Neue Platte von Elvis Costello:Der ewige Hitzkopf

Lesezeit: 3 min

Die Musik ist nicht mehr ganz so stimmig wie früher, aber die herrlichsten inneren Monologe des Pop schreibt Elvis Costello immer noch.

Von Joachim Hentschel

Elvis Costello kann niemals sterben, denn er ist die vollendete Figur. Wie Bugs Bunny, Seemann Popeye oder, tja, wie Heino. Als hätten die Etagenchefs von Marvel, Disney und dem Mad-Magazin zusammengesessen und diesen Storchentypen erfunden, mit Brille, hoher Stirn, Hochwasseranzug und spuckiger Aussprache.

Man könnte wetten, dass lustige Journalisten ihn in den Siebzigern als "singenden Buchhalter" bezeichneten, Costello, diesen hysterischen Charakter mit Gitarre, dieses arrogante, englische Genie, das sich - anders als andere Superhelden - auch bei wilden Wutausbrüchen eben nicht in einen Muskelmann oder fliegenden Polizisten verwandelte, sondern der kleine, zeternde Kerl blieb, unten auf der Erde.

Gekränkte Narzissten und traurige Napoleons

Immer noch am schönsten zu sehen in der "Saturday Night Live"-Folge von 1977, in der er seinen Song nach wenigen Sekunden abbricht und die Band, spontan und empört, in eine grandiose Darbietung von "Radio, Radio" hineindirigiert, ein Stück darüber, wie eklig und korrupt die Sender geworden sind, die früher den jungen Leuten noch die Heilsbotschaften brachten.

Man erkennt diese Figur immer noch, den prototypischen New-Wave-Cartoon-Costello, wenn man ihn heute anguckt, den Künstler mit 66 und Hut, mit britischem Empire-Orden am Hemd, in den Herbstjahren einer flaumig-wohltemperierten Karriere. Und, das ist das Irre: Man kann den frühen Bollerkopf-Costello sogar noch hören, auf vielen Stücken seiner neuen, 31. Platte "Hey Clockface".

Zum Beispiel auf "Hetty O'Hara Confidential", einer lautmalerisch fiependen und brummenden Herz-Lungen-Maschine, durch deren Lärm hindurch der Sänger so atemlos und mit prall geschwollenen Halsadern schimpfnörgelt wie in besten Tagen. Es geht um Rufmord und üble Nachrede, um die Verleumdungstechnik im Wandel der Zeit, und man will schon nach dem ersten Hören losrennen und sich ein Federmäppchen kaufen, nur um all diese Sprüche draufschreiben zu können: "Who's got the dope? Who's got the potential?"

Atemloses Schimpfnörgeln wie in besten Tagen: Elvis Costello. (Foto: Lens O'Toole)

Darum beneidet man Elvis Costello allerdings nicht: Am meisten gelobt wird er immer dann, also auch hier von uns, wenn seine Musik am stärksten an die alten Werke erinnert, an die der Siebziger und Achtziger.

Im deutschen Sprachraum zittern ja gerade Hunderttausende, ob sich beim Lesen von Christian Krachts angekündigter "Faserland"-Fortsetzung wohl noch mal das Gefühl von 1995 einstellen wird, der Kitzel, der von Krachts aufreizend entspanntem Kulturstalinismus kam, von der Großromantik ohne Gefühlsäußerung. Der Impuls kann praktisch nur enttäuscht werden, denn Kracht - der ja viel von Bret Easton Ellis hatte, der wiederum zwei Bücher nach Costello-Songs benannte - hat seinen Duktus in 25 Jahren stärker und weltklüger vorangetrieben, als es die Identifikationssehnsucht jung gebliebener Generation-X-Mitglieder erlauben wird.

Gekränkte Narzissten und traurige Napoleons

Auch Costello hat sich bald vom Post-Punk-Pop wegdiversifiziert. Nahm schon 1983 mit Chet Baker auf, machte Musik mit Streichquartetten und Mezzosopra nistinnen, schrieb einen Zyklus mit Burt Bacharach und tatsächlich auch eine klassische Ballettpartitur (nur gerappt hat er nie). Viele legen ihm das als verkappten Kulturpessimismus aus, als Wichtigtuerei. Aber übersehen dabei, dass der mit Music-Hall-Klimbim und Jazz aufgewachsene Costello hier schlicht an den eigenen Wurzeln herumgrub, ab dem Moment, als er die Hitparade nicht mehr brauchte.

Und so gibt es nun auch auf "Hey Clockface" - neben ein paar altgewohnten Brechern - Dixieland-Stücke zu hören, "Väter der Klamotte"-Musik, Orientalismen, Torch-Songs à la Gershwin, die Liebesgeschichten und Weltklagen erzählen, deren Personal in den Funduskostümen einer Charles-Dickens-BBC-Verfilmung herumzulaufen scheint.

Die Mischung ist nicht so stimmig wie einst so oft, und natürlich bleibt es eine irritierende Erfahrung, neue Costello-Songs zu hören, die - bei aller Liebe - nicht mehr als Nebenbeimusik sein können. Dass hier dennoch in jeder Sekunde der freigeistige Hitzkopf durchstrahlt, der aus der Sicht gekränkter Narzissten und trauriger Napoleons die herrlichsten inneren Monologe schreibt, rettet alles doch auf die nächsthöhere Ebene.

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Es gibt auch wieder einen Radio-Song, "Radio Is Everything", ein verrauscht gesprochener Monolog mit "Taxi Driver"-Jazz im Hintergrund, ein Hohelied auf die Verführungskraft von Menschenstimmen. Anders als damals bei "Radio, Radio": noch zweischneidiger. Costello zu hören kann vieles mit einem machen, dümmer macht es nie.

© SZ vom 12.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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