Neue Musik:Klang der Zukunft

Eine Reihe des Augsburger Staatstheaters feiert zehnjähriges Bestehen

Von Michael Stallknecht, Augsburg

Monströse Zylinderkolben recken im Augsburger MAN-Museum ihre stählernen Köpfe in die Luft, gigantische Dieselmotoren von U-Booten und Druckermaschinen geben Zeugnis von einer Zukunft, die längst zur Vergangenheit geronnen ist. Es ist eine seltsame Vermischung der Zeiten, wie sie auch die Musik prägt, die die Augsburger Philharmoniker an diesem Abend am einstigen Stammsitz des Fahrzeug- und Maschinenbaukonzerns MAN spielen: zeitgenössische Stücke, in denen sich lebende Komponisten mit Musik der Vergangenheit auseinandersetzen. Wie die "Fantasie über einen Klang von Georg Friedrich Händel" von Christóbal Halffter oder die "First Fantasia on an 'In Nomine' of John Taverner", in der Peter Maxwell Davies zu Beginn das Werk seines Renaissancekollegen zitiert, um es danach von unterschiedlichen Gruppen des Orchesters zerlegen, in vielfältiger zeitlicher Gestalt dehnen und verdichten zu lassen. Der spanische Komponist José Luis Turina hat als Uraufführung für den Abend eine neue Streichorchesterfassung seiner "Paráfrasis sobre 'Don Giovanni'" beigesteuert.

"Retrospektiven" hat Christine Faist, Konzertdramaturgin des Staatstheaters, das Programm genannt, weil es zugleich Rückblick und Ausblick für die Reihe "Zukunft(s)musik" ist, die in dieser Spielzeit ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Die Idee dazu hatte einst Johannes Gutfleisch, Cellist bei den Augsburger Philharmonikern, der sich am "seltsam anachronistischen Musikleben" in seiner Stadt störte, wie er im Gespräch sagt. Also brachte er einige seiner Orchesterkollegen mit Musikern aus der freien Szene zusammen, um mit ihnen neue Musik an neuen Orten zu spielen, in Museen, Kirchen und auf Baustellen. Es war eine wilde Zeit, in der Gutfleisch alles selbst organisierte, 2013 aber erstmal aufgeben musste. "Zukunft(s)musik" wäre damit in Augsburg schon wieder Vergangenheit geworden, wenn nicht das Theater doch noch seine Verantwortung erkannt und die Reihe im Jahr 2016 revitalisiert hätte. Inzwischen hat man Werke von etwa 80 Komponisten zur Aufführung gebracht. Für Christine Faist macht es ein Raum wie das MAN-Museum möglich, zeitgenössische Musik "niedrigschwelliger zu vermitteln als im großen Symphoniekonzert", sie "als Form der Kommunikation mit dem Publikum zu behandeln".

Dass Musik zu einem kommunikativen Akt wird, dafür sorgt am Jubiläumsabend vor allem das glänzende Dirigat von Ivan Demidov. Der junge Kapellmeister des Staatstheaters Augsburg hilft dem Orchester mit einer sehr genauen Zeichengebung, beschränkt sich aber nie auf das nüchterne Taktschlagen. Er legt vielmehr das expressive Potenzial der zeitgenössischen Musik frei, wenn er etwa am Ende "Machaut à ma manière" von Harrison Birtwistle dirigiert, in dem der britische Komponist Techniken seines mittelalterlichen Kollegen Guillaume de Machaut aufgreift. Obwohl für die Musiker rhythmisch und spieltechnisch enorm anspruchsvoll, füllt es den Raum mit einer Energie, wie sie einst auch von den gigantischen Maschinen ausgegangen sein muss.

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