Neue Richtlinie:Vom Wert der Gebeine

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Wie sollen Museen künftig mit menschlichen Überresten in ihren Sammlungen umgehen? Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat nun eine neue Richtlinie zum Umgang mit solchen Überbleibseln in den Berliner Kollektionen veröffentlicht.

Von Harald Eggebrecht

Der Streit, ob Exponate aus Museen nicht längst in ihre Heimatländer hätten zurückgeführt werden müssen, da sie doch mehr oder weniger illegitim dorthin gelangt seien, währt schon lange. Berühmte Beispiele dafür sind die Forderung Griechenlands ans Britische Museum, die sogenannten Elgin Marbles zurückzugeben, Figuren und Friesteile vom Parthenon-Tempel in Athen, die nach griechischer Lesart unrechtmäßig nach London entführt wurden. Auch Berlin sieht sich seit Jahren dem ägyptischen Rückgabeverlangen nach der Büste der Nofretete ausgesetzt.

Besonders heikel sind jene dringlichen Aufforderungen außereuropäischer Völker zur Restitution von menschlichen Überresten, die etwa aus Nord- und Südamerika, aus Asien, Afrika oder Ozeanien im Zuge von Eroberungen, Kolonisierungen oder auch Forschungen entweder als Beute, als Schaustücke oder als Ankäufe in hiesige Sammlungen gekommen sind. Darunter sind beispielsweise im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) kunstvoll bearbeitete Gebeine wie Knochenflöten, aber auch Bodenfunde von Skelett-Teilen aus Nekropolen oder Objekte aus Haaren, menschlicher Haut und dergleichen mehr. Immerhin wurden aus den anthropologischen Sammlungen der Berliner Charité schon fünf Mal human remains an Herkunftsstaaten übergeben, so 2013 und 2014 an Australien, 2011 und 2014 an Namibia und 2012 an Paraguay.

Es geht um einen "sensiblen und respektvollen Umgang - und um eine würdige Lagerung"

Nun hat die SPK eine verbindliche Richtlinie zum Umgang mit solchen Überbleibseln in ihren Berliner Kollektionen veröffentlicht. Es wird darin nicht nur versucht, Grundsätzliches zu Behandlung und Aufbewahrung solcher Objekte zu regeln. Man will auch für Strittiges eine verlässliche Vorgehensweise bieten. Sie soll ethische Fragen der Herkunft betreffen, aber auch die Absicht bekunden, mit Vertretern der Herkunftsgesellschaften gemeinsame Lösungen für jene Überreste zu finden, bei denen es um Rückführung geht, etwa weil Zweifel an der Legitimität des Erwerbs und der Provenienz angebracht sind. Hermann Parzinger, Präsident der SPK, hat vier Punkte in einem Gespräch mit der Welt betont: Erstens gehe es um einen "sensiblen und respektvollen Umgang und um eine würdige Lagerung". Dann müssten die Objekte "inventarisiert und ihre Provenienz öffentlich" gemacht werden. Zum Dritten sollten sie der "internationalen Forschung zur Verfügung" stehen. Außerdem sei man bereit, in Fällen, in denen eine "unrechtmäßige Entwendung vom ursprünglichen Aufbewahrungsort" anzunehmen ist und in denen sich "Verbindungen zu den ursprünglichen Besitzern" nachweisen lassen, "über Rückgaben zu reden".

Hauptanlass für die Richtlinie war die Übernahme der Sammlung des bedeutenden Anthropologen und Völkerkundlers Felix von Luschan (1854-1924), die seit längerem in einem Bunker der Berliner Charité einfach unwürdig untergebracht war. Nun gehört die Luschan-Sammlung mit rund 8000 Skeletten, Schädeln und anderen menschlichen Überresten - als erste anthropologische Sammlung überhaupt im Besitz der SPK - dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, das schon seit 2011 diese Objekte konservatorisch betreut hat. In den nächsten Jahren will man klären, woher denn die einzelnen Stücke stammen und wie sie in die Sammlung geraten sind. Viele Objekte kommen aus ehemaligen völkerkundlichen Zusammenhängen, deren Herkunft aber nachzuforschen ist.

Doch tauchen bei der Untersuchung von human remains auch Fragen nach den unterschiedlichen Weisen auf, wie mit Toten zu verfahren ist. Während etwa in Deutschland Verstorbene keineswegs ewig in ihren Gräbern ruhen dürfen, sondern ihre Gebeine nach wenigen Jahrzehnten wieder herausgeholt und die Gräber eingeebnet werden, gibt es andere Kulturen, in denen Grabstätten immer heilig bleiben - und erst recht die Überreste der Ahnen. Doch auch kultische Masken können zum Ritual der Kontaktaufnahme mit den Ahnen gehören. Sie sind dann so heilig wie die menschlichen Gebeine. Die Vollständigkeit der Toten spielt in vielen Kulturen ebenfalls eine zentrale Rolle. Letztlich wird sich am strittigen Einzelfall zeigen, wozu die neue Berliner Richtlinie nun taugt und wozu nicht.

© SZ vom 01.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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