Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Neu in Kino & Streaming: Viggo Mortensen in David Cronenbergs Film "Crimes of the Future".

Viggo Mortensen in David Cronenbergs Film "Crimes of the Future".

(Foto: Nikos Nikolopoulos/Weltkino)

Neues aus Marvels afro-futuristischer "Wakanda"-Welt, David Cronenberg frönt dem Body Horror, und ein Franzose kämpft gegen den Hass.

Von Johanna Adorján, Philipp Bovermann, Sofia Glasl, Fritz Göttler, Tobias Kniebe, Martina Knoben, Doris Kuhn, Juliane Liebert, Philipp Stadelmaier, Anna Steinbauer und Anke Sterneborg

Beautiful Beings

Juliane Liebert: Man sollte dieses Filmdrama aus Island von Regisseur Guðmundur Arnar Guðmundsson besser nicht mit der "Fantastic Beasts"-Reihe verwechseln und seine Kinder hineinschleifen, sonst werden die - schön traumatisiert. Wer dagegen für effektvolle, also suggestiv gemachte Psychohorrorfilme brennt, ist hier richtig: Die Geschichte des gemobbten Außenseiters Balli, der von seinen Klassenkameraden Addi, Konni und Siggi adoptiert wird und durch sie Freundschaft, Liebe, Magie und Gewalt erfährt, vergisst man nicht so schnell wieder.

Black Panther: Wakanda Forever

Tobias Kniebe: Nach Chadwick Bosemans frühem Krebstod lässt Marvel nun auch seine Figur King T'Challa alias Black Panther sterben. Die Fortsetzung beginnt mit der Trauer um ihn. Leider weiß die Welt jetzt auch um das Geheimnis seines versteckten Königtums Wakanda: Alle wollen das Element Vibranium, den Rohstoff purer Macht, den niemand sonst besitzt. Oder gibt es etwa ein weiteres verstecktes Volk, das seine eigenen Quellen hat? Das muss vor allem die schlaue kleine Schwester des verstorbenen Königs (Letitia Wright) herausfinden. Ryan Coogler erzählt seine afro-futuristische Saga weiter, diesmal aber trifft die Kriegslust der Männer auf die Empathie und Weisheit der Frauen. Es ist nur ein Film. Leider.

Crimes of the Future

Philipp Bovermann: Rätselhaft aussehende neue Organe wachsen in den Gedärmen der Menschen heran, harmlos offenbar und vorläufig ohne Funktion, doch das Eigenleben unter den Bauchdecken kündigt einen besinnungslosen Evolutionsschritt nach vorn an. Wie die Delfine es in "Per Anhalter durch die Galaxis" kurz vor der Zerstörung der Erde taten, scheinen die menschlichen Körper die Menschheit zurückzulassen. Zwei Performancekünstler driften in dieser düsteren, andeutungsschwangeren Welt hin und her zwischen einer Untergrund-Fetischkultur, einer Polizeieinheit für "Neue Sünden" und einem dubiosen "Nationalen Organregister". David Cronenberg, 79, spielt all die Motive seiner Filme bis etwa um die Jahrtausendwende noch mal an, als man für ihn das Label "Body Horror" erfand. Leider kommt die Dramaturgie über das Anspielen und Andeuten nicht recht hinaus, und so bleibt der Film selbst ein rätselhaft schillerndes Gewächs. Es ist, als sehe man einen nachträglichen Trailer für Cronenbergs vielschichtiges Körperhorror-Gesamtwerk.

The Drover's Wife

Sofia Glasl: Australien Ende des 19. Jahrhunderts. Molly Johnson ist mit drei Kindern auf ihrer abgelegenen Farm auf sich gestellt, während ihr Ehemann als Viehtreiber Geld verdient. Resolut und eigenbrötlerisch hält sie die Familie zusammen. Als ein Mord die nächstgelegene Stadt erschüttert und kurz darauf ein Aborigine Unterschlupf bei ihr sucht, legt sie sich jedoch in harschen Auseinandersetzungen mit der Männergesellschaft an. Die australische Schauspielerin Leah Purcell macht als Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin aus einer Kurzgeschichte von Henry Lawson einen bildstarken, bisweilen jedoch sehr melodramatischen Western über Frauenrechte und Rassismus im Outback.

Elfriede Jelinek - Die Sprache von der Leine lassen

Anna Steinbauer: Weil Sprache die einzige Kunstform gewesen sei, in der ihre Mutter sie nicht förderte, sei sie Schriftstellerin geworden, erzählt Elfriede Jelinek in Claudia Müllers gleichnamigem Dokumentarfilm. Was treibt die Nobelpreisträgerin an, die als Nestbeschmutzerin der österreichischen Literatur beschimpft wurde, die stets polarisiert und sich als so treffsicher wie sprachgewandt in Beobachtung und Formulierung erweist? Das Filmporträt folgt den Gedankenströmen der Autorin und montiert assoziativ Archivmaterial, Familienaufnahmen, Textcollagen, Teile von Theaterinszenierungen und Interviews. Es entsteht das komplexe Bild einer die Öffentlichkeit meidenden, genialen Sprachkünstlerin. Dank der Stimmen von Sandra Hüller und Sophie Rois taucht man in Jelineks Werk ein.

Heimatkunde

Fritz Göttler: Eine Schule wird wiederbelebt, die Polytechnische Oberschule im brandenburgischen Bärenklau, die wenige Jahre nach der Wende geschlossen wurde. Lehrerinnen und Schülerinnen (auch einige Lehrer und Schüler) kommen zurück und erinnern sich an den Schulalltag in der DDR, Christian Bäucker sitzt dabei, wenn sie in den abgenutzten Klassenzimmern alte Schulhefte durchblättern, pädagogisch instruktive Märchenplatten hören, Fernsehfilme über Werkschutzgruppen gucken. Selbsterkenntnis mischt sich mit Nostalgie. Die Ideale sind streng sozialistisch ausgerichtet, aber der Grundgedanke der Ordnung und die abgeleiteten menschlichen Qualitäten kennt man auch im Westen. Nur der Sportunterricht ist etwas anders, man macht Wurfübungen mit Objekten in Granatenform, erst mal F1-Granaten, später dann die beliebten Stabgranaten.

Ein Höhlengleichnis

Martina Knoben: Ganz oben, ganz unten und ganz viel "dazwischen": Michelangelo Frammartino erkundet Räume, natürliche und kulturelle, auch ein paar Kammern des Menschlichen gehören dazu. Sein Film beginnt mit einer Fahrt ein Hochhaus hinauf, eine Archivaufnahme aus den Sechzigern. Es folgt das Reenactment einer Expedition aus ebendieser Zeit in eine der tiefsten Höhlen Europas, nachgestellt von heutigen Höhlenforschern mit Sechzigerjahre-Equipment. Man braucht Geduld, der Film hat keine dramatischen Wendungen, und gesprochen wird nur wenig. Aber die Bilder (und Töne!) sind berauschend schön - eine Einladung, sich auf diese filmische Exkursion und Meditation einzulassen. Sie führt in eine abgelegene Gegend Italiens und in das Fast-Dunkel einer Höhle, einem Ort wie das Kino selbst.

Mein gestohlenes Land

Fritz Göttler: Ein Film aus dem Widerstand, brennend aktuell, man kennt die Geschichte, und doch ist alles anders. Ein Land in Südamerika, Ecuador, dessen Regime seit 2007 (Präsident Correa, dann sein Nachfolger Moreno) sich einer fremden Macht ausliefert, die mit Kreditlinien und erpresserischen Verträgen die Oberhoheit gewinnt über Bergbau, Ölförderung, Infrastrukturen, Konzessionen. Der Herrscher der fremden Macht kommt auf Staatsbesuch, es ist, mysteriös lächelnd, nicht der US-Präsident, sondern Xi Jinping. Marc Wiese filmt den Dschungelkampf der indigenen Bewohner gegen die fremde Macht und die eigene Polizei, einer der Helden ist Paúl Jarrín. Die andere große Figur ist der Journalist Fernando Villavicencio, der mehr als 4000 Dokumente und Verträge zugespielt bekam, der Hausdurchsuchung erlitt und Flucht. Chinos, go home!

Meinen Hass bekommt ihr nicht

Johanna Adorján: "Meinen Hass bekommt ihr nicht" - diesen Satz postete ein Franzose wenige Tage nach den islamistischen Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris, bei denen 130 Menschen ermordet wurden. Der Mann hieß Antoine Leiris, seine Frau war unter den Opfern, seine Worte, gepostet auf Facebook, gingen um die Welt. Nun hat ihn der deutsche Regisseur Kilian Riedhof zur Hauptfigur eines Kinospielfilms gemacht. Er erzählt sehr berührend von einem Mann, Vater eines kleinen Jungen, der darum kämpft, seinen eigenen Worten gerecht zu werden. Eine Geschichte über das Weiterleben.

Mrs. Harris und ein Kleid von Dior

Anke Sterneborg: Unerreichbar erscheint der wunderschöne Haute-Couture-Traum für die Londoner Putzfrau Mrs. Harris. Der amerikanische Schriftsteller Paul Gallico hat sie erfunden und in seiner Romanreihe in Abenteuer geschickt. In den Achtzigerjahren wurde sie von Inge Meysel verkörpert, in den Neunzigern von Angela Lansbury. Unter der Regie von Anthony Fabian verleiht Lesley Manville ihr jetzt bei aller Realismus-Erdung, die sie aus den Filmen von Mike Leigh mitbringt, eine ganze neue Note von Anmut und Eleganz und tiefer Menschlichkeit, mit der sie auf ihrem Weg zum maßgeschneiderten Kleid viele Menschen berührt und bezaubert.

Robin Bank

Doris Kuhn: Nicht Robin Hood, sondern Robin Bank nennt man den katalanischen Aktivisten Enric Duran. In den Nullerjahren erschlich er über etliche Kleinkredite eine halbe Million Euro und spendete das Geld an Projekte der Antikapitalismus- und Antiglobalisierungsbewegung. Zurück an die Banken ging nichts, er wird bis heute gesucht. Anna Giralt Gris erzählt seine Geschichte über Archivmaterial aus den Medien, spricht mit Weggefährten und gewinnt ihn sogar für ein konspiratives Treffen. Trotzdem hinterlässt er wenig Eindruck in dieser sehr persönlichen, zum Teil etwas wirr strukturierten Dokumentation.

Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall

Philipp Stadelmaier: Hong Sang-soo, der Kinomeister aus Korea, braucht nicht mehr als die im Titel genannten Elemente sowie einige Flaschen Alkohol, den die Figuren konsumieren, um ein kleines Meisterwerk zu schaffen: eine Schriftstellerin (Lee Hyeyoung) macht in Seoul einige Zufallsbegegnungen (unter anderem mit einer Schauspielerin, gespielt von Kim Minhee) und beschließt, einen Film zu machen. Unglaublich minimalistisch, unglaublich komisch, unglaublich genial.

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