Süddeutsche Zeitung

Neue Musik:Das sind die Alben der Woche

Haiyti ist das deutsche Popgenie der Stunde. Und Feine Sahne Fischfilet gelingt das Unmögliche: ein Heimatalbum gegen Rechts.

Black Rebel Motorcycle Club - "Wrong Creatures" (Abstract Dragon/PIAS)

Braucht es das? Braucht es diese Rock 'n' Pathos-Wiedergänger? Diese ledrig knirschende und bis auf die schwarzgetönten Sonnenbrillen genaue Kopie der großen alten Lederknirscher von The Jesus & Mary Chain? Die Antwort, kurz und knapp: unbedingt. Weil es eben auch jene Band Black Rebel Motorcycle Club ist, die einem schon seit vielen Jahren und Alben klar macht, dass "Braucht es das?" die vielleicht dümmste Frage des Pop ist. Weil Pop ja immer schon von genialen Kopisten lebt. Wem es also gelingt, sich für eine Stunde von der Fetischisierung des Originals zu lösen, der wird großen Spaß haben mit "Wrong Creatures" (Abstract Dragon/PIAS). Mit dem Hall-Sturm von "Calling Them All Away", dem wüstentrockenen Americana-Schlepp von "Ninth Configuration" oder dem Bassgebrodel von "Little Thing Gone Wild". Alles schonmal gehört, sicherlich, immer noch und immer wieder gut.

Julian Dörr

Feine Sahne Fischfilet - "Sturm & Dreck" (Audiolith Records/Broken Silence)

Dass man als Linker keine Heimat haben kann, ist zwar wahr - man macht es sich damit aber auch ziemlich einfach. Denn wem gehört die Heimat dann? Den rechten Krawallpfosten, etwa? Den Menschenverachtern und Hardcore-Traditionalisten? Feine Sahne Fischfilet, sowieso schon seit Jahren eine der spannendsten Bands links der Pop-Mitte, ist nun mit ihrer neuen Platte "Sturm & Dreck" (Audiolith Records/Broken Silence) gelungen, was eigentlich unmöglich scheint: ein Heimatalbum, das keine Heimat kennt. Sänger Monchi singt von den Wellen, vom Meer und den leeren Häuserfronten Mecklenburg-Vorpommerns, die Bläser torkeln mit Schlagseite durch die Straßen, hinein in die Utopie einer grenzenlosen Welt. Dass Feine Sahne Fischfilet dafür immer noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden, klingt umso absurder, wenn man sich diese wundervoll naive Solidaritätsmusik anhört. Lieder vom Zusammenstehen und füreinander Einstehen in düsteren Zeiten. Musik für die Zukunft, im besten Sinne. Was könnte die Gegenwart besseres gebrauchen?

Julian Dörr

Haiyti - "Montenegro Zero" (Vertigo/Universal)

Wer die Neuerfindung des deutschen Hip-Hop aus dem Geist des Hustensaft-Missbrauchs - brillant von Autotune verwehte Alben legten 2017 die Trap-Rapper Trettmann, Young Hurn und Rin vor - bislang verpasst hat, kann mit dem zweiten Album "Montenegro Zero" (Vertigo/Universal) der Hamburger Rapperin Haiyti (ja, genau so geschrieben) jetzt gleich ganz vorne einsteigen. Es ist nicht nur - doch, doch - das erste wirklich grandiose Album einer deutschsprachigen Rapperin, es ist einfach so eine Offenbarung: gleichzeitig so kaputt und catchy wie klug und eklektisch. Maximal gegenwärtige Kunst, die es zum Beispiel fertigbringt, aus einem zittrigen Handy-Störgeräusch und der Zeile "Ich hab Hunderttausend Fans - die mich noch nicht kennen" einen Hit zu zaubern. Haiyti ist das deutsche Popgenie der Stunde. Darunter geht es gerade leider nicht.

Jens-Christian Rabe

Shame - "Songs of Praise" (Dead Oceans)

Warum nicht mal wieder richtig guter Punk-Rock? Die Idee ist zwar auch schon 40 Jahre alt, fördert aber besonders auf "Songs of Praise" (Dead Oceans), dem Debütalbum der Südlondoner Band Shame, immer noch eine wohltuende Nervosität zu Tage. Sänger und Songwriter Charlie Stehen wechselt in der Rolle eines postmodernen Herumtreibers, der poetisch und ehrlich seine Umgebung beobachtet, zwischen einem schönen trägen Mark E. Smith-Bariton und wilden Protestrufen - oft in ein und derselben Strophe, wie in "Concrete": "And I hope that you're hearing me". Wir hören.

Annett Scheffel

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