Lars von Triers neuer Film Melancholia:Geil, der Weltuntergang ist da!

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Porno-Drehs und Nazi-Sprüche - Regisseur Lars von Trier ist der Skandalmeister des internationalen Kinos. Doch wie lässt sich das noch toppen? Mit seinem bilderstarken Meisterwerk "Melancholia", in dem die Welt ziemlich hübsch und mit einer irritierenden sexuellen Komponente untergeht.

Martina Knoben

Ist es cineastischer Geheimnisverrat, wenn man erzählt, dass in diesem Film die Welt untergeht? Oder hat es sich längst herumgesprochen, dass Lars von Trier sie endgültig auslöscht in "Melancholia" - nicht beinahe vernichtet, wie in den meisten Katastrophenfilmen, sie auch nicht Architekturdenkmal für Architekturdenkmal in Schutt und Asche legt, sondern mit einem Schlag ausradiert aus dem Sonnensystem.

Der Weltuntergang beginnt mit einer Hochzeit: John Hurt als Dexter und Kirsten Dunst als Justine in "Melancholia! (Foto: dapd)

Nun macht der Film selbst kein großes Geheimnis daraus. Schon in der Ouvertüre, einem mehrminütigen Zusammenschnitt surrealer Endzeitszenen von überwältigender hypnotischer Qualität, ist das Ende der Welt als Zusammenprall zweier Planeten zu sehen. Lars von Trier hat die Sequenz zum Vorspiel von Wagners "Tristan und Isolde" montiert: in Zeitlupe vom Himmel fallende Vögel; eine Braut schwebt zwischen Seerosen im Wasser; ein Pferd - Traumsymbol des Lebens - das in sich zusammensinkt; ein Park mit Sonnenuhr und gestutzten Bäumen, die zwei Schatten werfen. Alles in dieser Ouvertüre, die viel Kunst- und vor allem Filmgeschichte verdreht zitiert, verheißt Unheil - und ist dabei betörend schön. Der eigentliche Weltuntergang sieht ein bisschen wie die Befruchtung in den Aufklärungsfilmen im Biologieunterricht aus: Ein gewaltiges "Ei" - der Planet Melancholia - nimmt die vergleichsweise winzige Erde in sich auf. Begleitet wird das von einem beunruhigenden niederfrequenten Wummern. Aus dem kosmischen Abstand sieht dieser Weltuntergang ziemlich gut aus und hat, wie gesagt, auch eine irritierende sexuelle Komponente: Geil, wie hier die Erde verschwindet, in einem Super-Orgasmus!

Seinen Hang zum radikalen Tabubruch hatte von Trier kürzlich in Cannes mit der ominösen "Okay, ich bin ein Nazi"-Bemerkung bewiesen. Und als nächsten Film hat der Regisseur einen Porno mit dem Titel "Nymphomaniac" angekündigt. So richtig verwundern kann das nach Skandalfilmen wie "Antichrist" (2009) oder "Idioten" (1998) nicht.

"Melancholia" ist eingängiger, was bedeutet, dass die wenig menschenfreundliche Botschaft - Weltekel und die Lust an der Vernichtung allen Lebens - wie eine Schlange ins Bewusstsein kriecht. Das Auge lässt sich nun mal leicht verführen. Und Lars von Trier bietet mit "Melancholia" denn auch ganz große Oper - wie man so sagt, wenn eine Performance sehr virtuos, sehr pathetisch und künstlich ist und den Zuschauer am Ende erschüttert und etwas ratlos zurücklässt. Immerhin war er ja auch als Regisseur für Bayreuth im Gespräch, sollte 2006 den "Ring" inszenieren, bevor er kurzfristig absagte.

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Dass ihm die Arbeit an "Melancholia" viel Spaß gemacht und aus einer langen Depression befreit habe, hat von Trier ebenfalls erzählt, und man glaubt es ihm gern. Nichts belebt einen Melancholiker mehr, als sich das Schlimmstmögliche vor Augen zu führen. Womit wir bei Justine wären, einer der beiden zentralen Figuren in "Melancholia", diejenige, mit der sich der Regisseur angeblich stark identifiziert. Kirsten Dunst hat für ihre Darstellung in Cannes die Silberne Palme bekommen.

Zunächst ist Justine eine strahlende, kichernde, wunderschöne, kurz: die perfekte Braut. In einer Stretch-Limousine versuchen sie und ihr Ehemann Michael (Alexander Skarsgård) einen engen Serpentinenweg hochzufahren, was an der Länge des Autos fast schon slapstickhaft scheitert. Zu Fuß und viel zu spät kommt das Brautpaar am herrschaftlichen Landsitz der Brautschwester Claire (Charlotte Gainsbourg) und ihres reichen Ehemannes John (Kiefer Sutherland) an, wo die Hochzeitsfeier schon im Gange ist. Udo Kier gibt den Hochzeitsplaner, der ob der Unpünklichkeit des Paares sich die Haare rauft - noch wirkt das Ganze wie ein komisches Gesellschaftsstück.

Das ändert sich schnell, als die ersten Reden gehalten werden. Der Arbeitgeber der Braut fordert einen fälligen Slogan ein (Justine arbeitet in der Werbung). Ihr Vater (John Hurt als haltloser Weiberheld und Trunkenbold) und ihre Mutter (Granit im Hippie-Shirt: Charlotte Rampling) führen ihren Ehekrieg fort. Man kann mit amüsierter Nachsicht auf solche Figuren blicken. Die nervöse Handkamera, mit der Lars von Trier diese Hochzeitsgesellschaft studiert, erinnert jedoch eher an die dänische Dogma-Bewegung, die der Regisseur mitbegründete, das Sujet an Thomas Vinterbergs "Das Fest", in dem ebenfalls eine monströse Familie viviseziert wurde.

Justine jedenfalls sinkt Stunde für Stunde tiefer in ihre Depression. Schließlich benimmt sie sich so sehr daneben, dass sie am Ende ihrer Hochzeit ihre Existenz komplett vernichtet hat: Der Job ist weg und der frischgebackene Ehemann auch. Dass die Party unter einem bösen Stern stand, einem rotleuchtenden, den Justine mit einem Blick über die Schulter am Sternenhimmel erspäht, wusste man schließlich aus der Ouvertüre.

Auf diesen satirisch-realistischen ersten Teil, der mit "Justine" überschrieben ist, folgt ein zweiter unter dem Namen der anderen Schwester, "Claire". Sie ist die vernünftige der beiden, hat Mann und Kind, also viel zu verlieren. Sie päppelt Justine nach deren Zusammenbruch wieder auf. Im Angesicht des herannahenden Planeten verliert Claire jedoch zunehmend die Fassung, während Justine aufblüht, sich "sonnt" im Schein des Todessterns, nackt hingegossen an einem Fluss. In diesem Bild fallen Eros und Thanatos zusammen. Der Countdown zum Weltuntergang, der dieser zweite Teil ist, verläuft denn auch nicht linear, sondern als Totentanz - so haben Wissenschaftler die Bewegung der Planeten beschrieben.

Dabei gibt es durchaus Elemente des Katastrophenfilms. Während dieser jedoch letztlich wenig Angst macht, weil immer ein Schlupfloch bleibt, durch das die Guten entkommen können, gibt es in "Melancholia" keinen Ausweg. Das bedeutet nicht, dass Schaulust keine Rolle spielte: Kirsten Dunst dabei zuzusehen, wie sie zu einer illusionslosen, trancehaften Sicherheit findet und im Schein der herannahenden Katastrophe badet, bereitet ein verbotenes Vergnügen. Und die Bilder des gigantischen Todesplaneten am Horizont gehören jetzt schon zu den unvergesslichen Momenten dieses Kinojahrzehnts.

Verblüffend ist, wie sie den Bildern in "Another Earth" von Mike Cahill ähneln, in dem eine zweite Erde in unserem Sonnensystem auftaucht; der Film wird im November in unseren Kinos anlaufen. Auch Terrence Malick hatte in "Tree of Life" das Schicksal der Menschen in einen kosmischen Zusammenhang gestellt. Womöglich lässt sich hieran die Sehnsucht unserer Zeit nach Bedeutung, Wucht und Authentizität erkennen. Für viele - eine Figur wie Justine etwa, vielleicht auch für ihren Schöpfer Lars von Trier - gehört dazu zwingend das Leiden.

Lars von Trier hat mit "Melancholia" aber nicht nur sein eigenes Leiden verarbeitet. Er trifft auch eine größere Stimmungslage. Gleich mehrere Katastrophenfilme kommen in diesem Herbst in unsere Kinos: Steven Soderberghs Virenthriller "Contagion" zum Beispiel und die private Spielart des Katastrophenfilms, das Krebsdrama, wie es unter anderem Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke" darstellt.

Wenn man ein altes Presseheft zu "Flammendes Inferno" (1974), dem Katastrophenfilm-Klassiker über den Brand eines Hochhauses, noch einmal durchblättert, versteht man diese Endzeitstimmung besser: "Wie die Helden von ,Flammendes Inferno' empfinden heute offenbar viele Menschen", steht da. "Der Glaube an die unermessliche Ausbeutung der Natur und Energieressourcen, an die obligatorische Steigerung von Wohlstand und Gewinn hat sich praktisch in nichts aufgelöst. Wer glaubt heute schon noch daran, alle Träume realisieren zu können?"

MELANCHOLIA - Regie, Buch: Lars von Trier. Kamera: Manuel Alberto Claro. Schnitt: Molly M. Stensgaard. Mit: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Udo Kier. Concorde, 130 Min.

© SZ vom 05.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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