Neue Songs von Michael Jackson:Pathetischer Hilfeschrei

Trotz aller Eskapaden hat Michael Jackson in den letzten Jahren um die 100 Songs aufgenommen. Der "geheime Katalog" soll bald erscheinen. Will man diese Lieder wirklich hören?

Andrian Kreye

Dafür, dass Michael Jackson schon vor seinem Tode am vergangenen Donnerstag in einem Atemzug mit Frank Sinatra, Elvis und den Beatles genannt wurde, ist sein musikalisches Vermächtnis recht überschaubar.

Neue Songs von Michael Jackson: Die Welt ist in Schockstarre über den Tod des Künstlers Michael Jackson verfallen.Die Bilder.

Die Welt ist in Schockstarre über den Tod des Künstlers Michael Jackson verfallen.

Die Bilder.

(Foto: Foto: ap)

Rechnet man die vier Soloplatten nicht mit, die er für Motown eingespielt hat, als er noch gemeinsam mit seinen Brüdern als Jackson 5 firmierte, sind es lediglich fünf Alben, die er unter eigenem Namen aufnahm. Das wird sich bald ändern, denn der Perfektionist hatte, seit vor acht Jahren sein letztes Album "Invincible" erschien, trotz seiner Eskapaden, seines Sensationsprozesses und seiner Versteckspiele in Las Vegas, Dubai und Europa unermüdlich an neuen Songs gearbeitet.

Rund einhundert dieser Aufnahmen soll es geben. Glaubt man seiner Biographin Ian Halperin, dann soll dieser "geheime Katalog" nun bald erscheinen. Er wolle sie seinen drei Kindern als Vermächtnis hinterlassen, sagte die Autorin noch kurz vor seinem Tod.

Ganz neu ist die Nachricht nicht. Immer wieder gab es Gerüchte und sogar offizielle Erscheinungstermine für ein neues Album von Michael Jackson. Einige der Songs tauchten immer wieder auf und warfen die Frage auf, ob ein Künstler nicht das Recht hat, selbst zu bestimmen, was von ihm erscheint und was nicht. Das aber wird nach dem Tode unmöglich. Und gerade im Pop gibt es kaum ein Geschäft, das so einträglich ist, wie das Geschäft mit den Toten.

Das Wirtschaftsmagazin Forbes veröffentlicht regelmäßig eine Liste mit den bestverdienenden Toten. Kurt Cobain findet sich da immer wieder, John Lennon und Bob Marley. Derzeit wird die Liste von Elvis Presley angeführt, der im Geschäftsjahr 2008 rund 52 Millionen Dollar Profit machte. Das ist mehr als so mancher lebende Popstar verdient, wie Justin Timberlake mit 44 Millionen oder Madonna mit 40 Millionen Dollar.

Manche toten Legenden finden sich jedes Jahr wieder in dieser Liste, so wie Peanuts"-Erfinder Charles M. Schulz (33 Millionen Dollar), Albert Einstein (18 Millionen Dollar) und Marilyn Monroe (6,5 Millionen Dollar). Sie sind Teil eines wichtigen amerikanischen Wirtschaftsfaktors - Urheberrechte machen in den USA elf Prozent des Bruttosozialproduktes aus.

Die posthume Karriere

Mit ziemlicher Sicherheit wird auch Michael Jackson nächstes Jahr in diese Liste aufgenommen werden. Nicht nur, weil seine Alben seit seinem Tod am vergangenen Donnerstag bei den Verkaufsportalen im Internet einen Großteil der ersten zehn Plätze eingenommen haben. Aus einhundert Songs kann man bis zu zehn Alben zusammenstellen.

Jackson ist nicht der erste Star mit einer posthumen Karriere. Vom Rapper Tupac Shakur erschienen nach seinem Tode 1996 noch sechs Alben mit neuem Studiomaterial. Livemusiker generieren oft noch mehr. Jimi Hendrix hat beispielsweise zu seinen Lebzeiten lediglich vier Alben veröffentlicht. Fünfzig weitere folgten, die unzähligen illegalen Bootlegs nicht eingerechnet.

Fast immer stellt sich bei diesen Geschäften die Frage, ob man dem Star damit nicht Unrecht tut. Michael Jackson könnte sein eigentliches Vermächtnis von vier monumentalen Alben überschatten. Denn Jackson erlebte nicht nur als Star einen fast zwanzig Jahre andauernden Absturz, sondern auch als Künstler. Nachdem er mit "Thriller" schon 1982 das neue Jahrzehnt auf den Punkt gebracht hatte, erreichte er weder mit "Bad" noch mit "Dangerous" diese Qualität. "Invincible" war sogar ein richtig mittelmäßiges Album.

Nun funktionieren Songs von Michael Jackson nach ihrem ganz eigenen Prinzip. Auf der einen Seite rühren sie einen an. Das ist gerade für Menschen, die mit einem gesteigerten bildungsbürgerlichen Anspruch oder mit dem Dünkel des Hip in Rock oder Jazz aufgewachsen sind, oft eine unangenehme Erfahrung, die man in Amerika ironisch als "guilty pleasure" bezeichnet.

Zwischen Mittelmaß und Hochform

"Butterflies" ist so ein Michael-Jackson-Song aus ebenjenem letzten Album "Invincible". Der enthält so ziemlich alles, was vielleicht einen guten Schlager ausmacht, aber einen Rock- oder Jazzfan zum Fremdschämen bringt. Da sind die Crescendi, die nicht nur von aufsteigenden Melodielinien und aufwallenden Streichern, sondern auch noch von jenen getupften Posaunen getragen werden, die man sonst mit Unterhaltungsorchestern verbindet. Auf der anderen Seite schafft Jackson es selbst in solchen seichten Momenten, eine Spannung in seine Stimme zu legen, die unerreicht ist.

Hört man hinein in die unveröffentlichten Songs, die in den letzten Jahren in Umlauf kamen, scheinen bei Jackson zwischen Mittelmaß und Hochform Welten liegen zu können. "Mamacita" ist beispielsweise eine spanisch angehauchte Midtemponummer mit dem Gitarristen Carlos Santana, die in ihrer Banalität eher an iberische Sommerhits als an großen Pop erinnert.

Auf "Gangsta (No Friend Of Mine)" versucht sich Michael Jackson gemeinsam mit dem Rapper Pras von den Fugees etwas unbeholfen am Hip-Hop. "What More Can I Give" ist ein pathetischer Hilfeschrei, bei dem ihm Celine Dion, Beyoncé und Justin Timberlake zur Seite standen. Auch "Let Me Let Go", "Someone Put Your Hand Out" und "Xcape" sind viel zu dicht an den tragischen Jahren seiner Autobiographie, um noch als großer Pop zu gelten. Will man diese Songs nun wirklich hören?

Es ist schwer festzustellen, ob Musikdateien, die im Netz in Umlauf kommen, ernsthafte Produktionen oder nur gescheiterte Versuche sind. "Mamacita" klingt beispielsweise wie eine verworfene Skizze für eine der Duo-Singles von Santana. "Gangsta" war angeblich doch nur ein Gastbeitrag Jacksons für einen Song des Rappers, der dann nie erschien. Allen Songs ist jedoch gemeinsam, dass sich Michael Jacksons Verzweiflung auf seine Stimme geschlagen hat.

Die machtvolle Präsenz, die Spannung und die unterdrückte Erotik, die ihn so groß gemacht haben, blitzen immer seltener auf. Es ist keine Frage, dass die 100 unveröffentlichten Songs zu Alben zusammengestellt werden. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Quincy Jones des Projektes annimmt, der Produzent, der Michael Jackson besser verstanden hat als jeder andere.

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