Neuer japanischer Trend: der SMS-Roman:Muße im Sekundentakt

Das E-Buch boomt, zumindest in Japan - dort finden Handyromane reißenden Absatz. Autoren tippen ihre Bücher ins Mobiltelefon, und zwar überall und zu jeder Zeit.

Florian Coulmas

Lesefeindlichkeit wird der Generation Maus nachgesagt, die ohne Bildschirm und Klick nicht mehr leben kann. Was sich nicht bewegt und mehr als ein paar Sekunden braucht, um verarbeitet zu werden, wird gar nicht mehr wahrgenommen. Das Ende der Buchkultur, oh weh!

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Gedruckte Bücher - in Japan bald ein Relikt der Vergangenheit?

(Foto: Foto: dpa)

Allein, das Buch war auch nur ein Vehikel zur Aufbewahrung und Weitergabe von Fakten und Fiktionen. Jetzt tritt etwas anderes wenn nicht an seine Stelle, so doch neben es. Auf dem japanischen Markt ist es nicht mehr zu übersehen, das E-Buch ist da, und zwar massiv. Als die ersten Tageszeitungen ihren Lesern vor rund zehn Jahren die Online-Lektüre auf einem Zaurus anboten, hatten sie damit wenig Erfolg. Das Gerät war zu teuer und zu speziell. Der Fortschritt der Technik aber hat alles viel einfacher und billiger gemacht, kann man doch mittlerweile riesige Textmengen auf sein Mobiltelefon herunterladen, das sowieso jeder immer bei sich hat.

Lesen ohne Limit

Die Entwicklung wird von eben dieser buchscheuen Generation vorangetrieben. Mit ihrem Mobiltelefon wollen sie keineswegs nur Musik hören, Videos angucken und E-Mails austauschen, sie wollen auch lesen, und zwar Bücher oder was einmal so hieß. Dass hier zig Millionen Kunden darauf warten, bedient zu werden, ist den großen japanischen Verlagen nicht entgangen. Sukzessive gehen sie dazu über, ihre gesamte Kollektion online abrufbar zu machen.

Shinchosha etwa erkannte das Potential sehr früh und schreibt dank seiner 30000 Subskribenten im Online-Bereich seit vorigem Jahr schwarze Zahlen. Kadokawa Digix hat sich mit anderen Verlagen zusammengetan und bietet zum Pauschalpreis von 315 Yen, knapp zwei Euro, monatlich "Lesen ohne Limit" an. Hinzu kommen die von den Telefonfirmen erhobenen Gebühren fürs Herunterladen, die zwischen 100 und 500 Yen pro Buch schwanken. Das Angebot der herunterladbaren Bücher beinhaltet praktisch alles, wovon der Verlag das Copyright hat. 200000 Zugriffe täglich bestätigen das Konzept.

Maho no Shotenkan, die "magische Bücherei" (http://4646.maho.jp - für Abenteuerlustige) ist ein virtueller Buchladen, in dem man sich tummeln kann: 700000 Titel sind im Angebot. Die Kunden sind jung, mehr Frauen als Männer, viele von ihnen gehen nie in normale Buchläden. E-Bücher kann man auch im Dunkeln lesen. Sie beschweren einem nicht zusätzlich die Taschen. Und man braucht keinen Umweg zu machen, um sie sich zu besorgen. Das sind ihre wichtigsten Vorzüge für die Leser.

Der Mobiltelefonromancier

Überraschend für die Verlage war die Wirkung des interaktiven Charakters des Mediums. Wer auf seinem Mobiltelefon E-Mails empfängt, verschickt auch solche, und wer darauf Romane liest - ja, in der Tat - der schreibt auch welche. Das Medium hat den Mobiltelefonromancier hervorgebracht. Den Anfang machte vor sechs Jahren der Schriftsteller Yoshi, der einen Roman als Blog veröffentlichte.

Seither sind viele blutige Laien ohne jede Erfahrung seinem Beispiel gefolgt. Kürzlich hat die "magische Bücherei" unterstützt von Telecom-Gigant NTT DoCoMo den weltweit ersten Preis für den besten Mobiltelefonroman verliehen, bei rund 2400 Einsendungen keine leichte Aufgabe. Mit dem Sonderpreis wurde ein Weltuntergangsroman ausgezeichnet, der die letzten 24 Stunden auf unserem Planeten beschreibt. So weit ist es freilich noch nicht, erst müssen all die Romanzen und Horrorgeschichten gelesen werden, mit denen die E-Schriftsteller ihre Leserschaft begeistern.

Sie schreiben ihre oft unverhohlen biographischen Geschichten auf dem Mobiltelefon, dem Medium entsprechend, kompakt und hastig. In den Pausen während seiner Arbeit als Gebrauchtwagenverkäufer tippte SINKA, der vorher freiwillig nie mehr als zwei Zeilen geschrieben hatte, auf seinem Mobiltelefon den Roman "Ich will dich wiedersehen" und erreichte 100000 Leser. Verglichen mit Mika ist das bescheiden. Ihr "Liebeshimmel" hat über 1,2 Millionen Käufer gefunden, über 17 Millionen Besucher zählt ihre Webseite. Chako ist in der gegenwärtigen Bestsellerliste gleich mit drei Titeln über je 200000 Exemplare vertreten.

Die Medienrevolution nimmt ihren Lauf

Professionelle Schriftsteller rümpfen über diese Art Literatur die Nase, lernen von ihr aber auch das Fürchten. Sie hat etwas Unmittelbares, Naives, Kunstloses, was aber offensichtlich verfängt und zum Lesen reizt. Warum aber ist dieser Boom gerade in Japan so ausgeprägt? Mehrere Faktoren kommen zusammen. In Japan wird viel gelesen. Ein Buch, eine Zeitung bei sich zu haben, ist normal.

Das Mobiltelefon ist da tatsächlich nur eine neue Verpackung. Sich seiner so vorbehaltlos zu bedienen, hat aber mit einer anderen japanischen Eigenheit zu tun, der enthusiastischen Technikfreundlichkeit. Die Sorge, zum Sklaven der Maschine zu werden, plagt die Japaner nicht. Jedes neue Spielzeug muss ausprobiert werden, wenn es nichts taugt, wandert es in den Müll. Ein Telefon zum Lesen und Schreiben, warum nicht! Welche neuen Möglichkeiten sich damit eröffnen, erfährt man nur, wenn man es selber ausprobiert.

Dazu braucht man natürlich auch Zeit, wovon die fleißig arbeitenden Japaner gewiss nicht mehr haben als andere. Aber ihre Zeiteinteilung ist anders. Wenn man mit dem Auto fährt, kann man keinen Roman lesen, geschweige denn schreiben. Wenn man im Zug sitzt oder steht, schon. Und das tun die meisten Japaner ausgiebig. Das Mobiltelefon ist das für den japanischen Lebensstil ideale Instrument, um in Kontakt zu bleiben und seine Zeit sinnvoll zu verbringen.

Das Lesen auf dem kleinen Display muss doch für Bibliophile eine Zumutung sein. Mag sein, aber die Technik spielt auch eine Rolle, die Hardware und die Software. Die Displays der heutigen japanischen Mobiltelefongeneration sind größer, schärfer und lichtstärker als bisher. Auf eine Displayseite passen ungefähr 100 Zeichen, was je nach Textsorte einem Drittel oder halb so vielen Wörtern entspricht. Die Informationsdichte ist erheblich größer als die alphabetisch geschriebener Texte. Man braucht nicht nach jedem Satz umzublättern und liest überdies schneller.

Die Zeit, die Technik und die japanische Schrift wirken zusammen und sind der E-Lektüre förderlich. Unterdessen nimmt die Medienrevolution weiter ihren Lauf, der nach wie vor kulturell geprägt ist.

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