Süddeutsche Zeitung

Moby-CD: "Hotel":Warum fühlt sich mein Herz nur so schlecht an?

Träumen Roboter eigentlich immer noch von elektrischen Schafen? Moby, unser Mann auf höherer Mission, ist im obersten Stockwerk eines Hotels der Heartbreak-Klasse angekommen und blickt von ganz oben auf das Treiben hienieden. Dabei fallen ihm ein paar Tönchen aus dem Anzug, die leider nicht mehr ihresgleichen suchen.

Bernd Graff

Ein Doppelschlag, diese Doppel-CD. Und, um es gleich zu sagen: kaufen!

Denn schöner, gurriger, seelenvoller ward selten gegeigt, gesehnsüchtelt und das Konsumentenohr umschmeichelt - auch wenn die sanften Töne aus der Compi-Synthie-Retorte kommen und ordentlich mit dem Weichzeichner-Plugin geschliffen wurden.

Moby tut nicht weh - immer noch nicht.

Und unter all den Konsenshungerkünstlern, die nicht weh-, aber wohl tun, die also bestes Dutzidutzi für das gepflegte Sentiment produzieren, ist Moby wieder mal der eingängigste: Man kennt den Ambient-Flow-Sound ohne Widerhaken, diese Friseur- und Galeristenmusik, hört also hin und dann wieder nicht - aber dann gibt es bei Moby noch hier und da ein Schmachtfetzchen, das am großen Sorgentopf genippt hat.

Es ist also wieder mal die geeignete, nein die beste Begleitmusik für alle Dreißigirgendwasse, die geregelter Arbeit nachgehen und - jawoll - auch mal Feierabend vom Shareholder-Value haben wollen.

Für Menschen also, die einen Idioten zum Chef haben und in deren Appartement öfter mal die Heizung ausfällt, die aber niemals laut sagen würden, dass sie einen Idioten zum Chef haben und ein Appartement, in dem öfter mal die Heizung ausfällt - weil sie immerzu Verständnis haben.

Keine Angst also, wir heben nicht ab und wir machen uns auch diesmal nicht schmutzig.

Mit Moby ins Hotel also: Bei Cohen war es das New Yorker "Chelsea", in dem Dylan schon untergekommen war, bei den Eagles hieß es 'California', bei Elvis 'Heartbreak'. Mobys Hotel bleibt namenlos - ein Unort mit breiter Fensterfront in den oberen Etagen. Ein Ort der Meditation und des abgehobenen Panoramas - so distanziert, dass nicht einmal der Optimismus strauchelt. Ja, mit Moby ist alles gut, und was vielleicht noch nicht ganz so gut ist, wird bestimmt geheilt werden.

Es gibt so sehr viel Talmi für die grundversorgte Sattundsauberseele, dass man mitunter auch von Kitsch sprechen könnte.

Etwa bei dem Seiohnesorge-Stück "Temptation", dem eindeutig zuviel vom sterilen Mädchenhauch mitgegeben wurde.

Aber das ist Geschmacksache.

In Mobys Suite ist´s jedenfalls warm und immer unaufgeregt gemütlich. Diesmal ungesamplet - dafür klingt es dann auch mal nach Donna Summer, Bronski Beat und dem grundsediertem David Bowie - also nach dem elenden Chillout-Pop der frühen Achtziger, den irgendein aufstrebendes Talent aus der Dotcom-Blase jetzt durch die Arbeitsspeicher eines modernen Noname-Computers geschickt hat (etwa Very").

Wer die Originale mal gemocht hat, wird erinnert an das schlimme Verfließen und Vergehen der Zeit, an das schlimme Verfließen und Vergehen der eigenen Lebenszeit, wohlgemerkt. Und ist gerührt. Und da muss man dann wohl wehmütig werden.

Vor allem bei des Meisters Timbre in "love should", das gegen einen Geigensturm anzuvibrieren hat, dass man fast um den guten Moby fürchten muss.

Aber nein, nein! Moby hat hier wirklich gute Arbeit geleistet und sehr wohl hörbare Musik ausgeliefert, Dass sie schnuckelig ohne Ende ist, keine Ecken und Kanten hat, wer wollte es denn Moby verübeln? Gottchen noch, es gibt doch so viele Ecken und Kanten im Leben. Da kann doch ein Moby mal - je nun - unumwunden und rundweg positiv sein.

Ja, soll er.

Aber das Innencover der CD, das mit Foto, wo Moby auf dem Bett liegt und man von ihm nur Unterschenkel und blanke Füße sieht ... so umgehauen wären wird gerne mal von Mobymusik.

Passiert nicht? Nie? Auch gut.

"Hotel"/Moby (Mute/Capitol)

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