Neu im Kino "Der Manchurian Kandidat":Die totale Erinnerung

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Jonathan Demmes Version des "Manchurian Candidate" ist Science Fiction, die nichts mit der Gegenwart zu tun hat. Also ist es völlig egal, ob sich Meryl Streep dafür von Condoleezza Rice hat inspirieren lassen; und auch, ob ihr Hillary-Clinton-Look uns irgendetwas sagen soll.

Von Susan Vahabzadeh

Manchmal geht es im Kino ja weniger darum, ob die Filmemacher gute Arbeit geleistet haben, das Timing ist wichtiger.

Raymond Shaw (Liev Schreiber): "You are to become the first privately owned vice President of the United States" (Foto: Foto: ddp)

Als Jonathan Demme, mit einem Regie-Oscar für "Schweigen der Lämmer" ausgezeichnet, sich entschied, Richard Condons Roman und John Frankenheimers Film "The Manchurian Candidate" neu zu verfilmen, hatte George W. Bushs erste Amtszeit gerade erst begonnen.

In den USA ist der Film dann pünktlich zur heißen Wahlkampf-Phase 2004 ins Kino gekommen; bei uns aber hat er es erst in der Woche danach geschafft.

Ist das perfektes Timing für eine Geschichte über Manipulation durch Großkonzerne in der amerikanischen Politik? Oder will die nun, im kerrystützenden alten Europa, keiner mehr hören?

Die Vereinigten Staaten haben gerade den teuersten Wahlkampf ihrer Geschichte erlebt, dahinter stehen selbstverständlich nicht nur politisch interessierte altruistische Einzel-Spender; und den Ausdruck "corporate terrorism" gibt es auch schon länger.

Öl in die Verschwörungs-Wunden

Der Film schüttet sozusagen Öl in die Wunden - es geht um einen High-Tech-Konzern, der sich einen Vizepräsidenten kauft. "You are to become the first privately owned vice President of the United States", wird dem ferngesteuerten Polit-Shootingstar Shaw sein Schicksal erläutert in Demmes Film.

Demmes Version des "Manchurian Candidate", im Deutschen schlicht als "Manchurian Kandidat" übersetzt, ist Science Fiction, die auch heute spielen könnte.

Es geht um implantierte Erinnerungen, was zu "Blade Runner"-Zeiten noch wahre Zukunftsmusik war, heute aber Gegenstand neurologischer Forschung ist.

Denzel Washington spielt Ben Marco, nach außen ein heldenhafter Militärmann, innen ein Häufchen Elend. Bei seinen Auftritten vor jungen Soldaten kann er vom Golfkrieg erzählen, davon, wie Raymond Shaw (Liev Schreiber) seine Einheit gerettet hat.

Aber im Schlaf, wenn er sich selbst nicht unter Kontrolle hat, wird er von Alpträumen geplagt. Marco hält das für ein Trauma, für geistige Verwirrung, bis er dahinter kommt, dass er nicht der einzige aus der Einheit ist, der nicht im Reinen ist mit den Dingen, die damals passiert sind.

Einer malt Bilder, die Ben Marco an die unverständlichen Dinge in seinem Kopf erinnern, und kommt dann unter mysteriösen Umständen ums Leben. Und als er Raymond aufsucht, den Helden, der gerade für das Amt des Vizepräsidenten kandidiert, geht es dem ähnlich: Raymond ist sich bewusst, dass irgendwas nicht mit ihm stimmt, aber er weiß nicht, was es ist.

Seine eiskalte Mama, eine Paraderolle für Meryl Streep, steckt dahinter - sie hat sich kaufen lassen und erlaubt, dass man ihren Sohn zum Roboter degradiert mit Hilfe eines Computerchips. Der Vizepräsident Shaw und sein Attentäter Ben sollen das Weiße Haus erobern.

Ben Marco kommt, mit Hilfe des Wissenschaftlers Delp - den spielt Bruno Ganz als trauriges Genie - dahinter, worum es geht: Der Großkonzern Manchurian reißt gerade die Weltherrschaft an sich, sozusagen als Nebenprodukt der Alzheimerforschung.

Die Mutter und der Konzern verbreiten eine Eiseskälte, die Demme immer wieder in den Bildern sich spiegeln lässt - weiße Wände, Symmetrie in den Raum, die so übersichtlich und durchkalkuliert gestaltet sind wie Manchurian die Menschen gern hätte ...

Pinocchio for President

Als Frankenheimer den Stoff 1962 verfilmte, mit Frank Sinatra als Ben Marco, ist eine Geschichte vom Kalten Krieg, von der Kommunismus-Paranoia dabei herausgekommen - "Botschafter der Angst" hieß der Film bei uns.

Jonathan Demme hat nun eine Parabel über tagtägliche Manipulation daraus gemacht - nichts anderes tut die Bilderflut Tag für Tag, als uns Wünsche zu implantieren, die wir gar nicht haben, Ängste, die uns lähmen, Träume, die wir nicht brauchen.

Vielleicht wird man sich leichter tun mit diesem Film, wenn die aktuellen Bezüge wegfallen. Es ist egal, ob was dran ist an der Behauptung, Streep habe sich von Condoleezza Rice inspirieren lassen; und auch ob der Hillary-Clinton-Look uns irgendetwas sagen soll.

Die Frisur sieht nach Hillary aus, aber bei der Frequenz, mit der die Frau einen neuen Haarschnitt präsentiert hat, wäre es fast schwierig, nicht nach ihr auszusehen.

Es geht im Kern um andere Dinge als die Rekapitulation amerikanischer Politik der letzten Jahre oder gar Jahrzehnte. Beispielsweise um die Frage, was eine Erinnerung ist. "Ich erinnere mich, dass es passiert ist", sagt Shaw, "aber ich erinnere mich nicht."

Erinnern ist mehr, als die Eckdaten dessen angeben zu können, was einem widerfahren ist. Ein Teil der Erinnerung ist subjektive Empfindung, so wie ein altes Musikstück einen Gefühlsstrom freisetzt und nicht nur ein paar Daten und Bilder.

Mehr als ein steuerbarer chemischer Prozess

Es sind die Emotionen, die der Manchurian-Chip nicht hat faken können, die Shaw und Marco auf die Idee bringen, das irgendetwas nicht stimmt mit ihnen.

Demme hat auch eine Geschichte erzählen wollen davon, dass Menschen mehr sind als ein steuerbarer chemischer Prozess - Ben Marco und Raymond Shaw begehren auf, etwas in ihnen ist unzerstörbar.

Einmal sitzen Eleanor Shaw und ihr willenloser Sohn zusammen im Bad und sie bemuttert ihn wie eine Puppe; da spürt man, dass Raymond Shaw ein naher Verwandter ist von Pinocchio, von Stanley Kubricks kleinem Roboterkind aus "A. I." - ein künstlicher kleiner Junge, in dessen tiefstem Inneren vor allem ein Wunsch, der menschlichste von allen, die Macht hat über alle anderen Gedanken. Er möchte geliebt werden.

THE MANCHURIAN CANDIDATE, Regie: Jonathan Demme. Buch: Daniel Pyne und Dean Georgaris, basierend auf dem Drehbuch von George Axelrod und dem Roman von Richard Condon. Kamera: Tak Fujimoto. Mit: Denzel Washington, Meryl Streep, Liev Schreiber, Jon Voight, Kimberly Elise, Jeffrey Wright, Ted Levine, Bruno Ganz. Verleih: UIP, 130 Minuten.

© SZ vom 12.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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