Neu im Kino:Küsst mich tödlich

Robert Rodriguez, Frank Miller, Quentin Tarantino und die Delirien von "Sin City"

Fritz Göttler

Der Film zieht los von Anfang an, er hat die Dynamik eines Expresszugs. Was die Geschichte angeht, die er erzählt, die Inszenierung, die Entstehung. Sekundenschnelle Entscheidungen, keine Verhandlungen. Als es gleich beim Start Schwierigkeiten mit der Regisseurs-Gewerkschaft gab, trat Robert Rodriguez einfach aus.

"Eine ganz schnelle Entscheidung", erzählt er. "Wir waren im fahrenden Zug, der Zug hatte eine ganz schöne Geschwindigkeit erreicht, wir waren ganz aufgeregt, diesen Film zu machen, alle hatten ein tolles Gefühl - und dann stehen plötzlich diese Burschen aus L.A. auf den Gleisen vor dem Zug, winken mit den Händen, rufen Stopp. Naja, da haben wir eben beschleunigt, und dann war dieses scheußliche Knirschen, aber wir haben uns nicht darum gekümmert ..."

Grandiose Mischung aus Sadismus uns Masochismus

Keine Chance, irgendwann abzuspringen bei dieser Expresszugdynamik. Wenn man Frank Miller verfilmt, den King der modernen urbanen Comics, gibt es kein Entweder-Oder. Es bleibt einem nichts, als sein Ding so auf die Leinwand zu bringen, wie es auf dem Papier vorgezeichnet ist. Die volle Härte, schwarzweiß (mit ein paar monochrom flackernden Farbmomenten), in brutalen, die Zeit zerfetzenden Einstellungen.

Morituri total, eine grandiose Mischung aus Sadismus und Masochismus, dazu Spuren der Perversion, von Kannibalismus bis Pädophilie. Vernarbte Männer, die zu jedem Gewaltakt bereit sind, was das Austeilen angeht und das Einstecken, die verstümmeln, Köpfe abhacken, dem Gegner das Gehirn zu Brei schlagen. Dazu Frauen, die sich bewegen zwischen Verführung, Treue und einer Entschlossenheit, für ihre Unabhängigkeit in den Krieg, zum Big Fat Kill zu ziehen.

Geschichte absoluter Unschuld

"Sin City" ist ein Hohelied der klassischen Ritterlichkeit - aber in einer Zeit, in der das Gute nur noch eine Chance hat, wenn es sich dem Bösen angleicht - so dass die Sieger genauso demoliert aus den Kämpfen hervorgehen wie die Besiegten, und manchmal mehr verloren haben als diese. Es ist bei allen grausamen Exzessen eine Geschichte von absoluter Unschuld und Naivität - das garantiert schon die makellose Stilisierung, die klassische Holzschnittartigkeit von Frank Millers Tableaus. Seine Figuren haben Konturen, kein Profil.

Robert Rodriguez ist der große Naive des amerikanischen Kinos, und seit er sich die unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Kinos erschlossen hat, macht er seine Filme nur noch jenseits von Hollywood, im Eigenbetrieb - Regie, Kamera, Musik, Schnitt etc. "Sin City" ist das Nonplusultra dieses Kinos, ein synthetischer Film, der ohne Inszenierung auskommt - die Bilder wirken wie aus dem Hirn des Zeichners auf die Leinwand gebrannt. Die Probleme mit der Gewerkschaft, siehe oben, kamen daher, dass Rodriguez Frank Miller als gleichberechtigten Co-Regisseur haben wollte.

Down these mean streets

Vom amerikanischen Film noir ist "Sin City" restlos durchtränkt, und von seinen Vorläufern, den Romanen von Chandler und Spillane. Drei Stars setzen die Bezugspunkte in den drei ineinander verschränkten Episoden - Mickey Rourke ist Marv, sein Name klingt nach genuscheltem Marlowe, Bruce Willis gibt sich als Reinkarnation von Bogart, Clive Owen versucht sich an einem Cary-Grant-Verschnitt - den hätte einst Chandler am liebsten als Film-Marlowe gehabt. Drei Helden, die oszillieren zwischen Coolness, Müdigkeit und Gleichgültigkeit.

Wie in jeder "Down these mean streets a man must go"-Story gibt es auch bei Frank Miller immer eine Tendenz zum Komischen. Weil die Moral so bedingungslos ist, so prämodern, dass sie kein Fünkchen Ironie zulassen kann. Die Akteure spielten im Blue-Screen-Verfahren vor leerem Hintergrund, der wurde erst im Computer dazuanimiert. Die Leere, die daraus in den Gesichtern entsteht, die Einsamkeit, die um diese Figuren ist, ist bestürzend.

Vertrauen ist das Element des Films. Das von Frank Miller hatte Rodriguez gewonnen, indem er ihm in ein paar Stunden eine erste Episode hinzauberte - sie eröffnet den Film, ein Mann und eine Frau über den Dächern von Sin City, die innerhalb weniger Sekunden die Millersche Dialektik von Glück und Erfüllung und Tod durchspielen. Gleichsam en passant bei den Dreharbeiten hat Rodriguez dann seinen Freund Tarantino mit der Digitalarbeit vertraut gemacht - und Tarantino hat sich revanchiert, indem er eine kleine Szene drehte. Kein komplizierter Job, sondern eine kleine Übung in der einzigen Mission des Kinos - dem Tod bei der Arbeit zusehen.

(SZ vom 11.8.2005)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: