Neuer Kinofilm mit Tilda Swinton: "Julia":Atemlos auf Stelzen

Sie säuft, stolpert, verzweifelt und wird zur Kindsentführerin. Regisseur Erick Zonca zeigt Tilda Swinton als selbstzerstörerische "Julia".

Martina Knoben

Ein Alphamädchen! So offensiv sexy und gutgelaunt betritt Julia die Bühne, in einer fulminanten Eröffnungssequenz, in der auch die Kamera fast berauscht erscheint.

Neuer Kinofilm mit Tilda Swinton: "Julia": Ganz irdisch und ziemlich betrunken:Tilda Swinton in "Julia".

Ganz irdisch und ziemlich betrunken:Tilda Swinton in "Julia".

(Foto: Foto: ddp)

Sie folgt wie trunken dieser Frau, wie sie stöckelt, den Kopf in den Nacken wirft, Martini- und Sektgläser leert und Männer bei ihren Krawatten packt. Dies ist keine überirdische Schönheit, keine weiße Hexe, wie Tilda Swinton nach "Narnia" gerne genannt wurde.

Diese Julia ist ganz irdisch und bald ziemlich betrunken. Während ihr Gang immer unsicherer wird und das grüne Paillettenkleid von der Schulter rutscht, wird klar, dass sie nicht trinkt, um sich zu amüsieren.

Julias Lebensstil ist das Gegenteil der Selbstoptimierung, wie sie so viele Frauenbiographien seit den neunziger Jahren antreibt. Und obwohl sie zu den nervigeren Kinofiguren zählt und bei Tageslicht eher billig aussieht, geht eine emanzipatorische Kraft von ihr aus, die erfolgsorientierte Alphamädchen (zu denen Julia, wie wir nun wissen, ganz sicher nicht gehört), blass aussehen lässt.

Julia säuft und lässt sich gehen wie ein Mann. Und wie Männer es tun, wird sie Gewalt einsetzen, um endlich einmal auf der Gewinnerseite des Lebens zu stehen.

Entfesselter Frust

Als sie bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker von dem Sohn einer Mitpatientin erfährt, der angeblich bei seinem reichen Opa festgehalten wird, beschließt sie, das Kind zu entführen. Vorgeblich, um es seiner Mutter zurückzugeben - tatsächlich jedoch will Julia abkassieren.

Wie sie nun einem achtjährigen Jungen in Badehose einen Revolver an die Schläfe drückt, ihn mit Schlaftabletten vollstopft und gefesselt wie ein Paket unters Sofa steckt, das ist schwer erträglich.

Endgültig zur Herausforderung jedoch wird dieses Frauenporträt durch die Einbeziehung des Mütterlichen in diesen Entwurf. Obwohl Julia ihre Gefühle weggesoffen hat und Reste von Menschlichkeit hinter eine schwarze Maske sperrt, bleibt sie eine Frau.

Erick Zonca und Tilda Swinton studieren diese Frau, ausgehend von ihrer Körperlichkeit: Als Julia am Morgen nach der Party erwacht, fällt unerbittliches Licht auf sie, zeigt einen weißen Körper in einem nuttigen Kleid, der sich aus einem Wagen und von der Seite eines Unbekannten quält, sich die Lippen leckt und dann zum eigenen Auto stolpert.

Oskarreif

Manche Frauen scheinen mit High Heels auf die Welt gekommen zu sein, so mühelos wirkt ihre Fortbewegung auf diesen Stelzen. Wenn Julia jedoch mit ihren langen, sehnigen Beinen durch diesen Film stöckelt, taumelt oder wankt, dann sieht das so anstrengend und unfallgefährlich aus, dass man jederzeit einen Zusammenbruch erwartet.

In Julias Schuhen möchte man nicht stecken, so wenig wie in der durchgeschwitzen Bluse der Anwältin in "Michael Clayton", der Rolle, für die Tilda Swinton in diesem Jahr den Oscar bekommen hat.

Den hätte sie auch für "Julia" verdient, so intelligent spielt sie, so viel Energie und Eleganz gibt sie ihrer Figur mit. Ohne dass es je ausgesprochen würde, wird Julias Alter, der wachsende Druck auf ihre Lebenslügen, als eine Triebkraft ihrer selbstzerstörerischen Odyssee deutlich.

Damit ist sie eine konsequente Weiterführung der Frauenrollen, die Tilda Swinton für Derek Jarman, Sally Potter oder Susan Streitfeld gespielt hat. "Female Perversions", der Titel würde auch für diesen Film passen.

Die britische Schauspielerin wurde denn auch verdientermaßen gefeiert für ihre mehr als zweistündige Performance, während Erick Zoncas Film nach seiner Uraufführung in Berlin von manchen Kritikern regelrecht versenkt wurde.

Die Macht des Regisseurs

"Julia" ist tatsächlich eine Zumutung, wie seine Titelheldin, vor allem nachdem der Film die amerikanisch-mexikanische Grenzmauer durchbricht. Wenn Zonca dort auf die erste Entführung eine zweite folgen lässt, wirkt der Erzählweg so selbstzerstörerisch wie die Flucht der Heldin.

Auch der Regisseur scheint an jeder Kreuzung falsch abzubiegen, und das mit Vollgas. Er wechselt vom Bildnis einer Trinkerin zum Roadmovie zum Gangsterfilm, ein Genremix, der krude und unkontrolliert wirkt - aber eine wilde Kraft entfaltet.

Zielstrebig treibt Zonca seine Heldin in die Enge. Der junge Tom, den sie entführt hat, ist nicht nur das passive Pfand für ein besseres Leben, sondern ein couragierter Junge, dem Aidan Gould viel Persönlichkeit verleiht.

Die Begegnung mit ihm überfordert Julia derart, dass sie ihm gegenüber brutaler wird als jeder Mann. Als die Lösegeldübergabe misslingt - wie ein Tier riecht Julia die Falle - sucht sie Zuflucht in der Wüste, im Grenzgebiet zu Mexiko, wie es die Outlaws im amerikanischen Kino immer schon getan haben.

Ruhe vor dem Sturm

Unter dem weiten Himmel wird ihre Haltlosigkeit offenbar. Sie erinnert an die der beiden Frauen in Zoncas schönem Erstling "La vie rêvée des anges" (1998), die nur in der Freundschaft zueinander einen Fixpunkt fanden.

Ähnlich magnetisch, ähnlich kurz finden Julia und der Junge zueinander. Seine zweite Entführung wird zu einer Art Test für ihre Menschlichkeit, plötzlich sieht sie ihr eigenes Handeln gespiegelt.

Das wirkt aufgesetzt und künstlich und soll auch so sein. Als Julia von einem Gangster nach ihrem Namen gefragt wird, sagt sie "Gloria". So hieß die Titelheldin in John Cassavetes Klassiker, den "Julia" in mancher Hinsicht zitiert. Künstlich - und eine Illusion! - ist denn auch der einzige Moment, der sich für Julia wie eine Erlösung anfühlt.

An Julias erstem Morgen in Mexiko kuschelt sie mit Tom im Bett, blickt danach über die Dächer von Tijuana und atmet tief durch. In diesem einzigen ruhigen Moment des Films wird Tom entführt.

JULIA, F 2007 - Regie: Erick Zonca. Buch: Aude Py, E. Zonca. Kamera: Yorick le Saux. Schnitt: Philippe Kotlarski. Mit: Tilda Swinton, Saul Rubinek, Kate del Castillo. Kinowelt, 138 Minuten.

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