Neue Filme:Die Starts der Woche in Kürze

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Der japanische Film "Antiporno" ist wie ein böser Traum. In "Das Familienfoto" erzählt Cécilia Rouaud von drei Geschwistern und ihren Lebenssorgen.

Von den SZ-Autoren

Die Starts ab 16. Mai auf einen Blick. Rezensionen ausgewählter Filme folgen.

Antiporno

Philipp Bovermann: Den Frauen in diesem Land fehle die Freiheit der "billigsten Straßennutte". Solche Zeilen brüllt die Darstellerin, sie lässt ihre Assistentin nackt auf allen vieren herumlaufen wie einen Hund, dann werden die Rollen getauscht, die Kulissen kippen, ein Regisseur ruft "Cut". Hinter jedem Frauchen steht ein weiteres Frauchen, hinter jedem Frauchen ein Herrchen, hinter dem Herrchen ein Leguan in einer Glasflasche, vom Himmel stürzende Farbe, Konsum, Tod, und am Grunde von allem, gewissermaßen als unbewegt bewegender Letzt-Phallus, eine Kamera. Dieser quietschbunte, merkwürdige, sich selbst zerlegende Kunstporno des japanischen Regisseurs Sion Sono fühlt sich an wie eine Mischung aus Pussy Riot, Luis Buñuel und einem Mangaporno: sehr wild, sehr fremd, wie ein böser Traum.

Der Boden unter den Füßen

Annett Scheffel: Zunächst ist die Geschichte des diesjährigem Berlinale-Wettbewerbsfilms angelegt wie in "Toni Erdmann" - der Wahnsinn bricht in das Leben einer kühlen Karrierefrau ein -, entwickelt sich dann aber zu einem Verwirrspiel über Stark- und Schwachsein, Aufstieg und Absturz. Die erfolgreiche Unternehmensberaterin Lola wird nach dem Suizidversuch ihrer psychisch kranken Schwester aus ihrem präzise eingerichteten Alltag gerissen. Die österreichische Filmemacherin Marie Kreutzer inszeniert das als kluge Mischung aus präzisem Familiendrama und seltsam nüchterner Geistergeschichte: Das Gespenst ist hier die Angst selbst durchzudrehen.

Das Familienfoto

Anke Sterneborg: Im Kino sind Feste und Trauerfeiern das Barometer für Familienkrisen aller Art. Cécilia Rouaud macht zwei Beerdigungen zur Klammer für eine französische Familienaufstellung. Zwischen dem Tod des Großvaters und der Großmutter entfaltet sie das lebendige Bild einer disfunktionalen Großfamilie, in der drei erwachsene Kinder (Vanessa Paradis, Camille Cottin und Pierre Deladonchamps) auf charmant überspannte Weise mit ihren mehr oder weniger provisorischen Lebensentwürfen ringen, und mit den anstrengenden Befindlichkeiten der getrennt lebenden Eltern und einer jüngeren Stiefmutter.

Die Kinder der Utopie

Martina Knoben: Inklusion ist in Deutschland ein Reizthema. Eigentlich wären ja alle dafür, wenn nur die Umsetzung nicht wäre ... Bereits 2004 hat Hubertus Siegert in "Klassenleben" eine der ersten Schulklassen porträtiert, in denen Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam lernten. Zwölf Jahre später trifft er einige der Schüler wieder. Jenseits von bildungspolitischen Debatten ist diese Dokumentation ein unaufgeregter Beleg, was Inklusion bewirken kann. Schön, wie unbefangen die jungen Leute miteinander umgehen, wie selbstbewusst auch die Behinderten sind. Ein anderes Schulsystem bildet eben auch andere Menschen heran, die anders miteinander umgehen und auch die Welt womöglich ein bisschen anders gestalten.

Greta

Philipp Stadelmaier: Neil Jordans Film beginnt wie eine Art-House-Romanze zwischen zwei Frauen in New York, gespielt von Chloë Grace Moretz und Isabelle Huppert. Die erste hat ihre Mutter verloren, die Tochter der zweiten lebt weit weg - ein perfektes Match. Aber die (Ersatz) Mutter ist eine Psychopathin. Die Romanze wird zum Alptraum, und die Galerie von Huppert verkörperter Monstren um ein besonders fieses Exemplar reicher.

Karo und der liebe Gott

Ana Maria Michel: Karo wünscht sich nichts sehnlicher, als dass alles wieder so wird, wie es war. Weil ihre Eltern sich getrennt haben, bittet die Achtjährige Gott durch ein Walkie-Talkie um Hilfe. Und der antwortet. Denn Gott lebt als griesgrämiger, aber liebenswürdiger Sandler in Wien. Danielle Proskar hat diese Geschichte bereits 2006 erzählt, nun kommt ihr Film erneut ins Kino. Er hat zwar schon etwas Staub angesetzt, aber doch noch einen gewissen Charme.

Klasse Deutsch

Anna Steinbauer: So eine Lehrerin hätte sich jeder gewünscht: Geduldig und resolut erteilt die charismatische Ute Vecchio Lektionen, trocknet Tränen und lehrt den Schülern der Klasse B206 an der Kölner Schule vor allem eines: Deutsch. Die Jugendlichen kommen aus verschiedenen Ländern und werden von der Lehrerin der Übergangsklasse auf den Einstig ins Schulsystem vorbereitet. Die Schwarz-Weiß-Doku von Florian Heinzen-Ziob begleitet den Schulalltag und zeigt einfühlsam und witzig, wo gelungene Integration beginnt.

Maquia

Maximilian Senff: Die Liebe zwischen Mutter und Kind ist eine ganz besondere. Mit dieser Verbundenheit und der Tragik des Abschiednehmens setzt sich Mari Okadas Regiedebüt auseinander. In dem Animefilm können die Einwohner des Lands Iorph mehrere Hundert Jahre alt werden. Als das Volk von der Armee des Königreichs Mesate attackiert wird, flieht die Protagonistin Maquia. Sie zieht ein Findelkind groß und kämpft mit ihrem ausbleibenden Alterungsprozess sowie den Unwägbarkeiten einer für sie andersartigen Welt. Ein extrem gefühlsbetonter Film, der auch Zuschauern, die mit dem japanischen Trickgenre bislang fremdeln, zu empfehlen ist.

Once Again - Eine Liebe in Mumbai

Fritz Göttler: Die Liebe in Mumbai, von der Kanwal Sethi erzählt, ist erst mal auf die Nacht beschränkt. Tara (Shefali Shah) kocht jeden Tag und führt ein Restaurant, Amar (Neeraj Kabi) ist einer der ganz großen Stars des indischen Kinos. Tara verführt Amar durch das exquisite Essen, das sie ihm jeden Abend zubereitet und schickt, die beiden telefonieren miteinander, zärtlich, zögerlich, es dauert, bis sie sich erstmals trauen, einander zu treffen. Amar hat eine Tochter, Tara Tochter und Sohn, der über die Beziehung der Mutter nicht glücklich ist. Eine sanfte Variation zu Sirks Supermelodram "All That Heaven Allows", bedächtig und pointillistisch tupft Kanwal Sethi ein Bild der Großstadtnacht hin und ihrer Einsamkeit.

The Silence

Doris Kuhn: Eine neue Spezies von Fledermäusen bedroht Amerika. Sie sind aggressiv, menschenfleischfressend, blind; sie jagen nur nach Gehör. Das bringt der Familie eines tauben Mädchens einen Überlebensvorsprung, denn Oma, Eltern und der kleine Bruder können leise sein - sie beherrschen die Zeichensprache. John R. Leonetti holt viel Spannung aus den fliegenden Monstern und dem Stillsein-oder-Sterben-Motiv, hält sich sonst aber sehr vorhersehbar an die Muster des Apokalypse-Genres.

The Sun is also a Star

Doris Kuhn: Ein Mädchen darf nicht in den USA studieren, sondern wird nach Jamaika abgeschoben. Ein Junge soll auf ein Prestige-College obwohl er lieber Dichter werden will. Die beiden verbringen 24 Stunden miteinander und finden die Liebe, trotz der Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten, die Ry Russo-Young ihnen zumutet. Eigentlich ein Werbevideo für New York: Teenager vor Sehenswürdigkeiten vor seitlich einfallendem Sonnenlicht.

Under the Tree

Fritz Göttler: Das Verschwinden einer Katze und eines Hundes erhitzen den Konflikt in dieser stillen schwarzen Komödie von Hafsteinn Gunnar Sigurðsson, und dann auch ihre Rückkehr, in sehr fragwürdiger Gestalt. Begonnen hat er fast alltäglich, mit aufgeschlitzten Autoreifen, der Streit um den Schatten, den ein Baum im Garten auf die Veranda des Nachbarn wirft. Die Frauen sind die bösen treibenden Kräfte dieses Streits, die Männer setzen blutige Akzente. Tief in den Herzen aber rumoren Frustration und Trauma. Den größten Mist baut, in seiner Naivität, ein Sohn, er hat sich selbst beim Beischlaf mit einer anderen gefilmt, und seine Frau kriegt das dann versehentlich zu sehen

Urfin, der Zauberer von Oz

Ana Maria Michel: Der Tischler Urfin will mit einer Armee aus geschnitzten Holzsoldaten das Land Oz erobern und bekommt es dabei mit Dorothy und ihren Freunden zu tun. Urfins Erfinder ist der Russe Alexander Wolkow, der Lyman Frank Baums Klassiker "Der Zauberer von Oz" ab 1939 mit einer Kinderbuchreihe weitergesponnen hat. Der Animationsfilm von Vladimir Toropchin, Fedor Dmitriev und Darina Shmidt ist inspiriert von seinem Werk. Etwas Vorwissen über die Welt von Oz und ihre Figuren schadet den Zuschauern im Kino sicher nicht.

Wir - der Sommer, als wir unsere Röcke hoben und die Welt gegen die Wand fuhr

Annett Scheffel: Basierend auf Elvis Peeters brutalem Adoleszenzroman inszeniert René Eller in so expliziten wie sonnendurchfluteten Bildern den moralischen Kontrollverlust von acht Jugendlichen in der Hitze eines scheinbar endlosen Sommers. Zwischen Drogen, Lebensgier und immer rücksichtsloseren Sex- und Machtspielen wollen sie der bleiernen Spießbürgerlichkeit ihrer Dorfgemeinschaft entrinnen. Auch Eller will Tabus brechen, bleibt aber sensibel für die Perspektiven der Teenager, die er in vier Kapiteln erzählt. Ein rauschhafter, verstörender Film über eine gespenstisch kalte Jugend, die ihre Verletzlichkeit zu spät erkennt.

WKDW - Was kostet die Welt

Philipp Stadelmaier: Das ist die Frage in dieser Reportage von Bettina Borgfeld, die den Kampf der Bewohner der kleinen englischen Kanalinsel Sark gegen zwei Milliardäre begleitet. Die kaufen das verschlafene Eiland nach und nach auf, um es zu einem Steuerparadies zu machen - und zerstören dafür eine funktionierende kleine Gemeinschaft. Wer ein gutes Beispiel für Klassenkampf von oben sucht, sollte sich diesen Film anschauen.

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