Neue französische Wochenzeitung "Le 1":Die Aufklappbare

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Nur ein Wochenthema auf einem Blatt ohne Werbung: die Zeitung Le 1.

(Foto: Bertrand Guay/AFP)

Zusammengefaltet ist sie gerade so groß wie ein A-4 Blatt: Der Journalist Éric Fottorino hat in Frankreich die neue Wochenzeitung "Le 1" gegründet. Ihr Format ist so ungewöhnlich wie das Konzept, das dahinter steckt.

Von Joseph Hanimann

Wahrscheinlich braucht man den schrägen Charakter eines Éric Fottorino, um in diesen schwierigen Zeiten eine neue Zeitung zu gründen. Le 1 heißt das seit einem Monat in Paris erscheinende Wochenblatt lapidar, das in seiner Aufmachung so originell wirkt wie in seinem redaktionellen Konzept.

Es besteht aus einem plakatgroßen Papierbogen, der dreimal gefaltet ein A-4-Format ergibt. So liegt das Blatt für 2,80 Euro am Kiosk und erinnert mit seinen ausgefallenen Illustrationen vage an eine Studenten- oder Liebhaberzeitung.

Die Idee hinter Le 1 ist denkbar einfach: "Eine Aktualitätsfrage, mehrere Blicke", lautet das Motto. Namhafte Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler wie Edgar Morin, Elisabeth Badinter und Tahar Ben Jelloun äußern sich in kurzen Beiträgen zum jeweiligen Wochenthema. Warum wandern unsere Jugendlichen ins Ausland ab? Läuft unser Arbeitsmodell ins Verderben? Verleitet Frankreich noch zum Träumen? So hießen die ersten Themen.

Bei aller Intellektuellendichte ist Fottorino keineswegs jemand, der gegenüber Journalisten fremdeln würde. Sie prägten weitgehend sein bisheriges Berufsleben. Mit 24 Jahren begann der 1960 in Nizza Geborene als Journalist bei Libération und trat zwei Jahre später in die Redaktion von Le Monde ein. Dort machte er als Fachjournalist, Reporter, Kolumnist, Chefredakteur und ab 2007 als Herausgeber eine steile Karriere.

Wie ein ewiger Pfadfinder

Wie dieser Quereinsteiger, der nichts vom Aufsteiger hat, nebenbei auch Romane schreibt und mit seiner Krawattenphobie wie ein ewiger Pfadfinder aussieht, so zielstrebig die Sprossen der Macht erklimmen konnte, war für manche ein Rätsel, manchmal wohl auch für ihn selbst.

Sein Führungsstil hatte oft etwas Unberechenbares. Ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt als Herausgeber von Le Monde trat er wegen Differenzen mit der Redaktion zurück, überlegte es sich dann aber noch einmal anders und erklärte in einer Leitkolumne, warum er schließlich doch bleibe. Im Dezember 2010 musste er nach der Übernahme der Zeitung durch das Aktionärstrio Pierre Bergé, Xavier Niel und Matthieu Pigasse dennoch gehen.

Wenn Werbung stört, wird einfach darauf verzichtet

Der Journalismus war bei Fottorino stets ein Standbein, mit dem auch gespielt wurde. Sein erster Zuständigkeitsbereich bei Le Monde, Afrika, ist in mehrere seiner Bücher eingeflossen. Der Roman "Rochelle" (1991) ist autobiographisch geprägt. Das Buch "Questions à mon père" stellt einige Fragen an den Vater, einen jüdischen Marokkaner, den seine bei der Geburt minderjährige Mutter nicht heiraten konnte. "Mon tour du Monde" erzählt Fottorinos "Weltumsegelung" in der Zeitungsredaktion.

Mehrere seiner Bücher sind seiner anderen Leidenschaft gewidmet, dem Fahrrad, auf dem er im vergangenen Jahr beim hundertjährigen Jubiläum der Tour de France auf der ganzen Strecke mitradelte.

Seine neue Zeitung versteht er als ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit des Printmediums. Im ständigen Zapping durch Informationen, die alles aufs Eindimensionale verkürze, verlange der Leser nach Nuancierung: vielfältige Blicke auf ein einziges Wochenthema.

Finanziert wird sein Blatt vom Unternehmer Henry Hermand, der auch den linken Think Tank "Terra Nova" trägt. Auf Werbung wird bei Le 1 verzichtet - bei Le Monde habe ihn immer gestört, dass die Aufmachung der Zeitung stark vom Werbeaufkommen bestimmt werde, sagt Fottorino: Manchmal sei er sich wie ein Lückenfüller zwischen den Werbeblöcken vorgekommen. Sein Zwei-Mann-Unternehmen kann darauf verzichten. Mit 30 000 verkauften Exemplaren wäre die Zeitung überlebensfähig.

Zeit und Dichte auf engem Raum

Ziel von Fottorinos Le 1 ist es, dem informationsübersättigten Leser in einer Art Zeitungskonzentrat auf engem Raum Zeit und Dichte zurückzugeben. Die Aktualität des jeweiligen Wochenthemas wird, so der erklärt der Herausgeber, wie auf einem kubistischen Bild angegangen: Aus den unterschiedlichen Blickwinkeln sollen neue Perspektiven sichtbar werden. Fottorino sieht sein Blatt eher als Inspirations- denn als Informationsmedium.

Ob diese Verlangsamungsoperation der Aktualität bei den Lesern auch entsprechend ankommen wird, werden erst die kommenden Monate zeigen. Nach dem ehemaligen Le Monde-Chefredakteur Edwy Plenel mit seiner inzwischen erfolgreichen Internetzeitung Mediapart und nach dem ehemaligen Le Monde-Herausgeber Jean-Marie Colombani mit slate.fr begibt sich jedenfalls ein weiterer Presseveteran nochmals auf ganz neue Wege.

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