Propagandaminister:Goebbels und sein Christus, der Adolf hieß

GOEBBELS

Gescheiterter Dichter: NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.

(Foto: AP)

In einer Biographie zeichnet Peter Longerich das Leben von Joseph Goebbels nach. Der NS-Propagandaminister hat offenbar kein Leben außerhalb seines Tagebuchs geführt.

Willi Winkler

Im Oktober 1934 wird es Goebbels ganz kalt. "Führer ruft nicht zum Abendessen", notiert er im Tagebuch. Hitler war im Jahr zuvor endlich zum Reichskanzler ernannt worden, die SA ist entmachtet, die Reichswehr auf den Führer vereidigt, die Nationalsozialisten herrschen unumschränkt in Deutschland, aber der Mann, der für diesen Triumph gekämpft hat wie kein Zweiter, der inzwischen zum Propagandaminister aufgestiegene Joseph Goebbels, darf nicht mehr an den Tisch des Herrn. Goebbels und seine Frau Magda "leiden sehr darunter". Das Tagebuch wird Zeuge einer schlimmen Krise: "Schweren Herzens zu Bett."

In einer anderen Krise, elf Jahre zuvor, suchte Goebbels Trost im Glauben. "Es ist ja auch gleichgültig, woran wir glauben, wenn wir nur glauben." Der fromme Mann war 1897 katholisch getauft worden, er hatte mit Hilfe des Kölner Albertus-Magnus-Vereins studiert und war doch ohne Arbeit.

Goebbels schreibt, entwirft Dramen, probiert Dutzend Mal die Unterschrift "Universitätsprofessor Dr. Joseph Goebbels" und bleibt doch arbeitslos. Er liest Henry Fords Pamphlet Der internationale Jude und weiß jetzt wenigstens, wer schuld ist an seiner elenden Lage; er wird Nationalsozialist.

Goebbels träumt sich Adolf Hitler, der in Landsberg eine milde Haftstrafe verbüßt, als seinen "Erlöser" und erlebt als unheilbarer Katholik die erste leibhaftige Begegnung wie eine "Auferstehung". "Welch eine Stimme", jauchzt er. "Welche Gesten, welche Leidenschaft. Ganz wie ich ihn wollte." Es ist Liebe auf den ersten Blick. "Für den Mann bin ich alles zu opfern bereit." Am 1. Mai 1945 opfert Goebbels ihm seine Frau und die sechs Kinder und folgt seinem Christus in den Tod.

Hitler und die Partei gaben dem bettelarmen Goebbels nicht bloß Arbeit und Brot, sie erlaubten ihm den gesellschaftlichen Aufstieg, von dem er sich bis dahin trotz seiner Promotion ausgeschlossen fühlte. Im "roten Berlin" wird er Gauleiter, führt einen jahrelangen Kampf mit den Gerichten und den Kommunisten, übersteht Versammlungs- und Redeverbot und bleibt Sieger in allen Fraktionskämpfen.

Er findet die Frau fürs Leben, Magda Quandt, und kommt dabei seinem "Chef" knapp zuvor. "Magda liebt er. Aber er gönnt mir mein Glück. (...) Über mich sagt er viel Gutes. Mein braver Kamerad und Führer! Wir sollen gleich heiraten. (...) Armer, lieber Hitler!" schnäuzt er sich ins Tagebuch. Nach den Wahlen im März 1933 wird er Propagandachef. "Welch ein Weg! Mit 35 Jahren Minister."

Diesen Weg zeichnet der Londoner Zeitgeschichtler Peter Longerich getreulich nach (Joseph Goebbels. Biographie. Siedler Verlag, München 2010. 912 Seiten, 39,99 Euro.) Anders als die Arbeiten von Helmut Heiber (1962) und Ralf Georg Reuth (1990) kann diese von dem inzwischen so gut wie vollständig editierten Tagebuch profitieren.

Dieses Diarium war der Beichtstuhl für den erfolglosen Journalisten, die einzige Bühne, die dieser kommende Staatsschauspieler in Elberfeld und dann in Berlin aufschlagen konnte, und wird schließlich zu einem Spiegel, vor dem der Gauleiter, Minister und zuletzt der Generalbevollmächtigte für den Totalen Kriegseinsatz unermüdlich posiert. "Ich bin der Mittelpunkt und alles dreht sich um mich."

In der Sonne seines Führers

Bienenfleißig hat Longerich dieses Tagebuch ausgeschrieben (und zitiert dabei nicht immer präzise - 2000 Reichsmark schrumpfen unversehens zu 200), aber auch nicht viel mehr. Das Buch gleicht einer gründlich kommentierten Autobiographie.

Goebbels erscheint hier wie Goebbels sich sah, nämlich wie er redete, klagte, sich lobte und vom Führer, seinem geliebten Führer noch mehr gelobt wurde. Er verzeichnet den Beifall, den seine Reden finden, den Erfolg, den er mit Leitartikeln und Rundfunkansprachen erzielt und natürlich die Stunden in der Sonne seines Führers oder auch jene ohne ihn.

Narzisstische Kränkung

Das Tagebuch erfährt es auch als Erstes, wenn er noch ein Auto, noch ein Motorboot, noch ein Haus kauft. Dankbar hält er es fest, wenn Hitler seinem Minister eine Gehaltsaufbesserung gewährt oder die Aufwandspauschale erhöht.

("Der Führer ist so großzügig und nobel.") Dabei ist Goebbels ein reicher Mann, kann er doch bereits 1936 das Tagebuch, an dem er noch schreibt, an den Parteiverleger Max Amann verkaufen und sofort einen märchenhaften Vorschuss kassieren: "Gleich 250.000 Mk und jedes Jahr laufend 100.000 Mk. Das ist sehr großzügig. Magda und ich sind glücklich."

Sein Pressereferent Wilfred von Oven (den Longerich konsequent als "Wilfried" verschreibt) lässt dafür seinen Meister seufzen: "Wie viel Korruption und Verkommenheit habe ich mitansehen müssen!" Longerichs "Goebbels" ist darum auch weniger Biographie als der verdienstvolle Digest eines monströs mitteilsamen Lebens, das sich leider nicht in den abertausend Seiten Tagebuch erschöpfte.

Longerichs Goebbels scheint kein Leben außerhalb des Tagebuchs zu führen; die Zeitgenossen sind wie weggekürzt. Carl von Ossietzky, der ihn noch im Januar 1933 in der Weltbühne eine "hysterische Käsemilbe" nannte, gibt es nur als Opfer der Bücherverbrennung.

"Davon darf nichts übrig bleiben"

Zeitgenössischer Spott wie Tucholskys "Du bist mit irgendwat zu kurz gekomm./ Nu rächste dir, nu lechste los" spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Auseinandersetzung mit dem Großschriftsteller Emil Ludwig (dem Longerich mit dem Namen anführt, den ihm die Bücherverbrenner gaben: "Emil Ludwig Cohn"). "Diese Judenpest muß ausradiert werden", fordert Goebbels 1936, aber wen meint er, wer soll es tun? "Davon darf nichts übrig bleiben."

Ausradieren: Eine bessere Metapher findet sich kaum für das Dauerressentiment des erfolglosen Schriftstellers. Goebbels schreibt gegen den weltbekannten Autor an, schreibt so viel, dass es nicht mehr wegzuradieren ist, schließlich lässt er es tippen von einem Sekretärinnengeschwader, lässt es zum Ende hin auf Glasplatten ziehen, für die Nachwelt in einem Blechsarg verbuddeln - aber erst nachdem er versucht hat, auch noch die englischen Städte auszuradieren.

Longerich fällt als Erklärung für den ehrgeizigen Goebbels nur die "narzisstische Kränkung" ein. In seiner mit literarischer Verve geschriebenen Biographie gab Heiber vor beinah fünfzig Jahren den Hinweis, dass Goebbels fast fünfzig Artikel unverlangt an das Berliner Tageblatt Theodor Wolffs einsandte und trotzdem nicht gedruckt wurde. So waren die Juden für Goebbels - schuld an seinem Unglück, immer wieder. Darum sollten sie endgültig verschwinden. Und Hitler musste ihn retten, das "größte geschichtliche Genie, das in unserer Zeit lebt".

Der Erlöser entsann sich seiner dann doch und lud ihn ein zum letzten Abendmahl im Bunker.

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