Neue DVD: "Cream":Gepresste Ratte und Warzenschwein

Nichts außer der Lust an der Musik: Das Wiedervereinigungskonzert von "Cream" gibt es nun auf DVD - und das macht den Unterschied!

THOMAS STEINFELD

Eines der großen Lieder in der Geschichte der populären Musik heißt "Badge", also "Abzeichen" oder "Marke". Es stammt von der Gruppe Cream, einem der erfolgreichen Trios der späten sechziger Jahre, und ist ein Symbolstück der verhaltenen Kraft. Tief und grollend kommt der Bass daher, klettert schwer, aber geschmeidig die Tonleiter hinauf, um, auf der Oktave angelangt, wie ein übermütiger junger Spund wieder herunterzuhüpfen. Machtvoll ist auch der Gesang, getragen von einem weichen, runden Tenor: "I told you not to wander 'round in the dark." Und selten hat es in der populären Musik einen ähnlich effizienten Umgang mit der Dynamik gegeben - mindestens eineinhalb Takte lang wird nach der zweiten Strophe geschwiegen, bis die Gitarre wieder einsetzt und das Thema gleichsam rückwärts spielt, wobei die Töne nun durch die rotierenden Lautsprecher eines Leslie-Kabinetts geleitet werden, so dass sie klingen, als hätten Überirdische einen Chor auf den Achtzylindermotor angestimmt.

Neue DVD: "Cream": An ihrer Kraft muss diese Gruppe zugrunde gegangen sein, im November 1968, als der Bassist sein Instrument wie einen Schlagstock in die Hand nahm und damit auf das Gerät des Schlagzeugers eindrosch.

An ihrer Kraft muss diese Gruppe zugrunde gegangen sein, im November 1968, als der Bassist sein Instrument wie einen Schlagstock in die Hand nahm und damit auf das Gerät des Schlagzeugers eindrosch.

An ihrer Kraft muss diese Gruppe zugrunde gegangen sein, im November 1968, als der Bassist sein Instrument wie einen Schlagstock in die Hand nahm und damit auf das Gerät des Schlagzeugers eindrosch. Dabei mag es nur um einen verpassten Einsatz gegangen sein, aber zugleich hatte der Gitarrist davon geträumt, kein Gott der Virtuosität mehr sein zu müssen, sondern ganz einfache, kleine, traurige Lieder spielen zu dürfen. Was er denn auch bald tat, wodurch er reich und berühmt wurde, während die beiden anderen weniger spektakulären Karrieren nachgehen mussten.

Jack Bruce, der Bassist von Cream, ist unlängst in die Weltliteratur eingegangen. In "Saturday", dem vor einigen Monaten auch auf Deutsch erschienenen Roman von Ian McEwan, gibt er Theo, dem Sohn des Helden, einem achtzehnjährigen, höchst talentierten jungen Mann, Unterricht auf der Bluesgitarre. Die Begegnung mit dieser Musik stellt einen der innigsten Augenblicke in diesem Buch dar: "Es gibt diese seltenen Momente, in denen Musiker gemeinsam an etwas rühren, das wunderbarer als alles ist, was sie je zuvor in Proben und Auftritten gefunden haben, etwas, das über bloße Zusammenarbeit und technisches Können hinausgeht, das die Ausdruckskraft ihrer Musik so gelöst und attraktiv wie Freundschaft oder Liebe wirken lässt." Dieses musikalische Bewusstsein von glücklicher Nähe ist so stark, daß es in "Saturday" drei Generationen, Großvater, Vater und Sohn zusammenbringt, im "Traum einer Gemeinschaft", die mit den letzten Tönen wieder entschwindet. Im Mai dieses Jahres hat die Gruppe Cream wieder ein paar Konzerte gegeben, in der Londoner Royal Albert Hall, am selben Ort, an dem man sich knapp dreißig Jahre zuvor vom Publikum verabschiedet hatte. Gespielt wurde die Musik, mit der die Gruppe damals vier Langspielplatten hatte füllen können und die seitdem in Endlosschleifen durch die Radiosender ziehen, die sich dem classic rock widmen: "Badge", "White Room" und "Born Under a Bad Sign". Von diesem Konzert ist nun ein Film erschienen, eine DVD mit vorzüglicher Klangqualität, die, in einer ungewöhnlich ruhigen, gelassenen, ganz auf die Musiker konzentrierten Regie nachvollziehbar werden lässt, aus welchem Stoff jener "Traum von Gemeinschaft" tatsächlich gewebt ist: Geschaffen wird er aus dem Blues und dessen Pentatonik, aus schlichtem Material also, aus einem Sandkorn, und das Wunder tritt ein, wenn das Spiel mit den Abweichungen, mit dynamischen Verschiebungen, kurzen Stops und kühnen Harmoniewechseln zu einem einzigen, ebenso soliden wie luftigen Klanggebäude, zu einer höchst kunstvollen, aber mühelos wirkenden Verführung wird. Sie reicht dann weit über den Rand der Bühne hinaus.

Selbstverständlich ist das Alter der Musiker unübersehbar. Sie sind sechzig und älter. Bei Eric Clapton hängt das unrasierte Kinn herab, und wenn er sich mit seiner Gitarre nach vorne beugt, was er oft tut, dann ähnelt er einem der bekannten amerikanischen Soldaten, die ihre Fahne auf Iwo Jima in den Schlamm rammen. Ginger Baker, der Schlagzeuger, hat auf seinem Schemel etwas von einem militanten Greis. Wenn er die Litanei von "Pressed Rat and Warthog" absingt, in scharfem Londoner Dialekt, dann erkennt man noch den gewesenen Radrennfahrer in ihm, den ehemaligen italienischen Olivenbauern und Pferdezüchter in Colorado (Polopferde sind es gewesen, und nicht viele). Aber man ahnt auch schon, dass dieser bleiche, hagere Kerl eines Tages der Albtraum seiner Pfleger sein wird.

Und Jack Bruce? Dieser faltige Pumuckels mit dem wirren Haar, dieser müde, dünne, kranke Mann, der immer wieder, auch in Augenblicken höchster Dynamik, einen Hocker braucht, um unter der Anstrengung nicht zusammenzusinken? Ein wenig zersaust und verbittert wirkt er, mit schmalem, nach unten gezogenen Mund, doch dann schaut er hinüber zu Eric Clapton, und in diesem schnellen Blick liegt so viel Begeisterung, so viel Energie und auch Vertrauen, dass alle Gebrechen abzufallen scheinen von diesen dreien - und nichts übrig bleibt außer der Lust an dieser Musik.

Welche Errungenschaft eine DVD gegenüber einer Schallplatte darstellen kann, wie viel mehr es zu erleben gibt, wenn man Musik im Augenblick ihrer Entstehung auch betrachten kann, wird hier sinnfällig. Da stehen drei Männlein auf der riesigen Bühne eines gewaltigen Konzertsaals. Der Bassist schlägt sein Instrument, anstatt es zu zupfen, und plötzlich versteht man, warum er klingt, wie er klingt: Er haut die Quinten, macht absichtlich Krach, damit das harmonische Fundament unter dem Gitarrensolo nicht zu dünn wird. Eric Clapton hingegen bewegt seine Finger mit einer Lässigkeit, als passte alles, was je zu sagen wäre, auf den fünften und siebten Bund einer Gitarre. Und das linke Hosenbein des Schlagzeugers ist nach oben geschlagen, so dass der Blick frei ist auf den weißen Unterschenkel, der in einer schwarzen Socke steckt und diese wiederum in einem schon etwas abgetragenen schwarzen, staubigen Straßenschuh. Diese Details, die man nicht hören kann, die man sehen muss, sind nicht unwesentlich. Sie erzählen eine Geschichte: von der Beständigkeit dieser Musik und davon, wie sie der Hinfälligkeit der Musiker und des Publikums Paroli bietet.

Natürlich ist auch diese Musik nicht mehr ganz dieselbe, die sie vor dreißig Jahren war. Die Lautsprechertürme von Marshall sind verschwunden, das ganze Bauwerk ist feiner, ökonomischer geworden, das Spiel mit der Kraft ist nicht mehr auf schiere Überwältigung, sondern auf Überzeugung angelegt. Es braucht lange, bis zum Schlagzeugsolo in "Toad" auf der zweiten Scheibe, bis Ginger Baker zeigt, welche Synkopengewitter er auf zwei Basstrommeln noch immer anstellen kann. Vor dreißig Jahren hätte er keine fünf Minuten gewartet. Zuweilen, erzählt der Romancier Ian McEwan von Theo, dem Schüler von Jack Bruce, erlaube die Musik den flüchtigen Blick "auf eine unmögliche Welt, in der man alles, was man besitzt, fortgibt und doch nichts verliert". Das ist Kitsch, gewiss. Und hält doch die Welt zusammen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: