Süddeutsche Zeitung

Neue Filme in Kürze:Die Starts der Woche

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Der Regisseur Roy Andersson sucht die Unendlichkeit. In "Lord und Schlumpfi" suchen zwei Metalfans etwas noch Schöneres: das legendäre Wacken-Festival.

Von den SZ-Kritikern

All In - The Fight for Democracy

Nicolas Freund: 1946 wurde der Weltkriegsveteran Maceo Snipes auf der Terrasse seines Hauses ermordet, weil er als einziger Afroamerikaner gewagt hatte, in Georgia zu wählen, so wie es sein Recht ist. Seit Jahrzehnten wird in den USA versucht, Minderheiten mit Gebühren, Tests oder einfach nur Drohungen vom Wählen abzuhalten. Die Dokumentation von Lisa Cortés und Liz Garbus begleitet unter anderem die Politikerin Stacey Abrams, die 2018 in der Wahl zur Gouverneurin Georgias unterlag und massive Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe vermutet. Die systematische Unterdrückung von Wählern als politisches Mittel ist in den USA ein großes Problem. Die Filmemacherinnen verwässern ihr Argument aber selbst, denn nicht jede Panne oder bürokratische Hürde ist gleich eine Unterwanderung des demokratischen Systems.

Bibi Blocksberg und das Geheimnis der blauen Eulen

Ana Maria Michel: Weil Bibis Noten zu schlecht sind, schicken ihre Eltern sie auf ein Schlossinternat, wo sie ein Mädchen kennenlernt, das nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Bibi möchte, dass ihre Freundin wieder gehen kann. Dabei soll Eulenstaub helfen, den auch Bibis Feindin sucht, die Hexe Rabia (Corinna Harfouch). Der Film von Franziska Buch ist eine Wiederaufführung. Er stammt von 2004 und wirkt heute nicht nur wegen der mauen Spezialeffekte recht angestaubt.

Chichinette

Kathleen Hildebrand: Marthe Cohn ist 100 Jahre alt, winzig klein und hat einen krummen Rücken, reist aber nonstop durch die Welt, um von ihrem Leben als Spionin im Zweiten Weltkrieg zu erzählen: Weil sie fließend Deutsch sprach, schickte der französische Geheimdienst die junge Jüdin gegen Kriegsende nach Freiburg, wo sie mit einer Mischung aus Mut und Intuition dazu beitrug, dass der Einmarsch der Alliierten gelang. Auf den Reisen zu ihren Vorträgen, auf denen der Dokumentarfilm von Nicola Alice Hens sie begleitet, ist der Koffer der witzigen, hellwachen alten Dame voll mit Orden und Medaillen.

Eine Nacht im Louvre: Leonardo da Vinci

Kia Valhland: Das Schöne und zugleich Schwierige an Ausstellungen ist, dass man in einer bestimmten Zeitspanne an einem bestimmten Ort sein muss. Dieses Konzept versucht Pierre-Hubert Martin nun mit einer Dokumentation über die Leonardo-da-Vinci-Schau von 2019 zu erweitern. Zu erleben sind elegische Kamerafahrten durch den Louvre bei Nacht, weihevolle Musik, schwarz gekleidete Kuratoren, die Leonardos Werke bestaunen und erklären. Man lernt einiges, gerade zu maltechnischen Details. Der Film ergänzt das Erlebnis vor dem Original, ersetzen kann er es nicht.

Hello Again - Ein Tag für immer

Philipp Bovermann: Eine Hochzeit aufhalten, die bereits im Gange ist - "bisschen spät" findet das Zazies Mitbewohner. Aber sie hat Zeit, denn der Tag, an dem ihr ehemals bester Kumpel Ja zu einer sadistischen Zicke sagt, passiert wieder und wieder. Irgendwas hat sie zu erledigen, bevor die Zeit weiterläuft, das ist Zazie klar. Aber was? Maggie Peren zieht eine angenehme Portion erzählerischer Frische aus der ungewöhnlichen Handlungsanlage und bringt sie gut in dieser buttermilchsüß fließenden romantischen Komödie unter.

Jean Seberg - Against All Enemies

David Steinitz: Ein Spielfilm über die Schauspielerin Jean Seberg, in die fast jeder, der das Kino liebt, zumindest mal kurz verliebt war - "Außer Atem" sei Dank. Benedict Andrews erzählt von ihrer Affäre mit dem schwarzen Bürgerrechtler Hakim Jamal, wegen der sie vom FBI überwacht wurde, aus Angst vor einer Black-Power-Revolte. Kristen Stewart spielt Seberg als Frau auf Sinnsuche, die darunter litt, dass die Menschen "das Mädchen im Herald-Tribune-Shirt wollten, aber nur mich bekamen." (SZ vom Mittwoch).

Lord & Schlumpfi - Der lange Weg nach Wacken

Rudolf Neumaier: Die größten Deppen haben das höchste Kultfigurenpotenzial, und Lord und Schlumpfi sind fantastische Deppen. Der oberbayerische Black-Metal-Brüllaffe und Möchtegern-Satanist Lord, gespielt vom Drehbuchautor Tobias Öller selbst, strebt mit seinem Gitarristen Schlumpfi Ruhm an. Ihr Ziel: Wacken, das Metal-Festival. Aber schon für einen Pakt mit dem Teufel sind sie zu blöd. Das steigert den Satanskultfilmfaktor (Regie: Sabine Schreiber) ins Oberaberwitzige.

Nackte Tiere

Tobias Kniebe: Das ungewöhnliche, fast quadratische Bildformat steht für den Kunstwillen der DFFB-Debütantin Melanie Waelde. Es soll wohl die Beklemmungen der Provinz in Brandenburg zeigen, und den engen Zusammenhalt von fünf jungen Menschen kurz vor dem Abitur. Dass man deren familiäre Kaputtheit, Sinnlichkeit und teils in Jiu-Jitsu-Kämpfe verlagerte Wut nicht wirklich einordnen kann, ist lange interessant. Am Ende aber auch frustrierend - als könnte man ihnen näher sein, wenn sie mehr von sich zeigen würden.

The Outpost - Überleben ist alles

Doris Kuhn: "Alamo" ist der Alarmschrei der 54 US-Soldaten, als 2009 ihr gefährlicher Außenposten im Hindukusch von einer Übermacht der Taliban überrannt wird. Rod Lurie erzählt, was dem vorausging, er beobachtet den Adrenalinpegel der Männer, die Balance zwischen Furcht und Heldentum, das Gesicht von Scott Eastwood, in dem man immer die Züge seines Vaters Clint sieht. Der Film stellt die Wirklichkeit des Afghanistankriegs akribisch nach, am Ende wird das Geschehen von den Überlebenden der damaligen Attacke kommentiert.

Die Rückkehr der Wölfe

Martina Knoben: Mensch und Wolf sind einander unheimlich ähnlich, erläutert ein Biologe im Film: ihr ausgeprägtes Sozialverhalten im eigenen Rudel, ihr "fremdenskeptisches Gehirn" - und beide Arten töten. Vielleicht ist deshalb der Wolf ein besonderes Tier für viele Menschen, gehasst, gefürchtet, von vielen Stadtmenschen aber auch als Inbegriff ungezähmter Natur romantisiert. Der Dokumentarfilm von Thomas Horat erklärt, warum der Mensch so denkt, und setzt diesen Gefühlen viele Fakten zum Wolf entgegen. Wie gefährlich er wirklich ist. Wie Schafzüchter mit der realen Bedrohung durch den Räuber umgehen können. Man sollte öfter Biologen zu Wort kommen lassen, ihre Sicht auf die Dinge ist wirklich erfrischend.

Über die Unendlichkeit

Thomas Steinfeld: In dreißig Episoden erzählt der schwedische Regisseur Roy Andersson von einer Welt, in der die Menschen kein Zuhause finden. Er tut es Grau in Grau, in Formen, die das Melodram ebenso zitieren wie die biblische Geschichte. Und doch verlässt man das Kino heiteren Sinnes. Denn wie man das Leben auch betrachtet: Der Slapstick ist stets gegenwärtig.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020
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