Neu im Kino: "No Country for Old Men":Das Böse und das Bolzenschussgerät

Der Abräumer der Oscar-Nacht: Mit "No Country for Old Men" verfilmen die Coen-Brüder die Geschichte der Zivilisation. Bösartig, bildgewaltig und erschreckend witzig.

Tobias Kniebe

Die Worte des Sheriffs sind klar genug. Er erzählt von einem Jungen, der sein Mädchen getötet hat, ohne Grund und ohne Reue, der auf dem elektrischen Stuhl noch erklärte, er würde es wieder tun.

no country fo old men oscars 2008

Unaufhaltsam nähert sich der fahle Reiter seinen Zielen.

(Foto: Foto: ap)

Er erzählt von seinen Vätern und Vorvätern, Männer des Gesetzes wie er, in West Texas, am Rio Grande, nahe der mexikanischen Grenze. Er erzählt von den alten Zeiten, wo die Sheriffs nicht einmal eine Waffe trugen, schwer zu glauben heute. Die Stimme klingt vertraut, eingeschliffen im Slang der Provinz. Die Referenzen - der junge Jim, nicht der alte, drüben in Comanche County - sind familiär, das Terrain überschaubar. Das Land und die Menschen. Das Verbrechen, damals und heute.

Nur: Die Bilder, die man dazu sieht, erzählen schon etwas ganz anderes. Eine viel größere Geschichte. Die Sonne geht auf, sie beleuchtet die Erde, und die Erde ist wüst und leer. Dann eine Windmühle, ein Zaun, ein Highway, ein Polizeiwagen. Ein Mann wird verhaftet. In wenigen kargen Einstellungen: Die Geschichte der Zivilisation. In die nun etwas Anderes, Unvertrautes, nicht mehr Fassbares einbrechen wird.

Es spielt keine Rolle, wie du diesem Anderen gegenübertrittst. Hochmütig oder bescheiden. Einen Tick zu neugierig, einen Hauch zu arrogant - oder, wie es sich gehört, völlig auf deinen eigenen Kram konzentriert. Wenn du diesem Anderen in den Quere kommst, und sei es nur, weil du ein Auto auf dem Highway fährst, das ihm nützlich sein könnte, wirst du sterben. Niemand auf dieser Welt, mit dem das Andere noch eine Rechnung offen hatte, der ihm eines Tages dumm kam, der einmal ein freches, respektloses oder allzu vertrauliches Wort an seine Adresse gerichtet hat, lebt. Das ist sein Prinzip.

Erschreckend lustig

Der Hilfssheriff, der das Andere in Handschellen legt und in die Ecke setzt und sich dann von ihm abwendet, um zu telefonieren, ist ein toter Hilfssheriff. Gestorben nach kurzer verzweifelter Agonie, eine Handschellenkette um die Kehle gewickelt. Das Andere aber lässt kaltes Wasser über seine blutigen Handgelenke laufen, nimmt seinen Druckluftzylinder und sein Druckluft-Rinderschlachtungs-Bolzenschussgerät und setzt seinen Weg fort.

Noch sind es gar nicht die Coen-Brüder, die hier erzählen. Es ist sogar ziemlich schwer zu sagen, ob sie in "No Country for Old Men" überhaupt selbst etwas sagen wollen. Die Stimme des Sheriffs, die Beschwörung der texanischen Landschaft, der Einbruch des Unfassbaren, die kurze drastische Gewaltszene, mit der alles beginnt: Das ist alles der Schriftsteller Cormac McCarthy.

Man braucht hier nicht noch einmal das Lied seiner Größe zu singen, wie Harold Bloom, der ihn zu den vier Titanen der amerikanischen Gegenwartsliteratur zählt, neben Pynchon, DeLillo und Philip Roth. Auch die ewigen Vergleiche mit Faulkner oder Melville sind unnötig. Was man aber sagen muss, und was mit diesem Film erst klar wird, ist dies: Dass es wohl keinen anderen Schreiber gibt, dessen Worte und Szenen das Kino schon so vollkommen in sich tragen.

Es gibt Dialoge in diesem Film, das sind die besten, schärfsten, erschreckendsten und zugleich lustigsten Wortwechsel, die man seit Ewigkeiten von der Leinwand herab gehört hat. Sie stammen, Wort für Wort, bis ins Timing der Schauspieler hinein, aus dem Roman. Die Coens lassen hier eine Wiederholung weg, dort eine Erklärung - und dann finden sie ein Bild, das einen ganzen Absatz mühelos ersetzt. Das ist ihre Meisterschaft. Wenn es überhaupt eine Literaturverfilmung gibt, die ihre Vorlage durch Verdichtung noch verbessert, ist es wohl diese hier.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es sich anfühlt, seinem Schicksal gegenüberzutreten.

Das Böse und das Bolzenschussgerät

Einige Menschen kreuzen nun den Weg des Anderen, das man auch das absolut Böse nennen könnte, was aber sinnlos ist, weil es jenseits moralischer Kategorien existiert. Viele von ihnen - Autobesitzer, Tankstellen-Eigentümer, Motelangestellte - haben es auf die Begegnung nicht angelegt. Wohl aber Llewelyn Moss.

Moss, gespielt von Josh Brolin, der hier exakt zu aussieht wie der jüngere Cormac McCarthy selbst, ist ein einfacher Schweißer, der mit seiner hübschen jungen Frau in einem Trailerpark lebt, der in Vietnam das Schießen und das Kämpfen gelernt hat. Bei der Antilopenjagd in der Wüste findet er ein paar völlig zusammengeschossene Geländewagen, umringt von toten oder fast toten Mexikanern, eine Riesenladung Heroin und zwei Millionen Dollar. Er beschließt, das Geld an sich zu nehmen. Er weiß nicht, worauf er sich da einlässt - aber der Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der am nächsten Morgen zum Tatort kommt und seine Spuren findet, ahnt es sofort.

Er wird nun erzählen von seinem Versuch, einen Jungen aus seiner Stadt, seiner erweiterten Familie zu retten, während das Andere bereits auf dem Weg zu ihm ist. Denn was immer sein metaphysischer Auftrag sein mag, es operiert auch ganz konkret im Hier und Jetzt - und in diesem Fall hat es den Job angenommen, die zwei Millionen Dollar aufzuspüren und ihrem Besitzer zurückzubringen.

Jemand muss diese Cowboystiefel ausfüllen

Der fahle Reiter, der Mann ohne Namen - natürlich ist es immer ein Problem, dem mythischen Anderen eine konkrete Gestalt zu geben. McCarthy gibt ihm einen tollen Namen, der auf englisch wie Zucker klingt: Anton Chigurh. Sonst gibt er ihm nichts. Jemand muss diese Cowboystiefel aber ausfüllen. Die Coens lösen das Problem auf die denkbar brillanteste Weise: Sie geben ihm eine lächerliche Gestalt.

Sie nehmen den Spanier Javier Bardem, eines der wenigen modernen Kinogesichter, die noch das Zeug zum Monument in sich tragen, und lassen ihm solche Haarlocken über die Ohren wachsen, dass man laut lachen möchte, wenn man ihn sieht. Dazu kommen eine tiefe, freundliche Stimme, ein stoisches Gesicht, das nichts verrät, und ruhige, präzise, niemals gehetzte Bewegungen. Der Mann schleicht mehr, als dass er geht, einmal bewegt er sich sogar lautlos auf dicken Socken, das ist ein passendes Bild.

Seinen Zielen nähert er sich stetig und unaufhaltsam, die Verfolgten kommen nicht weit, er findet sie immer wieder. Gerade in diesem Sinn ist der Film auch ein Western - er erlaubt nur Distanzen, die man auch zu Pferd zurücklegen könnte. Wie schwer kann es sein, mit zwei Millionen Dollar ein paar tausend Meilen weit wegzukommen? Hier ist es unmöglich.

Es ist immer dagewesen

So brillant und mühelos die Coens nun alle Genreszenen, die nächtlichen Motel-Überfälle, die Schusswechsel mit großkalibrigen Schrotflinten, die ganze Atmosphäre inszenieren, und so endlos man da zuschauen könnte - das ist hier alles nicht der Punkt. Llewelyn Moss legt einen sturen und heldenhaften Kampf hin, dafür liebt man ihn, aber man sollte mit dem Ausgang dieses Kampfes nicht hadern.

Das Andere in diesem Film ist eine Macht, gegen die man nicht gewinnen, mit der man nicht einmal verhandeln kann - und das ist das Erschreckendste in einer Welt, in der sonst alles nur noch eine Frage des Preises ist. Dem Sheriff erscheint es so, als sei das Andere etwas Neues, ein Zeichen des großen Niedergangs, eine Qualität des Verbrechens, die er nicht mehr versteht. Tatsächlich aber ist es immer da gewesen.

Das Schönste an diesem Film sind deshalb die Szenen, in denen die Menschen immer wieder vor diesem Mann mit den absurden Haaren sitzen und in den Lauf seiner schweren Waffe starren. So fühlt es sich an, seinem Schicksal gegenüberzutreten. Was man in diesem Moment sagt, und was das Schicksal dann antwortet, darum geht es.

Und nur der Sheriff ist klug genug, auch die Weggabelung zu erkennen, an der man ihm entweder begegnet - oder eben noch nicht. Er wird beschließen, dass er sich dieser Begegnung noch nicht gewachsen fühlt. Er wird leben.

NO COUNTRY FOR OLD MEN, USA 2007 - Regie, Buch, Produktion, Schnitt: Joel & Ethan Coen. Nach dem Roman von Cormac McCarthy. Kamera: Roger Deakins. Mit: Javier Bardem, Josh Brolin, Tommy Lee Jones, Woody Harrelson, Kelly MacDonald. Verleih: Universal, 122 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: