Süddeutsche Zeitung

Neue Filme in Kürze:Die Starts der Woche

Die Superschurkin Harley Quinn hat sich vom Joker getrennt, Heiner Lauterbach betreut den Nachwuchs - die Filmstarts im Überblick.

Von den SZ-Kritikern

21 Bridges

Anke Sterneborg: Nach einer Schießerei beim nächtlichen Überfall auf ein Kokaindepot in einem Edelrestaurant beginnt eine unerbittliche Jagd auf die Copkiller. Der von "Black Panther"-Darsteller Chadwick Boseman charismatisch gespielte Polizist ordnet die Abriegelung von Manhattan an, von allen 21 Brücken und dem Luftraum, und flutet die Stadt mit blauen Uniformen. Würde sich der Regisseur Brian Kirk für die Auswirkungen dieser irrwitzigen Maßnahme in einer Metropole wie New York interessieren, hätte das ein toller Thriller mit Eighties-Flair werden können. So ist es nur eine Killerorgie mit wild gewordenen Gangstern und korrupten Cops.

Birds of Prey

Juliane Liebert: Ein weiteres Superhelden-Spin-off: Nachdem sie sich vom Oberbösen Joker getrennt hat, ist Harley Quinn vogelfrei. Jeder, dem sie mal Böses angetan hat, will Rache. Und das, so stellt sich heraus, sind so einige. Cathy Yans "Birds Of Prey" ist laut und schnell und schrill, also in vielerlei Hinsicht das Gegenteil zu Todd Phillips' "Joker", und macht hauptsächlich wegen der Hauptdarstellerin Margot Robbie Spaß. Auch wenn man sich ein bisschen fragt, wer noch alles ein eigenes Spin-off kriegen wird. Das Batmobil? Batmans linker Schuh? Batmans rechter Schuh? Beide? Wir dürfen gespannt sein.

Butenland

Benedikt Scherm: Wenn im Abspann eines Films Kühe in der Reihenfolge ihres Auftritts gewürdigt werden, zeigt das ziemlich gut, wie wichtig die Tiere auf dem Hof von Karin Mück und Jan Gerdes sind. Butenland heißt das Projekt, bei dem Rinder frei von Zwängen als Nutztiere leben dürfen. Filmemacher Marc Pierschel zeigt das als Idylle, ja als Utopie, ohne den großen moralischen Zeigefinger zu schwingen. Mit leisen Tönen und ruhigen Bildern transportiert er die Atmosphäre des Hofes und charakterisiert gleichzeitig seine Macher, die beide einen ganz unterschiedlichen Weg genommen haben, bis sie schließlich zueinander und zum Hof fanden.

Coma

Fritz Göttler: Erinnerungen sind gefährlich in diesem Film. Eine Gruppe im Koma liegender Menschen baut aus ihnen gemeinsam eine neue Welt aus allen möglichen Versatzstücken. Ein ausrangierter Bus, konfus gestückelte Wohn- und Fabrikbauten, Brücken ins Nirgendwo, ein U-Boot, eine grasende Kuh, der ein Stück Rücken fehlt, aber auch schwarze amorphe Monster. Regisseur Nikita Argunov, der bei diversen Fantasy- und Historienfilmen für visuelle Effekte zuständig war, bringt in seinem ersten eigenen Film - "Inception"-gleich - die Perspektiven aus der Balance. Hier können wir endlich sein, wer wir wollen, ist die kühne Parole. Die Hauptarbeit muss ein junger Architekt leisten, mit seinen utopischen Projekten.

Congo Murder

Fritz Göttler: Zwei Norweger im Kongo, was hatten sie dort zu suchen? Spione oder Söldner in umstürzlerischem Auftrag oder mit Abenteuerlust? Der Fall von Joshua French (Aksel Hennie) und Tjostolv Moland (Tobias Santelmann) erregte Aufsehen in Norwegen, sie sollen im Mai 2009 ihren einheimischen Fahrer erschossen haben, wurden vor Gericht gestellt, verurteilt, es gab Forderungen nach Entschädigung für die Witwe des Opfers, europäische Anwälte nahmen sich des Falles an. Und dann gab es einen zweiten Toten, einen zweiten Mordvorwurf ... Marius Holst begibt sich ins Herz der Finsternis, in die Seele der beiden Männer, ihren Traum, noch einmal als ein Krieger sich zu erleben in dieser Welt, die keine Abenteuer mehr kennt, gewaltbereit, aber reinen Herzens.

Enkel für Anfänger

Josef Grübl: Die Aufregung über das "Umweltsau"-Lied des WDR-Kinderchors hat sich gerade erst gelegt, da droht bereits das nächste Rentner-Bashing: In dieser Mehrgenerationenkomödie von Wolfgang Groos kurven kinderlose Senioren mit ihren SUVs durch die Stadt, brutzeln Billigfleisch oder buchen Langstreckenflüge nach Neuseeland. Nebenbei melden sie sich bei einer Enkelagentur an und passen auf den Nachwuchs anderer Leute auf. Das klappt besser als gedacht, nervig sind nur die Erzeuger der Kleinen. Oder die Spaßverderber im Publikum, die den Alten ihre CO₂-Bilanz vorrechnen wollen.

Das freiwillige Jahr

Martina Knoben: Ein deutsches Trauerspiel für das 21. Jahrhundert: Tochter Jette (Maj-Britt Klenke) will ein freiwilliges soziales Jahr in Costa Rica antreten, aber verpasst nicht ganz zufällig ihren Flug. Der Traum von Costa Rica ist auch gar nicht ihrer, sondern der ihres Vater Urs (Sebastian Rudolph), der als Arzt auf dem Land nicht glücklich ist und der Tochter seine eigenen Ausbruchsfantasien aufzwingt. Wer cinephilen Außerirdischen etwas über Deutschland erzählen wollte, seine Provinz und das Bildungsbürgertum mit seinen liberalen Ansichten und seinem oft autoritärem Tun, könnte ihnen den Film von Ulrich Köhler und Henner Winckler vorführen. Alles wirkt vertraut und gleichzeitig bedrohlich; an jedem Kreisverkehr befürchtet man eine Katastrophe.

In Search

Doris Kuhn: Beryl Magoko gehört zu den Millionen Afrikanerinnen, deren Genitalien verstümmelt wurden. Sie spricht mit Leidensgenossinnen über die barbarische Sitte, man erfährt von Tradition, Unwissenheit, Scham, Schmerz, von der Macht, der die Frauen unterworfen waren oder sind. Die Dokumentation beginnt schüchtern und wird härter, je mehr Betroffene ihre Geschichte erzählen. Gleichzeitig schürt sie Hoffnung, denn die Regisseurin ist mutig genug, auch die eigene chirurgische Rekonstruktion zu thematisieren.

Intrige

Kathleen Hildebrand: Paris sah noch nie so kalt aus wie in diesem Film. Roman Polanski zeichnet akribisch, stoisch und dennoch packend die Dreyfus-Affäre nach, als Geheimdienst-Thriller aus der Sicht von Colonel Picquart (Jean Dujardin). Er war an der Verurteilung von Alfred Dreyfus beteiligt, erkennt dann dessen Unschuld und kämpft für die Freilassung des jüdischen Hauptmanns. Jede Amtsstube sieht aus wie ein altes Gemälde, das dringend restauriert gehört. Der Antisemitismus hängt überall wie ein giftiger Dunst. Und alle Fenster scheinen zu klemmen. Wer die Qualität dieses Films würdigen will, muss sie aber trennen von der Person Polanski, der wegen Sex mit Minderjährigen verurteilt wurde und aktuell mit neuen Vorwürfen konfrontiert ist.

The Lodge

Tobias Kniebe: Veronika Franz, 65, schreibt und produziert mit ihrem Mann Ulrich Seidl düster-verstörende Österreich-Analysen - aber mit Severin Fiala, 35, bildet sie auch ein Horrorfilm-Duo mit Hang zu verstörender Psychologie. Nach "Ich seh ich seh" erobern die beiden nun die USA, mit einer tollen Riley Keough in der Hauptrolle. Familienenge, Kindertrauma, Stiefmutter-Hass, seelische Grausamkeit, und der Wahnsinn droht wie in "The Shining". Die Ereignisse in einer einsamen eingeschneiten Hütte im Nirgendwo sind nie übernatürlich, aber hoch symbolisch, brillant erdacht und durchweg verstörend. Der wahre Horror wohnt hier im Kopf.

Varda par Agnès

Philipp Stadelmaier: Bevor die Nouvelle-Vague-Ikone letztes Jahr im Alter von 90 Jahren starb, präsentierte sie auf der Berlinale noch ihren Vermächtnisfilm. In diesem zeigt sich Agnès Varda bei Auftritten, bei denen sie durch ihr Leben und Werk streift. Sie zeigt und kommentiert Filme, Fotos und Ausstellungen. Und erinnert daran, dass Filme vergänglich sind, die Zeit nicht festhalten können. Wovon sie sich jedoch nicht die Laune verderben lässt.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2020
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