Neuer Roman: Cash:Hartgekocht

Ein Mann wird auf offener Straße erschossen, doch die Spannung von "Cash" baut sich nicht an der Frage auf, wer der Täter sein könnte - sondern entlang der sozialen Frontlinien.

Andrian Kreye

Es gibt berechtigte Gründe dafür, dass Richard Prices neuer Roman "Cash" bei seinem Erscheinen vor zwei Jahren umgehend zum Klassiker der amerikanischen Literatur und einem der besten New-York-Romane aller Zeiten ausgerufen wurde. Nun erscheint er auf Deutsch, und die naheliegende Frage ist, ob das auch bei uns so funktionieren kann. Die Antwort ist nicht ganz eindeutig. Sie hängt vielmehr davon ab, wie man diesen Roman lesen will.

Richard Price: Cash, Titelbild

Es gibt berechtigte Gründe, dass Richard Prices Roman "Cash" bei seinem Erscheinen vor zwei Jahren zum Klassiker der amerikanischen Literatur ausgerufen wurde. Nun erscheint er auf Deutsch, und die naheliegende Frage ist, ob das auch bei uns funktionieren kann. Die Antwort ist nicht ganz eindeutig.

Formal ist "Cash" ein Krimi. Er erzählt die Geschichte des Kriminalbeamten Matty Clark, der den Barkeeper Eric Cash eines Mordes auf der Lower Eastside von New York verdächtigt, den allerdings der halbwüchsige Tristan aus den Sozialbauvierteln am Rande des ehemaligen Einwanderer- und heutigen Bohèmeviertels begangen hat. Das ist alles in der knappen Sprache des "Hardboiled"-Genres erzählt, mit den nüchternen szenischen Beschreibungen und den wortkargen Dialogschleifen, die es in kurzen Satzfetzen fertigbringen, gleichzeitig eine Atmosphäre zu etablieren und die Handlung voranzutreiben.

Price hat diese Sprache schon immer beherrscht. Das liegt einerseits daran, dass er in der Bronx aufgewachsen ist, jenem Stadtbezirk von New York, wo man wenig Worte verliert, weil das Leben schon so anstrengend genug ist. Dort spielte auch sein erster Roman "The Wanderers", den er 1974 veröffentlichte. Andererseits ist er seit 25 Jahren erfolgreicher Drehbuchautor, hat die Bücher für Filme wie Martin Scorseses "Die Farbe des Geldes", für Spike Lees "Clockers" und für die in den USA legendäre Fernsehserie "The Wire" geschrieben.

Nun hat die enge Verbindung zwischen "Hardboiled"-Krimis und Film eine lange Tradition, die auf Raymond Chandler und Dahiell Hammett zurückgeht. Doch "Cash" wäre in den USA nicht dermaßen gefeiert worden, wenn er nur ein Wiedergänger des klassischen Detektivromans wäre. Was Price mit "Cash" vielmehr gelang, ist ein zeitgenössisches Sittenbild der Stadt New York und der amerikanischen Gesellschaft.

Kern der Geschichte ist ein Vorfall, der sich ganz ähnlich zugetragen hat. Eine Gruppe junger Nachtgänger geriet damals während einer Tour durch die Kneipen und Clubs der Lower Eastside an zwei bewaffnete Straßenräuber. Die junge Frau der Gruppe unterschätzte die Lage, fuhr den jungen Mann mit der Pistole an, was er denn tun wolle, wenn sie ihre Handtasche nicht herausrücke, er würde ja wohl nicht abdrücken. Genau das tat der aber. Die Frau starb. Und die Stadt New York wurde sich bewusst, dass die Sicherheit, die Bürgermeister Giuliani mit seiner Politik der Nulltoleranz und der permanente Alarmzustand nach den Anschlägen des 11. Septembers geschaffen hatten, eine trügerische war.

Auch der Barkeeper Ike Marcus muss zu Beginn des Romans sterben, weil er dem Straßenräuber in der dunklen Seitenstraße großmäulig erklärt: "Heute nicht, mein Freund." Weil man das von Anfang an weiß, baut sich die Spannung nicht wie im Krimi auf der Frage auf, wer der Täter war, sondern entlang den sozialen Frontlinien, die in einer Großstadt entstehen, wenn sich die Demographie eines Viertels radikal ändert.

Wohlstand trifft Armut

Dieses Phänomen gibt es auch in Deutschland. Der amerikanische Begriff "Gentrification", der die Entwicklung benennt, wenn wohlhabende Bürger die attraktive Lage und die renovierungstauglichen Immobilien eines Arbeiter- oder Armenviertels entdecken, ist längst als "Gentrifizierung" eingedeutscht. Was sich derzeit im Münchner Glockenbachviertel, in Berlin Kreuzberg oder im Hamburger Gängeviertel vollzieht, ist nichts anderes, als die Rückeroberung der Innenstädte durch die zweite Generation jenes Bürgertums, das in den sechziger Jahren vor den Realitäten der Großstädte in die Speckgürtel geflohen war.

Solcherlei soziale Verschiebungen sind ein komplexer und langwieriger Vorgang - mit enormen Folgen für eine Stadt. Und auch wenn sich die Spannungen nur selten in einem so gewalttätigen Akt wie einem Mord auf offener Straße entladen, hat Richard Price in diesem Extremfall die perfekte Analogie für dieses Phänomen gefunden. Und die gilt auch für uns.

Was der Roman in der Übersetzung nicht transportieren kann, ist allerdings die kulturelle Feinstofflichkeit. Im amerikanischen Englisch sind die Trennlinien zwischen den Ebenen der Alltagssprache viel deutlicher und nachvollziehbarer, als in anderen Sprachen. Denn in den Unterschieden zwischen dem funktionalen Jargon der Polizisten, dem lässigen Duktus der Bohème und dem herben Slang der Unterschichten bilden sich die Klassengrenzen und die gegenseitigen Verständnislosigkeiten durchaus subtil ab. Im Deutschen aber ist die Grenze zwischen Hochdeutsch, Dialekt und dem Slang der Unterschichten so brutal und eindeutig, dass sich daraus kaum ähnliche Spannungen ableiten lassen.

"Cash" krankt also weniger an seiner Übersetzung. Die ist durchaus gelungen und nimmt die Dynamik des Originals adäquat auf. Es sind die sprachhistorischen Unterschiede zwischen einem amerikanischen Englisch, das die fremd- und umgangsprachlichen Einflüsse von jeher als Bereicherung verstand, und einem Deutsch, das solche Veränderungen als kulturelle Bedrohung wahrnahm. So wirkt es immer ein wenig verkrampft, wenn der lässige Ton der Straße in die Schriftsprache geholt werden soll.

Es fehlen jedoch nicht nur die sprachlichen Parallelen, sondern auch die vielschichtigen Referenzebenen der amerikanischen Kultur. "Cash" heißt die deutsche Fassung wie eine der Hauptfiguren und eben auch der Motor der Gentrifizierung. Im Englischen heißt der Roman "Lush Life". Wie Billy Strayhorns Jazzballade, die melancholisch den Überdruss am "Jazz and cocktails"-Leben der Jeuness dorée der dreißiger Jahre beklagte, das zur hohlen Farce gerät, wenn die Realität zupackt. So bleibt "Cash" ein ausgezeichneter Kriminalroman. Mehr nicht.

RICHARD PRICE: Cash. Roman. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 528 Seiten, 19,95 Euro.

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