Süddeutsche Zeitung

Neue Filme in Kürze:Die Starts der Woche

Lesezeit: 4 min

Der Neustart der Kinos bringt Conni, Heldin der Pixibücher, ein Selbstmord-Hotel im hohen Norden und eine Albtraumreise nach Sibirien.

Von den SZ-Kritikern

Jean-Paul Gaultier: Freak & Chic

Anke Sterneborg: Der Mann ist kaum zu bändigen, sprüht vor Ideen. 2018 bespielte der Modeschöpfer Jean Paul Gaultier die legendären Bretter des Folies Bergère mit einer autobiografischen Revue, Stationen und Motive seines Lebens und Schaffens. Zwei Jahre begleitete Yann L'Hénoret die Entstehung dieser "Fashion Freak Show" mit Tänzern, Artisten, Schauspielern, Models und Lebenswegbegleitern. Dabei ist ein Biopic entstanden, das auch ein Making-of der Bühnenproduktion ist.

Die Känguru-Chroniken (Wiederaufführung)

Magdalena Pulz: Das kommunistische Känguru ist in Deutschland eine Satire-Institution. Die Prämisse des Films von Regisseur Dani Levy - das Drehbuch übrigens von Erfinder Marc-Uwe Kling selbst geschrieben - ist so einfach wie klischeebeladen. Immobilienhai Dwigs will einen gigantischen Turm in den Görlitzer Park bauen. Gegen diese Invasion wehrt sich eine Gruppe Kreuzberger Urgesteine inklusive Känguru. Unterhaltsam, aber die meisten Witze kennt der Känguru-Ultra schon.

Krautrock 1 (Wiederaufführung)

Juliane Liebert: Teil eins einer dreiteiligen Serie über Krautrock, die wiederum Teil eines größeren Projekts der Filmemacher Adele Schmidt und José Zegarra Holder über progressive Musik ist. Das Projekt heißt "Romantic Warriors", und die Idee, sich drei Filme über Krautrock anzusehen, von denen schon der erste zwei Stunden lang ist, ist tatsächlich romantisch und sehr ... krautrockig. Krautrock ist uneingeschränkt liebenswert, und Menschen, die darüber reden, können nicht böse sein. Hat man je von einem Krautrock hörenden Mörder gehört? Eben. Insofern, gute Sache.

Meine Freundin Conni

Ana Maria Michel: 1992 wurde das Mädchen mit dem rot-weißen Ringelpulli erfunden. Viele Bücher, Hörspiele, eine Serie und zwei Kinofilme mit Schauspielern später gibt es nun die erste animierte Version. Bei Ansgar Niebuhr macht Conni ihre erste Kita-Reise ohne Eltern. Bei einer alten Burgmühle erlebt sie mit ihren Freunden, ihrem Kater Mau, einem Waschbären und einem Dieb ein harmloses Kinoabenteuer, bei dem das ganz junge Publikum mitfiebern kann.

Die schönsten Jahre eines Lebens

Susan Vahabzadeh: Eine Träumerei am Lebensabend: Anne (Anouk Aimée) und Jean-Louis (Jean-Louis Trintignant), die beiden Liebenden, die am Ende von Claude Lelouchs "Ein Mann und eine Frau" von 1967 wieder voneinander lassen, begegnen sich noch einmal. Er, der einmal Rennfahrer war, sitzt im Rollstuhl, sie kommt auf Bitte seines Sohnes ins Altersheim, weil sich Jean-Louis an wenig aus seinem Leben erinnern kann - aber die kurze Zeit mit ihr ist immer noch da. Die echten Begegnungen verlängern sich in seinen Tagträumen. Lelouch hat viele Ausschnitte aus dem alten Film eingefügt, eine melancholische Studie eines Mannes, der weiß, dass es für ihn keine Zukunft mehr gibt, und der in seiner Fantasie doch lebt, solange er liebt.

Siberia

Philipp Stadelmaier: In ihrem sechsten gemeinsamen Film schickt Abel Ferrara Willem Dafoe durch verschiedene Klimazonen und die Innenwelt eines Mannes, der von Erinnerungen, Träumen und Visionen geplagt wird. Die Sehnsucht nach Neugeburt bestimmt diesen Film, dessen Macher seinen Glauben an alles verloren hat - außer an die dunklen Kräfte des Kinos.

Sonne im Herzen

Anna Steinbauer: Mal den Kopf durchlüften. Dachte sich Volker Meyer-Dabisch und begab sich auf die Suche nach alternativen Lebensmodellen. In seiner inspirierenden Doku trifft er auf Systemaussteiger, Wanderprediger, Kräuterspezialisten und Tipi-Bewohner und geht der Frage nach, was wirklich glücklich macht.

Suicide Tourist

Fritz Göttler: A beautiful ending ist angesagt. Aurora heißt das Institut, eine Art Luxushotel zur Lebensbeendung. Max checkt hier ein, als er erfährt, dass sein Gehirntumor nicht operabel ist, er ist der Suicide Tourist im Film von J onas Alexander Arnby. Nikolaj Coster-Waldau, der Star aus "Game of Thrones", ist der gutbürgerliche Max, mit Oberlippenbart und Brille. In seinem gestreiften Pyjama schaut er wie ein Sträfling aus, und die Neonröhren an den Wänden sind wie Gitterstäbe. Ein melancholischer kleiner Film, der den Begriff der Wellness erschreckend ad absurdum führt.

Sunburned

Doris Kuhn: Touristenurlaub in Andalusien: Carolina Hellsgard schreckt nicht davor zurück, das Elend von Hotelburg, Animateuren, Dauerparty in Bilder zu setzen, schön hellblau und beklemmend. Eine Mutter und zwei halbwüchsige Töchter probieren aus, was das Strandleben so bietet, das führt die Jüngste zu einem senegalesischen Flüchtling gleichen Alters. Es folgt jedoch nicht bloß ein Drama über Unschuld und Hilfsbereitschaft, sondern über die Nöte des Heranwachsens auf beiden Seiten.

Die Tochter des Spions

Annett Scheffel: Als 19-Jährige erfährt die Lettin Ieva Lešinska 1978, dass ihr Vater Doppelagent ist und muss sich entscheiden: mit ihm unter falscher Identität in den USA leben oder ihn an die Sowjets verraten? 40 Jahre später folgen Jaak Kilmi und Gints Grūbe der Tochter in ihre Erinnerungen, eine irre Biografie mitten im Kalten Krieg. Wie die Tochter sich befreite, so richtig weiß man das am Ende aber nicht.

Undine

Tobias Kniebe: Wie die Antriebskräfte eines Künstlerlebens mit den Jahren immer sichtbarer werden: Christian Petzold, daran gibt es kaum einen Zweifel mehr, ist der größte Romantiker des deutschen Kinos. Hier geht er in die Mythologie um den Wassergeist Undine zurück, um von der schicksalhaften Verbindung zweier Liebender zu erzählen, von Hingabe, Aufopferung, Untreue und Verrat. Das funktioniert selbst im urbanen Berlin und in Unterwasserszenen aus dem Arbeitsleben eines Industrietauchers. Vor allem aber lässt es die Schauspieler leuchten: den herzergreifenden Franz Rogowski und die alles überstrahlende, mit dem Goldenen Bären gefeierte Paula Beer.

Zu weit weg (Wiederaufführung)

Doris Kuhn: Zwei Neue kommen in die Schule. Tariq, elfjähriger Flüchtling aus Aleppo, und Ben, frisch zugezogen, weil sein Dorf abgerissen wird. Beide sind einsam, beide spielen Fußball, sie tun sich zusammen, eher desinteressiert. Dann aber will Ben mehr über Tariqs Geschichte wissen, und es wächst die Erkenntnis, dass sie einander helfen können. Berührend erzählt Sarah Winkenstette vom Glück der Freundschaft, ohne die Wirklichkeit für einen Kinderfilm zu beschönigen.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2020
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