Neubau der Ernst-Busch-Schauspielschule:Politisches Theater

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Ein Zwischenruf bei Günther Jauch war der große Coup: Die Schüler und Schulleitung der Ernst-Busch-Schauspielschule haben mit bemerkenswerten Strategien für große Medienaufmerksamkeit gesorgt. Sie wollen so verhindern, dass die Berliner SPD den längst beschlossenen Neubau der Schule noch kippt. Jetzt bekommen sie für dieses Anliegen auch Unterstützung von prominenten Alumni wie Nina Hoss und Corinna Harfouch.

Peter Laudenbach

Berlin erlebt derzeit, wie sich bürgerliche Öffentlichkeit in Zeiten von Occupy neu formiert - und wie gut hundert Schauspiel- und Regiestudenten die ganze Stadt zu ihrer Bühne machen. Studierende der Theaterhochschule Ernst Busch protestieren dagegen, dass der seit drei Jahren geplante Neubau ihrer Hochschule am Veto des Abgeordnetenhauses zu scheitern droht.

Nicht nur Schulleitung und Studenten protestieren für den Neubau ihrer Schauspielschule. Unter den prominenten Unterstützern des Bauvorhabens findet sich auch Ex-Ernst-Busch-Schülerin Nina Hoss. (Foto: dpa)

"Wir geraten zwischen die Fronten der Richtungskämpfe der Berliner SPD, zwischen Senat, SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und Kreisverbänden", sagt Wolfgang Engler, der Rektor der Hochschule. "Die Aufgabe des Neubaus, zu dem der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Torsten Schneider, offenbar entschlossen ist, bringt uns in eine verzweifelte Situation." Die Planung des Neubaus hat, auch durch eine konfuse Politik, schon jetzt Millionen verschlungen.

Seit zwei Jahrzehnten arbeitet eine der berühmtesten Schauspielschulen Deutschlands, die auch von Nina Hoss und Corinna Harfouch absolviert wurde, in einem auf vier Standorte verteilten Provisorium. Das asbestbelastete Hauptgebäude für die Schauspielausbildung in Niederschöneweide ist heruntergekommen und marode. Immer wieder mal brechen Böden auf Probebühnen durch.

Als erstes wird den Erstsemestern eingeschärft, das Wasser aus den Hähnen nicht zu trinken - es ist mit Asbestspuren kontaminiert. Ein penetranter Gestank nach Schimmel hängt in den Gängen. Die technische Ausstattung ist ein Witz. Die Probebühnen verfügen nicht einmal über Tontechnik. Wenn Regiestudenten, deren Institut am Prenzlauer Berg liegt, mit Schauspielstudenten arbeiten wollen, dürfen sie dafür durch die halbe Stadt fahren.

Prominente Unterstützung ehemaliger Schüler

Den Protest der Studierenden, den man auf den ersten Blick für die übliche Aufregung, mit der die Hochkultur ihre Privilegien verteidigt, halten könnte, ist weit mehr. Die angehenden Theater-Künstler politisieren sich. Sie haben innerhalb von nur zwei Wochen mit einer so charmanten wie klug inszenierten Kampagne das vorläufig gestoppte Bauvorhaben zum Stadtthema gemacht.

Inzwischen fordern SPD-Kreisverbände, die Zukunft der Schule beim kommenden Parteitag zum Thema zu machen. Seit einigen Tagen halten die Studierenden das Regie-Institut am Prenzlauer Berg besetzt. Einige Tage campierten rund hundert Studierende in einem Zeltlager in unmittelbarer Nähe des geplanten Neubaus in der Chausseestraße.

Schauspieler des Deutschen Theaters zeigten dort Szenen aus Michael Thalheimers "Faust"-Inszenierung, Corinna Harfouch las Texte von Heiner Müller. Die Berliner Theaterintendanten und Prominente wie Nina Hoss oder Ulrich Matthes solidarisieren sich öffentlich. Ob bei der Eröffnung des Berliner Theatertreffens, bei Vorstellungen im Hebbel Theater oder mit selbst gedrehten Videos auf youtube - überall sind die Theateraktivisten präsent. Wie es aussieht, hat der Haushälter Schneider den Ärger, den er sich mit seinem Veto einhandeln kann, unterschätzt.

Spätestens seit einer der Busch-Studenten am vergangenen Sonntag Günther Jauchs Talkshow aus dem Publikum heraus störte, war ihnen die große Medienaufmerksamkeit sicher - und prompt lud Thomas Gottschalk 90 Schauspielerschüler in seine Sendung ein. Um erst gar nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, die Schüler benutzten ihren Protest zur Selbstprofilierung, nennen sie bei Interviews nur ihren Vornamen.

Es geht nicht darum, Protest-Prominenz zu generieren, die Empörung ist eine Angelegenheit der ganzen Schule. Zum regelmäßigen Plenum, kommen stets 70 bis 100 der insgesamt rund 150 Studierenden. Dort werden alle weiteren Schritte geplant und so lange diskutiert, bis alle einverstanden sind. Sage noch einer, Schauspieler seien alles narzisstische Ego-Shooter.

Die Busch-Studenten entdecken sich gerade als politisches Kollektiv. Zum normalen Studienbetrieb zurück zu kehren und einfach an Ibsen- oder Brecht-Szenen zu arbeiten, käme ihnen, aber auch der Hochschulleitung, absurd vor. Stattdessen verschmelzen sie Studium und Protest. Als nächste Unterrichtseinheit steht Straßentheater auf dem Programm. "Wir entdecken performative Strategien für unseren Protest. Wir wollen das öffentliche Leben hacken", sagt Moritz, 26, Regie-Student im zweiten Studienjahr.

Das Abgeordnetenhaus kann sich schon mal auf theatralische Interventionen gefasst machen. "Wir werden nicht zum Studienalltag zurückkehren, bis die Politik einlenkt. Wir sind in einer Entweder-Oder-Situation", gibt sich der Regie-Student entschlossen. Er selbst und seine protestierenden Kommilitonen werden nichts mehr vom geplanten, gefährdeten Neubau haben. Bis er bezugsfertig sein wird, haben sie ihr Studium längst beendet. Längst geht es nicht mehr nur um den Neubau, sondern zum Beispiel auch "darum, wie Demokratie funktioniert und um die Frage, ob Berlin Mitte nur noch aus Hotels und Büros bestehen soll", sagt Moritz, der Regie-Student.

"Das ist für uns nicht akzeptabel"

In dieser Protestbewegung gehen Kulturszene und Stadtgesellschaft im Misstrauen gegenüber der Gentrifizierung ähnlich wie vor einigen Jahren in der Hamburger Gänge-Viertel-Bewegung spannende Allianzen ein. Der Verdacht, der Neubau könnte der Gentrifizierung zum Opfer fallen, ist nicht von der Hand zu weisen. Das Filet-Grundstück in der Chausseestraße ist für potentielle Investoren attraktiv. In unmittelbarer Nähe soll ein großes Hotel entstehen.

Auch vor diesem Hintergrund wirkt die Begründung, die der SPD-Haushälter Schneider für sein Veto vorbringt, eher wie ein Vorwand: Die Baukosten sind von den ursprünglich geplanten und bewilligten 33 Millionen Euro auf 34,85 Millionen gestiegen. Indem der Hauptausschuss die zusätzlichen 1,85 Millionen nicht bewilligt, kippt er das ganze Projekt. Das würde den Weg für einen lukrativen Grundstücksverkauf frei machen.

Am Mittwoch bot die Hochschule gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dem zuständigen Hauptausschuss eine Verpflichtungserklärung an, den Neubau so abzuspecken, dass die Kostengrenze bei 33 Millionen eingehalten wird. Am Donnerstag treffen sich Wolfgang Engler und Kai Schlegel, Rektor und Kanzler der Hochschule, noch einmal mit SPD-Haushälter Torsten Schneider und SPD-Fraktionschef Raed Saleh. "Ich habe eine Resthoffnung, dass sich die Politik besinnt", sagt Engler. "Aber ich fürchte, die Politiker werden uns ein Ultimatum stellen und uns anbieten, für den Neubau einen anderen Standort irgendwo am Stadtrand zu suchen. Das würde wieder Jahre dauern und ist für uns nicht akzeptabel."

© SZ vom 10.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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