Süddeutsche Zeitung

Neuer Film von Michael Moore:"Unser System war schon kaputt, bevor Trump auftauchte"

  • Auf dem Werbeplakat zu seinem neuen Film "Fahrenheit 11/9" bezeichnet Michael Moore US-Präsident Trump als "Tyrann, Lügner und Rassisten".
  • Seine Dokumentation ist aber überraschend reif und ambitioniert.
  • Im Gegensatz zu früheren Werken rückt sich der Filmemacher nicht selbst in den Mittelpunkt, sondern lässt Menschen zu Wort kommen, die Amerika retten sollen.

Von Matthias Kolb, Toronto

Knapp zwei Jahre nach dem Wahlsieg von Donald Trump geht die Suche nach den Schuldigen weiter. Wladimir Putin, Ex-FBI-Chef James Comey, die elitären Medien - sie sind nach Meinung der progressiven Hälfte Amerikas dafür verantwortlich, dass Hillary Clinton nicht zur Präsidentin gewählt wurde. In "Fahrenheit 11/9" präsentiert Dokumentarfilmer Michael Moore eine neue Theorie: Übeltäterin ist demnach die Sängerin Gwen Stefani, denn die Moderatorin der Talent-Show The Voice sollte vom TV-Sender NBC mehr Geld erhalten als Trump für The Apprentice. Um zu beweisen, dass er populärer sei als Stefani, habe Trump seine Kandidatur fürs Weiße Haus erklärt - und plötzlich Gefallen an der Politik gefunden.

Dass Moore keine Belege für diese amüsante Theorie nennt, werden ihm seine Fans verzeihen. Sie wissen, wo der 64-Jährige im politischen Spektrum steht (ziemlich weit links) und was er mit seinem neuen Film erreichen will: Bei der Kongresswahl im November sollen die Wähler die Macht des US-Präsidenten begrenzen, der auf dem Kinoplakat als "Tyrann, Lügner und Rassist" bezeichnet wird.

Der Titel des Films, der am 21. September in 1500 US-Kinos anläuft, spielt natürlich auf Moores populärstes Werk "Fahrenheit 9/11" an. Es erschien kurz vor der Wahl 2004 und warnte vor George W. Bush und dessen "Krieg gegen den Terror". Während das Datum "9/11" einen der schlimmsten Tage in der jüngeren US-Geschichte markiert, die koordinierten Terroranschläge in New York und Washington, meint "11/9" jenen zumindest verhängnisvollen Tag im November 2016, als Trump Präsident wurde. Trotz dieser gewagten Parallele, die Moore mit dem Titel zieht, ist "Fahrenheit 11/9" überraschend reif und ambitioniert. (Vor allem im Vergleich zu seinem Anti-Bush-Film.)

"Er hat seine Verbrechen vor den Augen der Öffentlichkeit begangen"

Vor der Weltpremiere beim TIFF-Festival in Toronto erklärt Moore, dass sein Film nicht nur erklären solle, "wie zur Hölle wir in diese Lage kommen konnten", sondern dass er auch Lösungsvorschläge anbieten wolle. Und so drehen sich nur die ersten 20 Minuten direkt um den absurden Wahlkampf des Jahres 2016, in dem alle Experten und Konkurrenten Trump zunächst nicht ernstnahmen und ihn dann nicht stoppen konnten. Meisterhaft montiert der Oscar-Preisträger Szenen aus TV-Debatten und Talkshows mit Archivmaterial über Trumps Sexismus und seine seltsamen Immobilien-Geschäfte zusammen.

"Er hat seine Verbrechen vor den Augen der Öffentlichkeit begangen", spricht Moore staunend aus dem Off und niemand habe protestiert. Sich selbst nimmt er nicht aus von der Kritik. 1998 sei er mit dem späteren Präsidenten in der Talkshow von Roseanne Barr aufgetreten und habe nur nette Fragen gestellt, weil Trump zuvor gedroht hatte, alles abzusagen. "Fahrenheit 11/9" wird im Laufe der zwei Stunden immer besser, weil Moore anders als früher oder im vergangenen Jahr noch in seiner Trump-Broadway-Show nicht im Mittelpunkt steht. (Kein einziges Mal erwähnt er etwa, dass er im August 2016 vorhersagte, dass Trump in Michigan, Wisconsin, Pennsylvania und Ohio gewinnen werde). Stattdessen stellt er vor allem Fragen und gibt jenen Leuten Raum, von denen er hofft, dass sie Amerikas Demokratie retten.

Er nimmt die Zuschauer mit ins Hauptquartier der Schüler rund um David Hogg und Emma Gonzalez, die nach dem Massenmord an ihrer High School in Parkland, Florida, für strengere Waffengesetze und gegen den Einfluss der NRA-Lobbyisten kämpfen. Moore trifft Lehrer in West Virginia, die wochenlang streikten, um eine Krankenversicherung sowie einen Lohn zu erhalten, der über dem Armutsniveau liegt. "Die meisten Schüler haben mich als 'Mom' in ihren Handys eingespeichert", erzählt eine Lehrerin über den Alltag in einem der ärmsten Bundesstaaten, der von Arbeitslosigkeit und Schmerzmittelmissbrauch geprägt ist - und in dem Bildung offensichtlich keine hohe Priorität für die Politiker hat. Diese Beispiele illustrieren eine der zentralen Moore-Thesen: "Unser System war schon kaputt, bevor Trump auftauchte."

Viel Zeit widmet Moore seiner Heimatstadt Flint in Michigan, wo seit 2014 das Leitungswasser für die mehrheitlich schwarze Bevölkerung vergiftet ist. Wer dafür die Verantwortung trägt, ist klar: Multimillionär Rick Snyder, der vor seiner Wahl zum Gouverneur keinerlei politische Erfahrung besaß und versprach, den Bundesstaat wie ein Unternehmen zu führen. Für Moore ist Snyder nicht unbedingt das Vorbild für, aber doch ein Vorläufer von Trump, der offenbart habe, womit konservative Politiker heute durchkommen und was die Bürger hinnehmen.

Snyder senkte Steuern, privatisierte Schulen (mithilfe von Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos) und setzte für arme Kommunen wie Flint Notfall-Manager ein. Bis heute verwenden die Menschen in Flint Wasser aus Plastikflaschen zum Duschen und Zähneputzen. Nicht nur für Moore skandalös in einem reichen Industriestaat wie Amerika. "Das habe ich im Irak gemacht", klagt in seinem Film eine schwarze Ex-Soldatin. Noch schlimmer ist aber, dass Top-Politiker und Behörden Bescheid wussten und nichts unternahmen. Moore stellt April Cook-Hawkins vor, die für das Gesundheitsamt Daten über den Bleigehalt im Blut von Kindern fälschen sollte - und dafür gefeuert wurde. Sie fürchtet, dass Eltern bis heute nicht wissen, dass ihre Kinder behandelt werden müssten.

Scharfe Kritik an Obama und dem demokratischen Partei-Establishment

Moore beklagt nicht nur, dass Hillary Clinton sich nicht wirklich für Flint eingesetzt habe. Er zeigt auch Archivaufnahmen vom Besuch Obamas in Flint, als der damalige Präsident lächelnd Leitungswasser trank und so die Sicht der Snyder-Regierung stützte, dass alles halb so schlimm sei. "Als er kam, war er mein Präsident. Als er fuhr, war Obama das nicht mehr", sagt eine schwarze Aktivistin bitter. Die Kritik an Obama ("niemand nahm mehr Spenden von Goldman Sachs an als er") ist deutlich, aber noch härter attackiert Moore das Partei-Establishment der Demokraten.

Unter Bill Clinton sei die Partei nach rechts gerückt. Sie nahm Spenden von Firmen an, deregulierte die Banken, baute den Sozialstaat ab und warb für Freihandel. Moore präsentiert wütend viele Statistiken, die belegen, dass die US-Gesellschaft eigentlich linksliberal ticke, und betont, dass die Demokraten bei sechs der sieben vergangenen Wahlen die meisten Stimmen erhalten hätten. Dass dennoch die Republikaner dominierten, liegt für Moore an der Führungsspitze um Nancy Pelosi, die zu kompromissbereit sei und nicht genug für die normalen Leute in Flint oder West Virginia kämpfe.

Es wundert also wenig, dass Moore ausgerechnet die linke Kandidatin Alexandria Ocasio-Cortez aus dem New Yorker Stadtteil Bronx im Wahlkampf begleitet oder Rashida Tlaib aus Michigan, die bald als erste Muslima im Repräsentantenhaus sitzen wird. Gegen Trump und die Republikaner zu stimmen, so Moores Botschaft, reicht nicht aus: Die Richtung müsse sich ändern.

Für kontroverse Debatten und Anfeindungen von konservativen Medien dürfte das Ende von "Fahrenheit 11/9" sorgen, denn hier zieht Moore Parallelen zwischen dem Erfolg von Trump und dem Aufstieg von Adolf Hitler. Zunächst vermischt er eine Trump-Rede mit den historischen Aufnahmen eines Hitler-Auftritts ("Ich bin Satiriker, ich konnte einfach nicht widerstehen", gestand er der Washington Post). Doch danach liefert er mithilfe des Yale-Historikers Timothy Snyder einige Argumente.

Trump sei kein Massenmörder wie der NS-Diktator, aber die Ähnlichkeiten eben verblüffend, so Moore. Hitler nutzte die neuen Medien - damals Radio und Fernsehen - besser als die Konkurrenten. Die Eliten sowie die anderen Parteien waren lange überzeugt, die NSDAP kontrollieren zu können (mehr dazu in diesem SZ-Interview mit Timothy Snyder). Moore geht es vor allem darum, seine Zuschauer dafür zu sensibilisieren, was Trump mit seinen ständigen Attacken auf Medien, Opposition und die Justiz vorhabe: Es gehe darum, Kritiker zu diskreditieren und kontrollierende Institutionen zu delegitimieren.

Vom US-Filmstart in zwei Wochen bis zur Kongresswahl am 6. November wird sich Michael Moore oft zu Wort melden - in Interviews und über Twitter, wo ihm sechs Millionen Menschen folgen. Er wird alles dafür tun, damit die Republikaner ihre Mehrheiten verlieren und sich vor allem für linke Demokraten einsetzen, die mehr soziale Gerechtigkeit und eine Krankenversicherung für alle fordern.

"Ich bin gegen Hoffnung. Hoffnung, das war die Obama-Zeit"

Der Dokumentarfilmer will sich nicht damit zufriedengeben, Trump möglichst bald aus dem Weißen Haus zu jagen. Die Frage, wie man dieses Amerika retten solle, sei falsch gestellt, sagt er am Ende des Films: "Das Amerika, das ich retten will, hat es noch gar nicht gegeben."

Bei der Premiere in Toronto gibt es viel Applaus für "Fahrenheit 11/9" - und auch für die anwesende Whistleblowerin April Cook-Hawkins aus Flint sowie die Schüler aus Parkland. Als Moore sie von der Bühne aus als "Generation der Massenschießereien" vorstellt, ruft jemand aus dem Publikum: "Es ist die Generation der Hoffnung." Das gefällt Moore nicht besonders, weshalb er kontert: "Ich bin gegen Hoffnung. Hoffnung, das war die Obama-Zeit. Wir brauchen nun eine Generation der Taten."

Amerikas erfolgreichstem Dokumentarfilmer geht es längst um mehr als nur um Trump.

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