Neu im Kino:Magneto besucht Auschwitz

"X-Men: Apocalypse" im Kino

Großartig als Magneto: Michael Fassbender.

(Foto: dpa)

"X-Men: Apocalypse" erzählt, wie Magneto zum zweiten Mal seine Familie verliert. Zum Steinerweichen. Aber wie oft wird er in Zukunft noch die Seiten wechseln?

Filmkritik von Susan Vahabzadeh

Die "X-Men"-Filme haben dem restlichen Superheldenuniversum eines voraus: Es geht um etwas. Die X-Men, Mutanten mit besonderen Fähigkeiten, sind Ausgegrenzte - schon die Comics sind eine Diskriminierungs-Saga, die zurückführt bis zur Reichskristallnacht.

Im Vergleich zum unmotivierten Zweikampf "Batman v Superman" zum Beispiel, ist die Geschichte von Professor X, der ein Team von Mutanten zu einer Supertruppe im Dienst der Menschheit ausbilden will, eine Doktorarbeit in Psychologie. Denn der Professor will nicht nur die Menschen beschützen, sondern auch seine Mutanten vor der Verfolgung. Auch sein Lieblingsfeind Magneto, der im Herzen für das Gute steht, aber vom Schicksal in die Rachsucht getrieben wurde, ist ein vergleichsweise komplexer Charakter.

"X-Men: Apocalypse" ist nun Teil Nummer neun in der Mutantenfilmreihe, das dritte und voraussichtlich letzte Prequel, mit dem die Vorgeschichte der Truppe erzählt wird.

Bryan Singer, der schon drei andere Folgen gemacht hat, führt hier wieder Regie, und man sieht den ersten Minuten an, dass er unbedingt etwas machen wollte, was er nicht schon mal so ähnlich gedreht hat.

Die Einstiegssequenz ist atemberaubend - ein riesiger Steinquader wird in das Labyrinth einer Pyramide geschickt, um sie zu Fall zu bringen wie beim Dominospiel, und unter sich die Apokalypse zu begraben in Gestalt eines fiesen, übermächtigen Bösewichts. Den dann, eh klar, irgendwo im Nahen Osten der frühen Achtzigerjahre ein paar Idioten wieder ausgraben.

Oberterrorist und Bauernfänger

Das ist eine schöne Idee, die diese Prequels verfolgen: Sie spielen ein wenig herum mit den politischen Gegebenheiten der Ära, in der sie jeweils spielen.

Der Bösewicht, der da unter der Erde geschlummert hat, heißt En Sabah Nur. Er ist eine Art Oberterrorist, der die Menschheit unterjochen will, weil sie es seiner Meinung nach nicht besser verdient. Und er ist, in manchen Momenten, ein Bauernfänger, der sich die Nöte der Mutanten zunutze macht, die er für seine Mission rekrutiert.

Das ist nicht ganz deckungsgleich mit der Wirklichkeit, das war es auch schon nicht in "X-Men: First Class" (2011), der in den Sechzigern spielte, oder in "Days of Future Past", der in den Siebzigerjahren angesiedelt war. Eher könnte man sagen: Diese Filme spielen in einem Paralleluniversum, auf das die gleichen großen Geschichtsschatten fallen wie auf die Welt, in der wir leben.

Fehler aus versehentlicher Menschenfreundlichkeit

Mit dem Superheldenkino ist es inzwischen so weit gekommen, dass man schon für halbwegs schlüssige Entwicklungen und Figuren dankbar ist. Wie der Schurke Magneto (Michael Fassbender) vom Glauben abfiel und zurückfand, weiß man schon: Seine Familie war Opfer des Holocaust, und er hält die Menschheit für beratungsresistent. Was Professor X (James McAvoy) in seinem Mutanten-College treibt, ist für ihn aussichtslos.

Fassbender und McAvoy spielen das mit einer rührenden Ernsthaftigkeit, als wären die X-Men-Drehbücher von Shakespeare. Das ist ein wichtiger Grund, warum diese Reihe so erfolgreich ist: Hier sind richtig gute Schauspieler am Werk.

Wenn Magneto zum zweiten Mal in seinem Leben seine Familie verliert, ist das zum Steinerweichen. Und Professor X schwärmt heimlich für eine CIA-Agentin (Rose Byrne), der er bei der letzten Begegnung in die Gedanken eingestiegen ist - das ist seine Fähigkeit -, und dort alle Erinnerungen vernichtet hat, die sich auf ihn beziehen. Und nun begegnet er ihr wieder, bereut, dass er sich selbst gelöscht hat und schmachtet sie an.

Gerade die Chemie zwischen Magneto und dem Professor hat den letzten beiden Filmen einen Energieschub verpasst, es ist ein bisschen schade, dass sie hier wieder entzweit sind und kaum zusammenkommen.

Magneto alias Erik Lehnsherr hat sich zu Beginn dieses dritten Prequels in Polen versteckt, arbeitet in einer Fabrik und lebt mit seiner Frau in und seiner kleinen Tochter in einem abgelegenen Haus. Das Mädchen hat auch besondere Fähigkeiten, er muss sie also vor der Welt verstecken. Und dann begeht er einen Fehler aus versehentlicher Menschenfreundlichkeit: Magneto kann Metall mit Gedanken bewegen und hält eine umstürzende Maschine auf, die einen Kollegen zu zermalmen droht. Die Arbeiter verpfeifen ihn daraufhin bei den Behörden, und bei dem Versuch, ihn festzunehmen, töten sie Frau und Tochter.

Beachtliche Schlaglöcher in der Mutantentheorie

Magneto, ganz auf sich allein gestellt, wird zur leichten Beute für den Kerl, der sich gerade aus dem Grab erhebt, eben jenen Obermutanten der Apokalypse, En Sabah Nur (Oscar Isaac). Er ist der Ur-Mutant, seit Menschengedenken, und stärker als alle anderen. Und er appelliert natürlich an Magnetos schrecklichste Erinnerungen, nimmt ihn sogar mit nach Auschwitz. Aber Mystique (Jennifer Lawrence) hat ein Auge auf sein Schicksal.

Leider tun sich damit in der Mutantentheorie, die der Reihe zugrunde liegt, beachtliche Schlaglöcher auf: Von was ist En Sabah Nur eigentlich mutiert? Und wie oft wird Magneto in den kommenden Teilen noch die Seiten wechseln? Die Reihe hat noch nie viel Wert auf fehlerfreie Kontinuität gelegt, aber hier geht sie mit ihrer eigenen Binnenlogik nicht sehr pfleglich um.

Was aber am meisten nervt, das sind die ganzen Studenten, die in Mannschaftsstärke hinter Professor X in seinem Mutanten-Hogwarts herumlaufen, während er versucht, den Weltuntergang zu verhindern. Dass da so viele unterwegs sind, liegt daran, dass die Nachwuchsmutanten natürlich demnächst ihre eigene "X-Men"-Spin-Off-Reihe bekommen und hier schon mal eingeführt werden müssen.

Auch diese Helden sollen ja, wie Superman und Batman und die Avengers, noch die Profite des nächsten Kinojahrzehnts sichern. Wenn es denn wirklich so kommt - denn von den Superhelden ist langsam der Lack ab. Bis 2025 werden sie aussehen wie die Vogelscheuchen.

X-Men: Apocalypse, USA 2016 - Regie: Bryan Singer. Drehbuch: Simon Kinberg. Kamera: Newton Thomas Sigel. Mit: James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, Nicholas Hoult, Sophie Turner, Rose Byrne, Oscar Isaac. Fox, 134 Minuten.

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