Tage", nicht zufällig hat Eggers seinem Roman ein Zitat von Samuel Beckett als Motto vorangestellt. "Ein Hologramm für den König" ist so etwas wie "Warten auf Godot" für Occupy-Aktivisten - und zugleich das tragikomische Endspiel einer amerikanischen Jedermann-Figur. Während Wladimir und Estragon bei Beckett die Zeit mit nihilistischen Clownerien totschlagen, verkürzt Clay sich das Warten, indem er über seine gescheiterte Ehe, seine verkorkste Karriere und sein verfehltes Leben nachdenkt. Nachts im Hotel schreibt er lange Briefe an seine Tochter, betrinkt sich mit dem schwarzgebrannten Schnaps, den die westlichen Arbeitsnomaden einschmuggeln ("Hier wird mehr getrunken als in Finnland") und befühlt seine Geschwulst im Nacken, von der er glaubt, dass sie es sei, die ihm seine Lebenskraft raubt.

Tagsüber hält er seine zur Untätigkeit verdammten Kollegen im Präsentationszelt bei Laune oder beobachtet die Arbeiter, die den Sand aus der Wüste fegen, denn abgesehen von einem Tor und drei Gebäuden gleicht die künftige Wirtschaftsmetropole einem Potemkinschen Dorf, einer computergenerierten Fata morgana - und ob je mehr daraus wird, ist alles andere als ausgemacht. Einmal sucht Clay sich ein schattiges Plätzchen in einer ausgehobenen Baugrube, in der er beinahe den Tod findet. Ein deutliches Bild in Eggers' manchmal etwas überbelichteter Globalisierung-Parabel. Schließlich gehört Clay zu jener Managergeneration, die sich ihr eigenes Grab schaufelte, als sie anfing, die Produktion ins Ausland zu verlagern.

Das Warten hat sich gelohnt

Der Schauplatz der modernen Märchenstadt, die es tatsächlich gibt, erscheint geradezu ideal, um die Zentrifugalkräfte der heutigen Arbeitswelt in ihrer ganzen Absurdität darzutun. Irreal wie diese gigantische Spekulationsblase wirkt das ganze Land, in dem es zwar keine Demokratie und keine Rechte für Frauen gibt, das jedoch aussieht wie "Los Angeles mit Burkas". Clay begegnet lauter Arabern, die vorbildlich ausgebildet sind, besser Englisch sprechen als die amerikanischen Investoren und die islamische Verbotskultur routiniert austricksen. "Wir haben keine Gewerkschaften. Wir haben Filipinos", heißt es einmal über das krasse Missverhältnis von sozialem und ökonomischem Engagement.

In einer Szene bringt Dave Eggers die Verwerfungen der kapitalistischen Nahrungskette auf den Punkt. Als Alan Clay eine schon fertiggestellte Musterwohnung besichtigen will, landet er versehentlich im falschen Stockwerk. Dort hausen die asiatischen Wanderarbeiter im nackten Betonskelett wie Galeerensklaven unter Deck. Verfolgt von der aufgebrachten Meute, rettet sich Clay in das schon verkaufte Luxusappartement, dessen distinguierter arabischer Besitzer, Ivy-League- oder Oxford-Absolvent, ihn in den eleganten Räumen bei klassischer Musik trotz Alkoholverbots mit bestem Scotch bewirtet. Im globalen Wettbewerb trennt mitunter gerade mal ein einziges Stockwerk die Erste von der Dritten Welt.

Und Alan Clay wird zum Wanderer zwischen diesen Welten. Eggers ist nicht der erste amerikanische Autor, der den Niedergang der USA anhand einer exemplarischen Figur verhandelt. Ob ein traumatisierter Baseball-Star bei Chad Harbach, ein junger Hausbesetzer bei Paul Auster oder ein Polio-infizierter Sportlehrer bei Philip Roth - eine ganze Phalanx gebrochener Helden und Schmerzensmänner hat seit der Wirtschaftskrise den Exodus aus den Schreibtischschubladen amerikanischer Schriftsteller angetreten, allesamt Botschafter eines Landes, das gelähmt auf den Verfall des eigenen Mythos starrt.

Aufgeschwemmt von Fastfood und Angsthormonen

Wohltuend unpathetisch ist dagegen der Protagonist, den Dave Eggers nun das Kreuz des american decline tragen lässt, Kippfigur und tapsiger Pikaro, aufgeschwemmt von Fastfood und Angsthormonen. Voller Empathie entgiftet Eggers das Feindbild orthodoxer Kapitalismuskritik, die welkes Fleisch gewordene Old Economy. Clay hat die prototypische amerikanische Babyboomer-Karriere hinter sich: Ohne College-Abschluss arbeitete er sich mit den Lektionen des gelernten Verkäufers und einem Arsenal flauer Witze ("Wie nennt man einen Typen, der achtundvierzig Liebestechniken kennt, aber keine einzige Frau? - Einen Consultant.") hoch ins mittlere Management und beförderte jenen Neoliberalismus, der ihn schließlich selbst um den Job brachte. Jetzt versucht dieser falling man, sein Haus zu verkaufen, das die Maklerin mit fremden Möbeln bestückt hat, um den Preis in die Höhe zu treiben - und genauso enteignet wie seine eigenen vier Wände ist das nationale Haus, in dem, wie tatsächlich geschehen, selbst die Scheiben für das neue World Trade Center in China gefertigt werden, und zwar mit amerikanischem Patent.

Das titelgebende Hologramm ist das Leitsymbol für die Deindustrialisierung und letztlich Entmaterialisierung der Ökonomie, an deren Ende die Luftspiegelung einer orientalischen Geisterstadt steht, in der Clay wieder Klinken putzen muss wie in seinen Anfängen. Und durch eine Reihe von schrägen Abenteuern stolpert, die so unwirklich verflimmern, wie es nur sein kann in dieser zwischen Futurismus und Mittelalter oszillierenden Traumwelt. Auf einer Sex- und Drogenparty der Expats lässt er sich auf eine Nacht mit einer skandinavischen Beraterin ein, die er jedoch genauso wenig befriedigen kann wie die arabische Ärztin, die ihn von seiner sich als harmlos entpuppenden Geschwulst befreit. Und bei einem Jagdausflug in die Berge erschießt er beinahe einen Hirtenjungen und wird ums Haar als mutmaßlicher CIA-Agent hochgenommen.

Dave Eggers hat einen ebenso vergnüglichen wie gescheiten Roman über den Aberwitz der Globalisierung geschrieben. Doch weil Eggers als Betreiber seines eigenen subkulturellen Mischkonzerns aus Verlag, Schreibwerkstatt und Hausaufgabenbetreuung alle Hände voll zu tun hat mit der tätigen Weltverbesserung, musste man zehn Jahre warten, bis er wieder Zeit fand für ein rein belletristisches Buch. Anders als für die IT-Leute im Roman hat sich für den Leser das Warten gelohnt.

Dave Eggers: Ein Hologramm für den König. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 352 Seiten, 19,99 Euro.

Dave Eggers, geboren 1970 in Chicago, hat sechs preisgekrönte Bücher veröffentlicht. Er betreibt einen unabhängigen Verlag in San Francisco und ein gemeinnütziges Schreib- und Förderzentrum für Jugendliche.

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