Süddeutsche Zeitung

Neue Filme in Kürze:Die Starts der Woche

Lesezeit: 4 min

Gott kämpft um eine angehende Nonne. In "Artemis Fowl" bleibt viel im Dunkeln. Und ein Liebesfilm, der - wo sonst ist man den Sternen so nah?- in einem Planetarium spielt. Die Filmwoche in Kurzrezensionen.

Ausgrissn!

Anke Sterneborg: Auf der Suche nach der großen Freiheit, dem schwer angeschlagenen amerikanischen Traum und der persönlichen Lebensperspektive reisen zwei bayerische Burschen in kurzen Lederhosen und Janker mit 50 Jahre alten Zündapp-Mopeds über Antwerpen im Frachtschiff nach New York und von dort nach Las Vegas. Ihr Blick auf die Welt ist offen und neugierig, ein bisschen naiv, aber immer liebenswert und authentisch. Schon weil Julian und Thomas Wittmann nicht einfach selbst wacklig draufhalten, sondern ein guter Kameramann wunderschöne Bilder komponiert, sticht der Film aus dem Meer der dilettantischen Selbsterfahrungsfilme hervor. Schöner Trick, ihn in der inszenierten Rahmenhandlung im Gespräch mit der Putzkraft in den Toiletten des Gasthofes zu kommentieren, in dem der Film vorgeführt wird. Vor den grantelnden und ein wenig neidischen Dorfbewohnern.

Artemis Fowl

Ana Maria Michel: Sein Vater hat ihm alles über Fabelwesen beigebracht. Nun muss Artemis Fowl (Ferdia Shaw) lernen, dass sie nicht bloß Fantasie sind, sondern Realität. Um seinen Vater aus den Fängen einer bösen Kreatur zu befreien, die ihr Gesicht stets unter einer Kapuze versteckt, soll der Zwölfjährige den sogenannten Aculos beschaffen. Wofür genau dieser magische Gegenstand gut ist, bleibt aber im Dunkeln. Wie leider so vieles in Kenneth Branaghs Adaption der Jugendbuchreihe von Eoin Colfer auf Disney+.

Der göttliche Andere

Anke Sterneborg: Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen dem notorisch beziehungsunfähigen Reporter, der in Rom über die Papstwahl berichten soll (Callum Turner) und der jungen Italienerin, die sich gerade auf ein Leben als Nonne vorbereitet (Matilda de Angelis). Während sich die irdische Liebe ihre Wege bahnt, scheint der "göttliche Andere" mit übersinnlichen Mitteln um seine junge Braut zu kämpfen. Das könnte der Stoff für eine freche romantische Komödie sein, wenn Jan Schomburg, immerhin Co-Autor von "Vor der Morgenröte" und Regisseur von "Über uns das All", seine Protagonisten nicht nur wie Schachfiguren herumschieben und ihnen Werbesprüche ihrer Lebensentwürfe in den Mund legen würde. Was bleibt, ist als vierter Hauptdarsteller die Stadt Rom in ihrer ganzen sommerlichen Schönheit.

I Still Believe

Fritz Göttler: Die Liebe findet im Planetarium zu sich, man weiß es seit "Rebel Without a Cause" mit James Dean. Wenn's um die Größe und Dichte der Sterne und der Galaxien geht und um die der Gefühle. Jeremy ist auf dem besten Wege, als Sänger Erfolg zu haben, und auch mit seiner Freundin Melissa scheint es allmählich zu klappen. Die Erwin Brothers, Andrew und Jon, machen seit Jahren ungemein erfolgreiche Filme für ein ganz festes Zielpublikum, in einem heilen Kosmos, fest gegründet im christlichen Glauben. Ein Territorium für pure Melodramen: Schicksal, die Akzeptanz des Leidens, Tod. Melissa hat einen Tumor, der bereits gestreut hat. Am stärksten, weiß sie, strahlen immer die Sterne, die am kürzesten leben. Im Melodram ist der Tod eine Supernova.

Kokon

Juliane Liebert: Die erste Periode ist, wie die erste Liebe, eine große Sache. Aber man ist dann schon auch froh, wenn sie vorbei ist. Leonie Krippendorffs "Kokon" handelt von toughen Mädchen, die in Berlin am Kotti leben, in Orangensaft getauchte Watte essen und die ersten Schritte ins Erwachsenenleben tun. Die Darsteller sind supertoll, aber der Film: naja. Vielleicht sollte man es einfach verbieten, Filme in Berlin zu drehen. Oder ganz generell, dass Kinder erwachsen werden. Da kommt eh nie was Gutes bei raus.

Der letzte Mieter

Magdalena Pulz: Die richtig Bösen in diesem etwas tatortigen Film von Gregor Erler sind die Immobilienmakler. Weil sie arme Alte aus ihren Wohnungen vertreiben, um schicke neue Lofts zu bauen. "Gieriger kleine Pisser", sagt der Mieter Dietmar zum Makler am Tag der Räumung, bevor er sich in seiner Küche mit einem Gewehr ins Herz schießt. Sein Sohn, der bärtige Klempner Tobias, ist zufällig vor Ort und in seiner machtlosen Wut quasi gezwungen, den Kampf seines Vaters weiterzuführen. Ein starker Cast, viel wacklige Handkamera, dazu ein grenzschmalziger Soundtrack.

Mossad

Philipp Stadelmaier: Vielleicht liegt es am "Creative Consultant" David Zucker, dem Erfinder der "Nackte Kanone"-Reihe, dass einem Alon Gur Aryes Agentenparodie vorkommt, als sei sie für die Welt von vor dreißig Jahren gemacht worden. Ein gefeuerter Mossad-Agent (Tsahi Halevi) muss einen amerikanischen Tech-Milliardär befreien - mit viel Actionklamauk und kulturell-politischen Klischees. Als animierte Sitcom hätte das besser funktioniert.

Nur ein Augenblick

Fritz Göttler: Weißt du, erklärt Karim seiner Freundin Lilly, dass Araber nicht Fahrrad fahren können ... Was für ein Problem, denn Lilly hat einen Radlladen. Karim kam 2011 nach Hamburg, zu Beginn des Arabischen Frühlings. Ein paar Jahre später muss er zurück nach Syrien, sein Bruder steckt in einem von Assads Foltergefängnissen. Karim stolpert unversehens in den Kampf der Rebellen. Eine schmutzige Geschichte, von Randa Chahoud intensiv aber sehr sauber inszeniert. Mehdi Meskar ist Karim, seine Sanftheit kann erschreckend bodenlos sein. Der bestürzendste Moment: ein kleines Mädchen, das den Mond noch nie gesehen hat... es wurde im Gefängnis geboren.

Sohn der weißen Stute

Sofia Glasl: Selten hat das Kino einen solch psychedelischen Farben-, Formen- und Soundrausch hervorgebracht wie der ungarische Animationskünstler Marcell Jankovics in diesem Film. In kaleidoskophaften Anordnungen lässt er zu einer elektronisch flirrenden Tonkulisse ungarische Volksmärchen, antike Mythologie, Natursymbolik und Skepsis gegenüber einer technikgläubigen Welt zu einem unendlich scheinenden Bilderstrom ineinanderlaufen. In 4K restauriert ist der Film aus dem Jahr 1981 nun zum ersten Mal im Kino zu erleben.

Il Traditore

Philipp Stadelmaier: Marco Bellocchio erzählt in seinem letztjährigen Cannes-Beitrag die Geschichte des Cosa Nostra-"Soldaten" Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino), einem Kronzeugen in den italienischen Mafiaprozessen der Achtziger- und Neunzigerjahre. Wie so oft entfaltet Bellocchio entlang der Jahre und in Rückblenden die komplizierte, berührende Beziehung eines Mannes zu seiner Mafiafamilie, der er nur die Treue halten kann, indem er sie verrät.

Wege des Lebens - The Roads Not Taken

Susan Vahabzadeh: Leo (Javier Bardem) war ein großer Intellektueller, aber die Demenz hat ihn in ein Häufchen Elend verwandelt. Sally Potter beschreibt einen Tag, an dem Leos Tochter (Elle Fanning) mit ihm zum Arzt geht, während sein Verstand ganz woanders ist. Es ist eine spannende Idee, die Diskrepanz zwischen Innenwelt und Außenwelt zu zeigen und Leo so seine Menschlichkeit zurückzugeben - aber Potter schafft es nicht immer, sie in mitreißende Szenen umzumünzen. So ist ihr Film ein hervorragend gespieltes Drama, das an manchen Stellen zu konstruiert wirkt.

The Witch Next Door

Jan Jekal: Idyllisch, diese kleine Seegemeinde in Michigan. Ben (John-Paul Howard) verbringt den Sommer hier bei seinem Vater und arbeitet an der Anlegestelle. Tolle Ferien, eigentlich, nur lernt er nicht nur eine süße Kollegin kennen, sondern auch eine dämonische Waldhexe, die Menschenform annimmt und Jagd auf Kinder macht. Der von den Brüdern Drew und Brett Pierce effektvoll inszenierte Low-Budget-Horror spielt in halbdunklen Schauerkulissen und verzichtet (meist) auf billige Schocks. Mangels Konkurrenz führte er sogar die Kinocharts der USA an.

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SZ vom 13.08.2020
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