Neue Tracy Chapman-CD:Für sie ist unbedingt Platz im Himmel

Sie ist der Star aller Kirchentage und Lagerfeuer. Und wenn auf einer neuen Packung "Tracy Chapman" steht, dann wird wohl niemand unterm weiten Himmelsrund darin eine Wundertüte vermuten. Was also ist "neu" an Tracy Chapmans neuer CD, Folks? Nun ja, auch ihre Dreadlocks sind länger geworden.

bgr

Ist jemand das Wembley Stadion in London erinnerlich? Nein, nicht als die Bumbum-Boris-Festung, sondern als Konzert-Ort vom 11. Juni 1988?

Neue Tracy Chapman-CD: Statt aufdringlichem Soul mit Schmackes oder Songs zum Mitschunkeln singt Tracy leise. Wie eh und je.

Statt aufdringlichem Soul mit Schmackes oder Songs zum Mitschunkeln singt Tracy leise. Wie eh und je.

(Foto: Foto: dpa)

Eine der Geburtsstunden der politisch korrekten Schrummschrumms und des medial verblasenen Wir-Gefühls. 73000 bewegte Gutmensch-Menschen singen vor einer geschätzten Milliarde Fernsehzuschauer "Happy Birthday, Nelson Mandela." Der wird siebzig, sitzt da aber noch immer hinter südafrikanischen Apartheids-Gittern.

Wir schreiben das Jahr Drei nach Bob Geldofs erstem Live-Aid-Konzert und wieder sind alle für den guten Zweck versammelt: George Michael, Mark Knopfler, Phil Collins, Whitney Houston und was sonst noch der aufrechten Gesinnungs-Betroffenheit Stimme und Ausdruck verleihen kann.

Man ist also aufgewühlt genug, als eine verhuschte Tracy Chapman annonciert wird, die nur mit einer Gitarre und mächtig Timbre in der Stimme das tut, was andere so nie wagen würden: Statt aufdringlichem Soul mit Schmackes oder Songs zum Mitschunkeln singt Tracy leise. Behutsam, eingehend, ebenso bedrückt wie bedrückend.

Das aber ist genau das, wonach Wembley damals und die Wembleyaner United in Folge lechzten. Tracys aufs Persönliche getrimmten Polit-Songs gehen danach weltweit weg wie geschnitten Brot.

Denn die Mischung aus Melodie, Botschaft und einer für junge Frauen ungewöhnlich klaren und markanten, manchmal düster raunenden Stimme ist echte Abwechslung im Tingeltangel-Einerlei des sonstigen "We Are The World"-Schwelgens. Offensichtlich kann man sich als Ziel von politischer Musik doch mehr als nur eine Weihnachts-Bescherung für die Menschheit denken und dazu schon mal den polierten Hintergrund-Chor abstellen.

Tracy, wiegesagt, ging danach ab wie ein Zäpfchen und tourte auch im Zeichen von Amnesty International auf Welttournee. Und irgendwann hatte dann wirklich jeder begriffen, dass die Revolution wohl doch mit einem Wispern beginnen wird - oder muss.

Inzwischen ist man bei Album Sieben angelangt. "Where you live", heißt es und Tracy ist darauf endgültig erwachsen geworden. Wo damals jugendliche Unbedingtheit den Wunsch nach Gerechtigkeit beseelten, trifft man heute auf Selbstbewusstsein, die souveräne Diagnose und den klaren Willen zur Gestaltung.

Natürlich ist Tracy immer noch Tracy. Und es geht ihr immer noch um Liebe, Gerechtigkeit, Unterdrückung und Heimat.

Manches klingt so erdschwer wie gehabt und hat auch darum das Zeug zum Klassiker, etwa das fordernde "Change" oder auch das empörte "America".

Tracy Chapman gleitet allerdings nie in Zynismus ab, das muss man ihr wirklich zugute halten und hoch anrechnen - ein Wunder auch angesichts dieses mittlerweile in Jahrzehnten zu rechnenden Dauer-Engagements.

Auf der neuen CD reduziert sie den Klangapparat, betont das Melodiöse ihrer Stimme und kommt fast ausschließlich mit dem Perkussionisten Quinn und mit dem Gitarristen Joe Gore aus.

Sie konzentriert sich also auf das, was sie besten kann: Singen.

Ihre Stimme hat wirklich immer noch dieses Timbre, das einem die typischen Chapman-Schauer über die Haut treibt. Auch wenn man ihr wegen der ewigen Bewegtheit mitunter über den Kopf streichen möchte und sagen: "Tracy, ist nicht alles so schlimm."

Gleichwohl, man darf froh sein, eine wie Tracy Chapman zu haben. Das neue Album gehört in jeden gut sortierten Haushalt.

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