Neue CD von Daft Punk:Im Zweifel für die Angesagten

Cooler Knall: "Daft Punk" leisten der totgesagten Clubmusik Erste Hilfe - mit einem schmutzig-guten neuen Album.

TOBIAS KNIEBE

Also gut, Freunde, wir brauchen hier dringend ein paar Antworten - vordergründig geht es um die Zukunft der elektronischen Musik, aber dann eben auch ums große Ganze.

Neue CD von Daft Punk: Träumen Roboter von elektrischen Schafen?

Träumen Roboter von elektrischen Schafen?

In Großbritannien zum Beispiel wird seit einiger Zeit geklagt, dass ehemals verlässliche Dancefloor-Größen wie The Prodigy oder Fatboy Slim kaum noch Platten verkaufen. Die so genannten Superstar-DJs sind keine Superstars mehr, die legendären Großclubs werden immer kleiner oder verschwinden ganz, und dann hat man obendrein - Gipfel der Schmach - bei den diesjährigen Brit-Awards die Kategorie "Bester Dance Act" abgeschafft.

Alles keine erfreulichen Nachrichten - aber bedeutet es wirklich, dass die Clubmusik weltweit in einer "tiefen Krise" steckt?

Die Neocons des Pop jedenfalls reiben sich schon die Hände: Endlich Schluss mit dem stumpfsinnigen, unmelodiösen Gestampfe, das Fehlen "bahnbrechender Innovationen" darf nun scheinheilig beklagt werden, und Spiegel Online gibt gar ungefragt eine neue Heilsbotschaft aus: "Die Rettung liegt im Lied."

Gern würden wir uns in dieser Verwirrung an zwei weise Franzosen wenden, die bestimmt eine Antwort haben: Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo. Zusammen sind sie Daft Punk - und wann immer sie in den letzten zehn Jahren auf den Plan traten, war auf den Tanzflächen der Welt nichts mehr so wie zuvor. Besonders hervorzuheben wären die Jahre 1997, als sie ihr Album "Homework" herausbrachten, und 2001, als "Discovery" folgte, ihr zweiter großer Streich.

Im Zweifel für die Angesagten

Im ersten Fall bewiesen sie, dass man sich locker über das Gestampfe einer ganzen Szene erheben kann, wenn man ein paar brutal eingängige Melodien findet, diese dann mit maximalem Druck und hoher Wiederholungsrate durch die Lautsprecher jagt und dennoch die Beats immer schön straight hält - also genau zwischen die Augen. So tauchte Frankreich plötzlich und nachhaltig auf der Karte des Weltpop auf, der Triumphzug von "French House" konnte beginnen.

Mit "Discovery" übertrafen sich Daft Punk wiederum selbst: Die Harmonien waren noch eine Spur triumphaler, die Arrangements noch erheblich gewagter, und mancher Track musste gar dreimal von vorne losgehen, um all der Ideen überhaupt Herr zu werden.

Das Schönste aber war, dass ihre Botschaften auch ganz ungetrübt im Mainstream ankamen: Die Verkaufszahlen lagen jeweils zwischen zwei und drei Millionen. Wer anders als diese beiden Jungs, heute um die dreißig, könnte also glaubwürdig sagen, wohin die Reise gehen wird?

Es gibt da nur ein kleines Problem: Thomas&Guy-Manuel sagen generell sehr wenig, und noch weniger mögen sie es, irgendwo mit zu machen. Kommt beispielsweise ein Hilferuf von Frankreichs Präsident Chirac, der ihren Hit "One More Time" im Wahlkampf gegen Le Pen verwenden möchte, sagen sie ungerührt nein.

Seit Jahren verbergen sie ihre Gesichter hinter Masken, wenn sie fotografiert werden, und die einzige Botschaft, die sie der Welt aktuell mitzuteilen haben, lautet wie folgt: "Wir glauben aufrichtig, dass unser neues Album für sich selbst spricht."

Schöner Schlamassel: Jetzt sitzen wir also da mit der neuen CD, sie heißt "Human After All" (Labels/Emi), und plötzlich sollen alle Antworten in diesen zehn Tracks stecken. Ist das nicht ein bisschen viel für ein Album? Vielleicht.

Aber irgendwie kommt es auch zur rechten Zeit, und vielleicht gelingt das Wunder ja zum dritten Mal. Dann würden Daft Punk die schlingernde Clubszene ganz allein wieder auf Kurs bringen. Zunächst mal hilft nur: Reinhören.

Die erste Botschaft ist schon mal toll: Daft Punk sind nach wie vor die Jungs, die vor nichts halt machen. Schon immer speiste sich die Coolness dieser Musik präzise aus der Überzeugung, dass keine Idee zu uncool sei, um nicht am Ende höllisch Spaß zu machen - und diesen Weg setzen sie bis heute konsequent fort. Dass dies erst mal zu Irritationen führt, ist ebenfalls nichts Neues.

Wenn sie zum Beispiel auf dem Track "The Prime Time Of Your Life" den Beat so lang beschleunigen, bis nur noch ein schnelles Purren übrig bleibt, dann verflüchtigt sich zwar die Tanzbarkeit, dafür ist aber eine Denkpause gewonnen.

Oder was soll man von einem Stück halten, das aus nur vier Takten sehnsuchtsvoll dudelnder Fahrstuhlmusik und der gewisperten Aufforderung "Make Love" besteht, die mit null Variationen ad infinitum wiederholt werden?

Zunächst runzelt man verwirrt die Stirn, aber in Nullkommanichts ist man der speziellen Muzak-Trance dieser Idee verfallen, und am Ende wünscht man sich schon, die Melodie möge niemals aufhören.

Wie immer gibt es allerdings auch Zumutungen, die dann einfach nicht funktionieren: Wie oft hintereinander kann man das Wort "Emotion" hören, wenn es von einem offensichtlich liebeskranken Roboter gewimmert wird? Gewiss keine sieben Minuten lang. Als ähnlich nervtötend erweist sich die Endlos-Botschaft "Television Rules The Nation" oder die Mickeymouse-Stimme von "Technologic", die eine epische Aufzählung von Computerbefehlen in eine Art Rap verwandeln will.

Aber das Schicksal einer Daft Punk-Platte entscheidet sich immer an den schätzungsweise fünf Superknallern, die darauf zu finden sind, und die wichtigste Botschaft von "Human After All" lautet: Diesmal gibt es nur drei. Da wäre sie also, die Krise - aber wenn damit auch das ganze Ausmaß ihres Schreckens benannt ist, brauchen wir nicht weiter zu bangen.

Die Knaller nämlich, vor allem "Human After All" und "Robot Rock", knallen energischer, aber auch schmutziger denn je, und sie setzen die glorreiche Tradition von "Discovery" fort, verrückte Dinge mit Hardrock-Gitarren anzustellen - oder zumindest mit stark verfremdeten Klangkörpern, die sich verdammt nach Hardrock-Gitarren anhören.

Den verzweifelten Ruf nach Wiedererkennbarkeit in einem DJ-Set - das ungelöste Problem aller Clubmusik und das absolut nicht geheime Geheimrezept von Daft Punk - haben Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo jedenfalls einmal mehr erhört.

Ihre Platte spricht, soviel kann man festhalten, tatsächlich nur für sich selbst, sagt aber in diesen schweren Zeiten trotzdem genau das Richtige. Entschlüsselt lautet ihre Botschaft ungefähr so: Wer Rettung braucht, wende sich bitte an George W. Bush oder an die nächste Polizeidienststelle.

Und der Rest geht bitteschön mal wieder tanzen.

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