Neuentdeckung:Welche Frische!

"Der schöne Mann" ist eine Zusammenstellung von Kolumnen, die Walt Whitman 1858 unter Pseudonym im "New York Atlas" schrieb.

Von Juliane Liebert

Ulkigerweise ist fast zeitgleich zu Svenja Flaßpöhlers Streitschrift "Die potente Frau" der Band "Der schöne Mann" erschienen. Das Buch ist eine Zusammenstellung von Kolumnen, die Walt Whitman 1858 unter dem Pseudonym Mose Velsor im New York Atlas schrieb. Eine Anleitung zur Selbstertüchtigung, voller Ratschläge, wie der männliche Körper (und Geist) zur Vervollkommnung gebracht werden können. Und was für ein Buch es ist! So viele Adjektive, soviel Erbaulichkeit und Homoerotik hat man lange nicht am Stück gesehen. Whitman, berühmt für seine Lyrik, stellt große Fragen, von denen man heute einige direkt beantworten kann. Etwa: "Männliche Kraft und Schönheit! Wohnt diesen Worten nicht eine Art Zauber inne - eine faszinierende Magie?" Antwort: Nein. Nein, tut sie nicht, zumindest heute nicht mehr, weil die heutigen Männer alle nicht "Der schöne Mann" gelesen haben. Sie sind verkümmert und krumm geworden in diesem 21. Jahrhundert.

Whitman pflegt eine ganz eigene Mischung aus stilistischer Umständlichkeit und Gefälligkeit. Und offenbar hat sich in den letzten 150 Jahren wenig geändert, was basale Gesundheitsratschläge angeht. Viel Bewegung, aber in Maßen. Immer frische Luft, frisches Essen mit möglichst geringem Verarbeitungsgrad etc. Ziel: Der vollkommene Körper. Zum Thema Diät schreibt Whitman die ewig gültigen Worte: "Es liegt keine geringe Genugtuung in dem Sieg, welchen man mit einem kleinen Aufwand von Willensstärke über die verderblichen Verlockungen der Speisetafel errungen hat. Es ist ein Sieg, der dem Gewinn einer großen Schlacht gleichkommt."

Das Schöne daran ist, dass er das absolut ernst meint. Ebenso wie die Zeilen: "Man sehe sich die prachtvollen Musterexemplare von Viehtreibern, Fuhrleuten, Feuerwehrmännern, Holzfällern, Heumachern, Schiffslotsen etc. pp. an! Welch ein Beispiel von Kraft, Schönheit und Regsamkeit stellen sie dar! Welcher Glanz der Gesichtsfarbe - welche Anmut in der Bewegung -, welche Frische in der ganzen Gestalt und Erscheinung!" YMCA singt es da in einem. Nicht ganz so erbaulich sind aus heutiger Perspektive Whitmans Hinweise, dass zu "einem makellosen Körper" auch "makelloses Blut" gehört. Es gibt zwar wenig konkreten Rassismus in dem Buch, aber Schwarze existieren in Whitmans Welt einfach nicht.

Walt Whitman: Der schöne Mann. Das Geheimnis eines gesunden Körpers. dtv, München 2018. 280 Seiten, 18 Euro.

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