Süddeutsche Zeitung

Neue CDs:Klassikkolumne

Der Pianist Julien Libeer spielt Bartók neben Bach, Víkingur Ólafsson bringt Rameau und Debussy zusammen. Und bei Matthias Goernes Lieder-CD stellt sich die Frage, warum man von Beethoven einfach nicht genug bekommen kann.

Von Helmut Mauró

Während der Preis für Atemmasken auf das 30-Fache steigt, unterbieten sich Musiker in diversen Netzaktivitäten darin, ihre Kunst kostenlos zu verbreiten. Das macht künftige Verhandlungen mit Internetanbietern schwierig. Aber nicht nur das Gefühl für die Work-Income-Balance hat sich verschoben, auch das Bewusstsein von Zeit ist neu. Das Klassik-Marketing ist praxisorientierter geworden. Erscheinungstermine werden verschoben oder vorgezogen, Pianisten geben Hauskonzerte online, jeder von dort, wo ihn Corona gerade festgenagelt hat: Daniil Trifonov aus der Dominikanischen Republik, Víkingur Ólafsson aus Reykjavík, Maria João Pires aus Portugal, Rudolf Buchbinder aus Wien. Die meisten Pianisten fühlen sich Beethoven im Gedenkjahr noch näher, aber anders als in den Mozart-Jubeljahren spürt man kaum Übersättigung; eigentlich nur dann, wenn Künstler ausschließlich Werke des Klassik-Großmeisters spielen. Warum also geht uns Beethoven nicht auf die Nerven? Warum können wir noch mehr Beethoven wagen? Es muss am Werk selber liegen, an der revolutionären Frische, die heute noch Aufmerksamkeit zieht, an der Intensität, mit der diese Musik berührt. Beethoven, so scheint es, ist nicht nur seiner, sondern jeder Zeit voraus.

Eine Wirkung, die man nur erreicht, wenn die Aufführung ernst gedacht ist. Teilnahmslose Routine oder Unterhaltungsmodus reduzieren Beethovens Musik auf ein banales Minimum. Technische Mängel können ebenfalls tödlich sein - weil es bei Beethoven oft schlicht klingen muss und nicht aufwendig erarbeitet oder gar virtuos geprotzt. Der Bariton Matthias Goerne und der vielseitige, stets inspiriert aufspielende Pianist Jan Lisiecki arbeiten sich da in ihrer Aufnahme von Beethoven-Liedern (DG) Stück für Stück voran. Anfangs noch etwas übermotiviert, vertraut Goerne seinem Begleiter mehr und mehr, schraubt seine Art, die intimen Lieder großräumig und vibratoreich aufzudonnern, nach und nach zurück auf ein kammermusikalisch angemessenes Raumgefühl. Was sofort dazu führt, dass theaterhaft pathetische Attitüde - ein klassisches Beethoven-Missverständnis - in konzentrierte Intimität umschlägt. Die kommt nicht nur den Liedern Beethovens zugute, sondern auch der strapazierten Stimme Goernes. Die Aufnahme könnte ein guter Abschied sein - ein Lieblingsthema Ludwig van Beethovens.

In eine andere Klangwelt führt der usbekische Pianist Behzod Abduraimov mit dem dritten Klavierkonzert von Rachmaninow. Begleitet wird er vom großartigen Concertgebouworkest unter Leitung von Valery Gergiev (RCO). Ein wenig hat die Einspielung doch mit Beethoven zu tun. Gergiev und Abduraimov entwickeln ihre größte Stärken dort, wo sie der Versuchung widerstehen, Rachmaninow rauschhaft aufzuschäumen, ihn stattdessen nahezu verhalten sprechen lassen. An virtuoser Außenwirkung bleibt noch genug.

Disparate Klangräume zusammenführen - das ist auch ein Herzensthema des belgischen Pianisten Julien Libeer. Dabei scheint es nicht gerade naheliegend zu sein, Johann Sebastian Bach und Béla Bartók auf eine CD zu zwingen (hm). Libeer unternimmt auch gar nicht erst den Versuch, Bach ein wenig moderner aufzubürsten und Bartók etwas sanfter historisch einzubetten. Die Werke beider Komponisten stehen sich so konträr und weiträumig gegenüber, dass man unterschwellige Verbindungen selber erspüren muss. Es ist vor allem das unmittelbare, scheinbar ungebrochene Musikverständnis und Musik-Erleben, das die beiden Komponisten hier auf einen Nenner bringt. Die Klarheit der Komposition spiegelt sich bei Libeer allerdings nicht in einer emotionslosen, abstrakten Darbietung, sondern ganz im Gegenteil: Der Pianist spielt seine emotionalen Reaktionen auf das Werk immer mit.

Eine Herangehensweise, die auch den isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson auszeichnet. In einer Gegenüberstellung des Barockmeisters Jean-Philippe Rameau und des Impressionisten Claude Debussy (DG) gelingt ihm dies unterschiedlich: mal kriecht er bei Debussy noch mehr in sich hinein als ihm von Haus aus eigen ist, mal öffnet er sich mutig der barocken Girlandenpracht Rameaus. In einem Gesprächskonzert im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt hat Ólafsson die kompositorischen, strukturellen und motivischen Bezüge zwischen Rameau und Debussy aufgezeigt. Auf seiner neuen CD kann man diese Entdeckungsreise gespannt mitverfolgen.

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SZ vom 31.03.2020
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