Neue Liebesromane:Es ist mein erstes Mal

Herzballon im Baum

Wie nur über die Liebe schreiben? Diesen Herbst versuchen es einige von denen, die es vielleicht wissen könnten: Literaturkritiker.

(Foto: dpa)

Was passiert, wenn Literaturkritiker als Romanciers debütieren - und dann auch noch mit Büchern über die Liebe?

Von Christopher Schmidt

Der Föhn über München hat schlappgemacht; die warmen Winde spielen nicht länger zärtlich in den Seiten der aufgeschlagenen Sommerbücher. Jetzt rücken die Schlechtwetterfronten des literarischen Herbstprogramms im Tiefflug heran, und mit ihnen die Gewitterwolken der Kritik.

Bevor die leichten Lektüren des Sommers jedoch zugeschlagen werden, hat der Liebesroman noch eine Nachblüte getrieben. "Fabelhafte Eigenschaften" (Klett-Cotta, 18,95 Euro) heißt das letzte Buch im Reigen einiger Neuerscheinungen, die vor allem eines belegen: Nicht Lust und Liebe ist das heimliche Laster der Literaturkritik, sondern das Schreiben von Romanen.

Wenn Literaturkritiker selbst Bücher schreiben

Wenn jene, die professionell Bücher beurteilen, selbst zum Gegenstand der Beurteilung werden, sind das Dreiecksverhältnisse der heiklen Art, nämlich auf der Bettritze zwischen Journalismus und Literatur. Wer diese Bücher nun seinerseits zu beurteilen hat, möchte sich daher den Dimmer ausleihen, der im Buch "Für eine Nacht oder fürs ganze Leben. Fünf Dates" von Ursula März (Hanser, 19,90 Euro) eine gewisse Rolle spielt.

In einer der Erzählungen hilft dieser Dimmer der pensionierten Postbeamtin Gerlinde, ihre Scham zu überwinden und sich mit einem Mann zu vereinen, der fast dreißig Jahre jünger ist als sie. Ein Dimmer taucht die Makel in ein gnädigeres Licht. Die Liebe, so lernen wir bei Ursula März, ist eben nicht in allen Fällen ein coup de foudre, also ein Blitzeinschlag, sondern manchmal ein Schattengewächs. Und das gilt ebenso für die Passion der lieben Kollegen, sich als Literaten zu versuchen. Mal ist es nur ein Flirt, mal ein Sündenfall - Herzenssache immer.

"Der Liebesidiot" hat das Zeug zum Stalker-Roman

Belletristische Erstlinge sind meist autobiografisch geprägt. Auch die dichtenden Journalisten kann man nun in der Doppelrolle als Autoren und handelnde Figuren erleben. Bei dem einen oder anderen würde man sich jedoch wünschen, ein unbefangeneres Talent hätte das Wachs des Lebens zu Literatur geformt. Hajo Steinerts "Der Liebesidiot" (Knaus, 19,99 Euro) - schon der Titel ist ein halbes Plagiat, erinnert sei an Wilhelm Genazinos "Die Liebesblödigkeit" - beispielsweise hat das Zeug zum veritablen Stalker-Roman.

Doch sein klemmiger Protagonist, der einem mit offener Hose entgegenkommt, ist Steinerts Herz zu nah, um an dessen Qualitäten als Damenslip-Schnüffler und Vorgarten-Spanner Anstoß zu nehmen. Und in diesem Herzen ist viel Platz für zu Recht außer Gebrauch geratene Ausdrücke wie "Oberweite", sowie für Aperçus wie dem, dass die Vorzüge einer Fernbeziehung "an den Fingern einer Hand abzählbar" sind. Das nennt man dann wohl: früh vollendet.

Weniger Details wären eine Tugend gewesen

Auch Sigmund, so heißt Steinerts romantischer Held, unterhält eine Dreiecksbeziehung, und zwar mit seiner Libido und einem Gleitwirbel. Als der 58-Jährige einer unbekannten Schönen aus der Betriebskantine nachstellt, wird er von einem neuerlichen Bandscheibenvorfall niedergestreckt. Statt im Lotterbett landet er in der Reha-Klinik, wo er viel Zeit hat, sein amouröses Vorleben Revue passieren zu lassen. Weniger anatomische Detailverliebtheit wäre hier eine Tugend gewesen.

Man will nicht zu genau wissen, was einer im Swinger-Club alles zu sehen bekommt, und welche Suchprofile er auf den Porno-Seiten seiner Wahl im Internet bevorzugt, um die Single-Not zu lindern. "Was waren das für Zeiten, als ich noch im Stehen pinkelte", lautet ein Schlüsselsatz.

Und wie machen es die Großen der Literatur?

Dass Bettszenen auch bei den ganz Großen der Literatur nur selten unpeinlich abgehen, dafür liefert Rainer Moritz in seinem Buch "Wer hat den schlechtesten Sex?" (DVA, 17,99 Euro), Untertitel: "Eine literarische Stellensuche", einschlägige Beispiele. Jenseits von "Ah! Ahh! O mein Gott!" (Philip Roth) gedeihen Schmock und Überschätzung. Das männliche Geschlechtsteil heißt da mal "Hirtenspieß" oder "Tauchsieder" (Elfriede Jelinek), mal "Lockenwickler" (Ulla Hahn) - in Bestform allerdings mit der Ausdehnung einer "Montecristo" (Bodo Kirchhoff).

Bei den Frauen finden wir die "Chinesische Morchel" (Haruki Murakami), die "Tüte" (wieder Jelinek) und das "Vanillekipferl" (Charlotte Roche). Eindeutig den meisten Humor in Sachen Erotik hat Nicholson Baker: "Sie kommt so heftig, dass sie das Großsiegel des Commonwealth von Massachusetts sehen kann" - was immer das auch besagen soll.

Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses und ebenfalls Literaturkritiker, hat es natürlich cleverer gemacht. Statt selber am Thema zu scheitern, kehrt er das Scheitern der anderen zum Scherbenhaufen zusammen. Sein Buch sollte zu Rate ziehen, wer sich in Feuchtgebiete begibt.

Bei Volker Hage etwa klingt diese Exkursion wie folgt: "So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen, ihre dunkle Haut, ihr schmaler Körper, große Brüste, pechschwarzes Schamhaar. Alles im Kerzenlicht." Vor lauter Ergriffenheit ist es vom Kerzenlicht nur ein Katzensprung in die Kirche: "So hat der liebe Gott das gemeint, dachte ich nur, so soll es sein."

Adam Soboczynskis "Fabelhafte Eigenschaften"

Zwei Männer, beide über sechzig, treffen sich in einem Berliner Restaurant und stellen fest, dass das Tischtusch zwischen ihnen immer noch zerschnitten ist. In ihrer Jugend liebten sie dieselbe Frau. Was folgte, war ein offener Dreier in der Münchner Studenten-WG, Anfang der Siebzigerjahre. Für Wolf ist Lissa so etwas wie seine persönliche Uschi Obermaier, eine Offenbarung also, vor der er jedoch schon nach dem ersten Semester Reißaus nimmt - nur weg aus dem sündigen Süden, ins kühlere Hamburg. Mit ihm flüchtet der Autor Hage, weil er für die großen Gefühle einfach keine Sprache findet.

Die sexuelle Deregulierung, deren Anfänge Hages Roman "Die freie Liebe" (Luchterhand, 16,99 Euro) beschreibt, ist das schwere Erbe der drei Figuren im Zentrum von Adam Soboczynskis "Fabelhafte Eigenschaften". Julia verlässt Sebastian für Hans, und doch schwankt sie zwischen zwei Feuern. Allerdings kann auch Lesen wie schlechter Sex sein.

Mit seinen ungeschmeidigen Infinitiv- und Relativkonstruktionen, seinen vielen Füllwörtern und Tautologien ("vielversprechende Hoffnung", "aufmerksames Interesse", "ausgiebigste Detailfreude") erweist sich Soboczynski als eher hölzerner Verführer. Und wenn man die Gestelztheit weglässt, bleiben oft nur Plattitüden übrig. Bei Sätzen wie: "Es zeichnet die Öffentlichkeit aus, dass man, sobald man sie betritt, es mit Fremden zu tun hat" kommt eher "Unfreude" auf, um eine Soboczynskische Wortschöpfung zu zitieren.

Inspirierende Einblicke im Roman von Ursula März

Am besten zieht sich Ursula März aus der auch bei ihr thematischen Affäre, und zwar gerade deshalb, weil sie der Versuchung des Romans widerstanden hat. "Für eine Nacht oder fürs ganze Leben" ist aus einer Zeitungsreportage über die Liebes-Ökonomie unserer Tage herausgewachsen. März trifft fünf Menschen, die die wahre Liebe suchen oder schon gefunden haben, per Dating-Plattform oder per Zufall.

Dabei gelingen ihr ebenso erhellende wie stil- und geschmackssichere Einblicke in das Paarungsverhalten der Gegenwart. Und viele inspirierte Formulierungen: Da gibt es Männer, denen "der Algorithmus die Frauen nur so hinschaufelt", und Frauen, die sich "hochrechnen ließen zum abschreckenden Ganzen". Auch bei Ursula März fließt Autobiografisches in anekdotischer Form ein, aber das macht ihr Buch umso glaubwürdiger. Von wegen Lügenpresse. Statt voyeuristisch hinterm Paravent hervorzulinsen, nimmt sich die Autorin mit hinein ins ratlose Single-Geschehen. Und dafür müsste man sie eigentlich küssen.

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