Neue Taschenbücher:Unabhängig von Männern

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Neue Taschenbücher unter anderen von James M. Cain, Roberto Bolaño und Alois Prinz über Dietrich Bonhoeffer.

Glauben in Taten umsetzen

"Einer sentimentalen Verklärung seiner Person hätte er sich bestimmt widersetzt. Und er wäre vermutlich auch nicht einverstanden damit gewesen, ihn als Vorbild zu nehmen". Alois Prinz hält sich in seiner Biografie des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer - am 9. 4. ist der 75. Todestag seiner Ermordung im KZ Flossenbürg - an seine Vorgaben. Er will dessen Bedeutung für die heutige Zeit hervorheben. Bonhoeffers theologische Schriften und Tagebücher sowie die Erinnerung von Zeitzeugen erzählen von einem Menschen, dessen Charakter sehr unterschiedliche Facetten aufweist. Der als Intellektueller mit den führenden Theologen im Gespräch und Disput war und ein sehr eigenes Gottesbild hatte. Der Glauben als etwas ansah, das im Leben in Taten umgesetzt werden muss, was er selbst tat in seiner Arbeit als Gemeindepfarrer, aber auch gegen die kirchliche und weltliche Obrigkeit. Geprägt wurde Bonhoeffer, 1906 geboren, durch seine großbürgerliche Familie, als junger Theologe erfuhr er die Zerrissenheit der evangelischen Kirche im Umgang mit dem NS-System. Das er bekämpfte, auch als Geheimagent von Admiral Canaris. Roswitha Budeus-Budde

Unabhängig von Männern zu sein

Literatur ist immer dann am besten, wenn sie nach Jahrzehnten noch so frisch wirkt, als sei sie gerade erst geschrieben worden. Der amerikanische Krimiautor James M. Cain etwa wurde in den 1930er-Jahren mit seinen Hardboiled-Krimis "Wenn der Postmann zweimal klingelt" (1934) und "Doppelte Abfindung" (1936) berühmt. Beide wurden bereits mehrfach verfilmt. Doch ist es sein vierter Roman "Mildred Pierce" (1941), mit dem ihm jenseits seines Hauptgeschäfts ein Werk von zeitloser Schönheit und Aktualität gelang. Zugleich Milieustudie und feministisches Porträt zeigt Cain darin die Nöte der einst Wohlhabenden im kalifornischen Glendale während der Großen Depression, aber auch die Anmaßung, Gier und Oberflächlichkeit, mit der die Mittelschicht sich weiterhin für etwas Besseres hält. Aus diesem Umfeld versucht die junge Mutter Mildred Pierce das Beste zu machen. Ihr Ehemann Bert war einst eine gute Partie, jetzt ist er arbeitslos und zu stolz, um Hilfe anzunehmen. Cain stellt amüsiert fest: Er "konnte sich unmöglich dazu durchringen, zuzugeben, dass sein Erfolg reines Glück und abhängig von den äußeren Umständen gewesen war und nichts mit seinen persönlichen Fähigkeiten zu tun hatte." Mildred jagt ihn aus dem Haus und ist nun eine sogenannte Grüne Witwe: verheiratet, aber dennoch alleinerziehend. Diese Figur macht Cain zum Gegenentwurf des von der Großen Depression schwer beschädigten Männlichkeitsideals. Die Frauen springen ein, auch Mildred nimmt ihr Schicksal in die eigene Hand. Sie baut sich ein Geschäft auf und genießt es, unabhängig von Männern zu sein. Als "working mom" muss sie sich immer wieder gegen die intrigante Arroganz ihrer Tochter Veda durchsetzen, die in Cains Krimis wohl als Femme fatale agiert hätte. Der Weltschmerz der Noir-Romane wird in Mildred jedoch zu einer realen Resignation, aus der ein unsentimentaler Pragmatismus die Kraft zum Weitermachen generiert. Mildred ist damit in gewisser Weise auch der lebensweltliche Gegenentwurf zu den Femmes fatales und gerade deshalb so zeitlos. Sofia Glasl

Früchte des Ehrgeizes

Ein populistischer Politiker mit Aussichten auf höhere Ämter, der das Volk mit seinem Charisma bannt, dessen Mutter esoterisch anderer Leute Energien befeuern oder blockieren kann, ist unfruchtbar - ein Problem in Südamerika, in Argentinien, wo er zum Präsidenten gewählt werden will. Er lässt seine Frau mit dem Privat-Sekretär das Kind zeugen, das als sein Sohn ausgegeben wird. Der Roman beginnt mit der Entführung des Kleinen durch den leiblichen Vater. Zunächst liest es sich wie ein interessanter Roman aus der Welt neureicher Potentaten, dann will der kommende Präsident den Entführer seines vorgeschützten Sohnes festsetzen lassen, aber der kennt die mafiösen Mordmethoden seines Chefs und kommt ihm, umsichtig, mit seinen Mitteln zuvor. Ein Krimi, der gut endet, wo es zwar eine Leiche gibt aufgrund eines Missverständnisses, aber der Witz am Buch und der Autorin ist, dass sie in einem südamerikanischen Setting allgemein menschliche Fragestellungen in Szene setzt, zum Beispiel, gemäß Hegel, die Abhängigkeit des Herrn von seinem Knecht. Hier wäre das kaum anders, das macht die Geschichte universell. Rudolf von Bitter

Gekittete Gedanken

Gestandene Bäuerinnen: Zwei Jahre lang haben die Geschwister Maria und Zenzi vom Dammerlhof im Bayerischen Wald Christine Zuppinger aus ihrem Leben erzählt. Die Ethnologin hat zugehört und vor über zehn Jahren das Buch "Schwalbennester" über die zwei ledigen Frauen herausgebracht. Nun gibt es eine Wiederauflage, in der man den resoluten Mitsiebzigern und ihren vom Dialekt geprägten Geschichten - in den Worten Marias "Gedanken, gekittet wie Schwalbennester, damit sie einen Sinn ergeben" - erneut begegnen kann. Das Leben war arbeitsreich, doch es gab Abwechslung. Zenzi spielte Zither, Maria Gitarre. Zenzi hielt sich mit den "Fünf Tibetern" fit - zu ihr kam man, wenn man medizinische Tipps benötigte. Maria zeichnete, restaurierte Möbel. Die Zeit veränderte das bäuerliche Leben, nicht die Bäuerinnen. "Viele hier vom Dorf haben verkauft (...) Jetzt sitzen sie in ihren neuen Stuben herum und langweilen sich", heißt es einmal süffisant, ein anderes Mal wird es philosophisch. "Vielleicht aber braucht man von der Welt nicht so viel sehn wie man meint." Einprägsame Fotografien von Haus und Hof, Maria und Zenzi runden das Buch ab. Florian Welle

Künstler des Mitlaufens

Mitmachen und sich zugleich in Unwissenheit suhlen: im 20. Jahrhundert ist die Kulturtechnik des Unpolitischen zur Perfektion gereift. Ihre Mechanismen legt Roberto Bolaño anhand der Lebensbeichte des fiktiven Chilenen Sebastián Urrutia Lacroix frei. Der erfolgreiche Literaturkritiker, Schmalspurdichter und Priester beteuert im Sterben liegend, wie sehr er mit sich im Reinen sei, um sodann in eine mäandernde Rechtfertigungssuada mit beeindruckender Sogwirkung zu verfallen. Lacroix erzählt unzuverlässig und flüchtet sich in ihn selbst entlarvende Anekdoten. Traum, Wunsch und Wirklichkeit fallen zersplittert ineinander. Die katholische Kirche schickt ihn im Kampf gegen Taubenexkremente quer durch Europa. Sonst ergötzt er sich am Leben inmitten der chilenischen Kulturschickeria, quittiert den Tod Allendes mit "Welch ein Frieden" und gibt dem Diktator Pinochet Nachhilfe in Marxismus. Ein über Jahrzehnte von Ästhetizismus und Gewohnheit erschlagener Mensch, der natürlich nichts von Folterkellern mitbekommen hat und das Ende der Aufklärung in einem Satz zu formulieren vermag: "Ich bin stets mit der Geschichte gegangen." Volker Bernhard

Kleinstadt - Amerika

Mich laust der Affe, meint der alte Mann zu Delpha Wade: Sie haben das Profil von Madeleine Carroll. Delpha kennt den blonden Star nicht, sie ist zu jung, und auch Tom Phelan nicht, ihr Boss. Er hat Delpha zur Mitarbeiterin des Detektivbüros gemacht, als die dringend einen Job suchte, eben entlassen aus dem Gefängnis Gatesville. Sie hatte einen Mann getötet, der sie vergewaltigte - davon hat Lisa Sandlin im ersten Buch, "Ein Job für Delpha", erzählt. In Gatesville gab's an den Filmabenden nur Doris Day und Elvis. Beaumont, Texas, die Siebzigerjahre, ein heißer Sommer, Nixon ist verstrickt in die Watergate-Affäre. Ein entspanntes Panorama des Kleinstadt-Amerika, eine Bibliothekarin, deren Minikleid nicht dem Arbeitsplatz gemäß ist, ein aufsässiges Mädchen, das einen mystischen zweiten Blick hat, ein Brüderpaar, über siebzig, das durch eine düstere Familiengeschichte verbunden ist. Der eine verbirgt sich, der andere lässt ihn suchen, durch die Agentur. Ich bin ein Cineast, sagt er, so kommt Madeleine Carroll ins Spiel, der Star aus Hitchcocks The 39 Steps. Am Ende verkriecht er sich ins Kino, zum High Plains Drifter von Clint Eastwood. Fritz Göttler

© SZ vom 07.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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