Neuer Feminismus:"Ich gehe jetzt öfters mal in den Puff"

Ist dies das Ende der Emanzipation - oder ihr Anfang? Warum Frauen heute so drastisch über Lust und Liebe schreiben.

Svenja Flasspöhler

Schon wieder eine Frau, die sich am liebsten von hinten nehmen lässt. Gerade erst haben wir Toni Bentleys Geständnisroman "Ich ergebe mich" verdaut, in dem die Ex-Ballerina die Vorzüge des Analverkehrs schildert und behauptet, dass keine andere Sexualpraktik derart lustvoll sei.

Baise moi, neuer feminismus ap

In "Baise moi" rächen sich zwei Frauen für eine Vergewaltigung - allerdings töten sie ihre Opfer nicht nur, sondern haben vorher mit ihnen Geschlechtsverkehr.

(Foto: Foto: ap)

Jetzt ist es Helen Memel, die Protagonistin aus Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete", die, trotz ihrer Hämorrhoiden, Analverkehr bevorzugt. Geschickt lenkt sie das Glied vorbei am "wuchernden Blumenkohl" und kriegt einen Orgasmus, "obwohl der Schwanz nur in meinem Arsch steckt und sonst nix berührt wird". Wenn sie mit jemanden ins Bett gehe, dann begebe sie sich erstmal in "Doggystellung", um zu testen, "ob es einer ernst mit mir meint."

Interessanterweise sind es vor allem Männer, die nach der Lektüre solcher Bücher etwas knopfäugig dreinblicken. Und fragen, warum denn Frauen in letzter Zeit immer wieder ihre Lust an sexueller Unterwerfung betonen, obwohl sie doch eigentlich angeblich seit 40 Jahren dabei sind, sich aus den Fangarmen männlicher Macht zu befreien?

Lust an der Unterwerfung

Tatsächlich ist auffällig, dass Frauen seit der Jahrtausendwende vermehrt Bücher und Filme produzieren, deren Heldinnen mit frauenrechtlerischen Racheengel-Idolen wie Thelma und Luise nur wenig zu tun haben. In Coralie Trinh This und Virginie Despentes' Roadmovie "Baise moi", um nur ein Beispiel zu nennen, rächen sich zwei Frauen für eine Vergewaltigung - allerdings töten sie ihre Opfer nicht nur, sondern haben vorher mit ihnen Geschlechtsverkehr, und das zumeist in formvollendet pornographischem a-tergo-Stil.

Sind die Frauen also doch schwach geworden? Hat sich der Feminismus totgelaufen im Wirrwarr postmoderner Beliebigkeitsrhetorik? Betrachten wir die "Feuchtgebiete" genauer, dann fällt auf, dass die sexuelle Lust an der Unterwerfung durchaus nicht mit Resignation und Affirmation einhergeht. Im Gegenteil.

"Ich gehe jetzt öfters mal in den Puff"

Zunächst einmal das offensichtlichste Argument: Eine Frau, die nur männlicher Begehrlichkeit entspricht, hat keine Hämorrhoiden, und wenn sie welche hat, erzählt sie es nicht. Roches Heldin aber erzählt nicht nur von den "wolkenförmigen Hautlappen", sondern auch über ihren Ausfluss, ihr Menstruationsblut und "Wundblasenwasser". Indem Roche den Frauenkörper als feuchte, riechende Bazillenschleuder darstellt, verunmöglicht sie seine althergebrachte Fetischisierung: Die Frau ist nicht länger die glatte, auf Hochglanz polierte Oberfläche, aus ihren Poren dringen Flüssigkeiten, die eine narzisstische Spiegelung des männlichen Blicks zumindest trüben.

Darüber hinaus entzieht Roche der althergebrachten Mythologisierung der Frau und damit auch der männlichen Schaulust jede Grundlage. Helen verkörpert nicht das Freudsche "Rätsel der Weiblichkeit", ihre Sexualität ist nicht der geheimnisvolle dark continent, der erst noch entdeckt werden will. Helen Memel hat sich nämlich längst selbst entdeckt, sie kennt ihren Körper bis in die letzten Ritzen. Sie findet den Gedanken unerträglich, dass der Mann etwas über sie oder ihr Geschlecht im Allgemeinen wissen könnte, dass sie selbst nicht weiß.

Nicht mehr glatt und weich

Deshalb macht sie auch vor jenen Orten nicht Halt, die traditionellerweise allein ihm zugedacht sind: "Ich bin jetzt öfters im Puff zur Erforschung des weiblichen Körpers." Dass Helen mit ihrer grenzenlosen Schau- und Wissenslust - sie studiert die Frauen im Puff nicht nur, sie hat auch Sex mit ihnen - Neuland betritt, zeigt ein Vergleich mit Elfriede Jelineks Protagonistin Erika aus "Die Klavierspielerin". Auch Erika geht zwar in eine Peepshow, aber "bei ihr rührt und regt sich weiter nichts", sie will nur schauen, und als es ihr zu brenzlig wird, verlässt sie die Kabine: "Erika ist an eine Grenze gestoßen. Bis hierher und nicht weiter. Das geht ihr dann doch zu weit, sagt sie wie schon oft. Das Weiter will sie auch diesmal nicht kennenlernen."

Helen dagegen interessiert sich gerade für das "Weiter", sie hat keine Angst vor den eigenen Abgründen. Während Frauen 'es' eigentlich, so sagt man, zart, weich, liebevoll mögen, steht Helen als Analsexverfechterin auf eine Praktik, die man aus Pornofilmen kennt, weil sie aufgrund ihres Überschreitungsgrades für höchste voyeuristische Lust sorgt. Allerdings, angeblich, nur bei Männern.

So heißt es in der Geschichte der Pornographie von Montgomery Hyde: "Frauen gefällt mehr jene Literatur und Kunst, die gefühlsbetonte Verbindungen, Romantik und Liebe enthalten. Allgemein ausgedrückt heißt dies, dass Frauen an reiner Pornografie nicht interessiert sind. Für sie ist diese Art der Behandlung eines sexuellen Themas zu brutal." Aber ist das tatsächlich so? Sind weibliche Sexphantasien durchweg politisch korrekt?

In ihrem Buch "Frauenpornographie" fasst Corinna Rückert eine diesbezügliche Studie wie folgt zusammen: 47 Prozent der befragten Frauen fühlten sich durch Inszenierungen freiwilliger Unterwerfung erregt, 30 Prozent "reizte die spielerisch-rituelle verbale Gewalt und Gewalthandlungen (symbolische Fesselung, angedeutete Züchtigung etc.) des Mannes". Nach ihren Sexphantasien befragt gaben 81 Prozent der Frauen an, diese hätten "Kontrollverlust-Inhalte", und 66 Prozent antworteten, dass sie sich freiwillige Unterwerfungsszenarien vorstellen.

Aber ist das geschlechterpolitisch bedenklich? "Die Frau, die eine selbstbewusste Sexualität hat", so Charlotte Roche in einem Interview, "fühlt sich bei den Sachen, wo die Feministin sofort ,erniedrigend' kreischt, nicht erniedrigt." Die besorgte Feministin protestiert, weil sie annimmt, dass sich die unterwerfende Geste nicht allein aufs Bett beschränkt:

Wo Platz ist

Eine Frau, die sich sexuell erniedrigen lasse, lasse sich auch draußen, im Alltag und in der Arbeitswelt, unterbuttern. Interessant ist aber, dass man bei Männern gemeinhin nichts dergleichen befürchtet: Politikern oder Managern, die sich nach Feierabend von einer Domina geißeln lassen, traut man durchaus - oder sogar gerade - zu, dass sie der Welt am nächsten Morgen wieder zeigen, wo der Hammer hängt.

Weibliche und männliche Frauenbeschützer übersehen also, dass sie im Grunde eine sexistische Ideologie reproduzieren: Sie nehmen an, dass Männer sich besser unter Kontrolle haben als Frauen. Männer, so besagt diese Vorstellung, können ihre Triebe sublimieren, weil sie über ein ausgezeichnetes Über-Ich verfügen, während die arme, willensschwache Frau ihrer Natur verhaftet bleibt.

"Deshalb kann der Mann sexuell begehren, ohne sich selbst aufs Spiel zu setzen; sein Dasein umfasst mehr als bloß seine sexuelle Begierde", resümiert Albrecht Koschorke den abendländischen Geschlechterdiskurs in seinem Buch "Die Heilige Familie und ihre Folgen". "Die Frau aber darf nicht begehrlich sein, denn sie würde sich von ihrer Triebhaftigkeit verschlingen lassen. Der Mann kann sich spalten, er existiert in zwei Dimensionen. Die Frau ist mit sich eins und gerade deshalb in Gefahr, sich jederzeit ohne Rest zu verlieren."

Eine Frau verliert sich aber nicht, wenn sie ihrer Lust folgt. Sie verliert sich, wenn sie gegen ihren Willen am Herd landet. Und vielleicht wäre Letzteres seltener der Fall, wenn sie, insofern sie eine Lust an der Unterwerfung verspürt, diese dort lebt, wo sie am Platz ist. Und nicht im alltäglichen Geschlechterkampf.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: