Süddeutsche Zeitung

Neu im Kino: "Der Krieg des Charlie Wilson":Wenn man einen weißen Anzug trägt

Politik kann so komisch sein: Tom Hanks spielt den unmoralischen Partylöwen und Kongressabgeordneten Charlie Wilson, dessen lockere Freizeitgestaltung so faszinierend war, dass kein Mensch merkte, was er während der Arbeitszeit trieb.

Susan Vahabzadeh

Die Geschichte beginnt mit einem politischen Selbstmordversuch: Charlie Wilson (Tom Hanks), Kongressabgeordneter aus dem texanischen bible belt, liegt in Gesellschaft verschiedener Damen in einem Whirlpool in Las Vegas, präsentiert seinen nackten Hintern und erzählt jedem, der fragt, wer er ist. Die Story kommt raus, aber Wilsons Ruf in Washington ist nicht mehr zu ruinieren. Gelassen diktiert er seiner Sekretärin also als Stellungnahme: "Der Abgeordnete lehnt einen Aufenthalt in einer Entzugsklinik ab, weil es dort keinen Alkohol gibt." Man muss diesen Kerl lieben, lange bevor er auszieht, die Welt zu retten.

Mit seiner kleinen Eskapade hat Charlie Wilson genaugenommen den Kalten Krieg beendet. Der Abgeordnete, den es tatsächlich gegeben hat, saß in jenem Ausschuss, der die geheimen Gelder für die afghanischen Rebellen nach der sowjetischen Besatzung besorgte. Dass er aus einer mickrigen Million ruckzuck eine Milliarde zauberte, die Sowjets eine bittere Niederlage erlitten, was Glasnost ermöglichte und in weiten Teilen den Zustand, in dem sich der Nahen Osten heute befindet, und das alles unbemerkt - das lag unter anderem daran, dass man in Washington von Wilsons lockerer Freizeitgestaltung so fasziniert war, dass kein Mensch merkte, was er eigentlich während seiner Arbeitszeit trieb.

In Mike Nichols' Film "Der Krieg des Charlie Wilson" sitzt er jedenfalls fröhlich mit seinen Verbündeten, einem unterdrückten CIA-Mann namens Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman) und der texanischen Millionärin Joanne Herring (Julia Roberts) zusammen und amüsiert sich darüber, wie sie mit dem Mossad und der pakistanischen Regierung einen Spitzendeal ausgehandelt haben, während alle sich fragen, ob er, als die Stripperinnen im Pool ihm Koks unter die Nase hielten, ein- oder ausgeatmet hat. Alles, was Bill Clinton je abgeliefert hat, ist dagegen kindergeburtstagstauglich.

Halb lüstern, halb bibelfest

Eine Millionärin, halb lüstern, halb bibelfest, ein wegen falschen Stammbaums und fehlender Kinderstube nicht auf den Posten, für den er qualifiziert wäre, vorgelassener Agent und ein berüchtigter Kongressplayboy besiegen die Sowjets: Das klingt so verwegen, dass man erst einmal glaubt, die Geschichte müsste von vorn bis hinten erfunden sein; oder sei doch wenigstens von der trockenen Abgeordneten-Story zur Komödie aufgepeppt worden. Ist sie aber nicht.

Der verstorbene Journalist George Crile, ein preisgekrönter "60 Minutes"-Reporter, der Charlie Wilson damals kennengelernt und sogar in Afghanistan getroffen hatte, hat sie aufgeschrieben, die Whirlpool-Story inklusive. Nichols wird solche Probleme mit der Glaubwürdigkeit nicht gehabt haben - zu den Washingtoner Zeitzeugen, die Crile in seinem Buch zitiert, gehört Nichols' Ehefrau, die Fernsehjournalistin Diane Sawyer.

Nichols' Film ist in den USA mit begeisterten Kritiken aufgenommen worden, als er vor Weihnachten in die Kinos kam, hat bei den Golden Globes gewonnen; und besonders das Lob, besser zu sein als all das Politkino, das derzeit aus Hollywood kommt, hat er verdient. Weil er davon ausgeht, das die Realität jeder Satire spottet, weil er sich nicht in lahmer Leitartikelei verzettelt, nicht darauf rumreitet, dass Lüstlinge gute Politiker sein können, weil er nicht von einer besseren Welt träumt, sondern knochentrocken auseinandernimmt, was mit der nicht in Ordnung ist, die wir haben.

Was dabei herauskommt, ist einerseits eine sehr witzige Geschichte, die eigentlich nicht komisch ist - immer wieder lässt Nichols ganz schreckliche Bilder aufblitzen von den Gräueln in Afghanistan, Leichen, verstümmelte Kinder, Hungernde im Flüchtlingscamp. Nicht nur der Abgeordnete Charlie Wilson war real, sondern auch die Toten und der Krieg.

Die Grundidee dieser Story ist es, einmal durchzuspielen, was ist, wenn einer hingeht und hemdsärmelig und rechtschaffen Demokratieexport betreibt. Wilson will wirklich helfen. Er wird daran scheitern, dass keiner der anderen so ist wie er. In der Episode der Nahostpolitik, für die sich Nichols hier entschieden hat, geht es darum, wie man vorgibt, Idealen zu folgen, und dann doch nur machtpolitisch die eigene Postionierung im Auge hatte, wie man Rebellen bewaffnet und sie anschließend Fanatikern in die Arme treibt.

Das mag es gewesen sein, was Nichols so fasziniert hat an Wilson: ein Hedonist, unmoralischer Partylöwe, der in aller Unschuld seinen Gelüsten folgt und sich mit genau derselben Haltung auf das Afghanistan-Thema stürzt. Alle anderen haben sich nur in Positur geworfen, statt wirklich etwas zu wollen. Wie Wilson es formulieren würde: Wir haben uns gut geschlagen und dann das Finale versaut.

Die Sünden Roms

Man möchte Nichols und seinem Drehbuchautor den ganzen Credit dafür geben, wie nachvollziehbar und schillernd sie diese Geschichte erzählen, doch auch die Dramaturgie dieses Irrsinns ist von Criles Buch schon vorgegeben - ein Wälzer, mit an Besessenheit grenzender Akribie recherchiert, der erst mal ordentlich zusammengekürzt werden musste. Crile hat da viel Vorarbeit geleistet - der Las-Vegas-Trip führte Wilson ins damals neu eröffnete Caesar's Palace.

"Es war der erste große Hotelkomplex, der von einer untergegangenen Kultur inspiriert war", schreibt er. "Seine Gründer hatten die Genialität gehabt, zu erkennen, dass die Sünden Roms wesentlich verlockender schienen als jedes zeitgenössische Angebot." Genau der Ort für einen im weißen Smoking und Cowboystiefeln.

Die Besetzung aber ist ein Kunststück, mit dem Crile nichts zu tun hatte: Für die drei großen Rollen wurden drei Stars schön gegen den Strich gebürstet - Tom Hanks als schlüpfriger Lebemann, Julia Roberts als in Botox konservierte Millionärin und Philip Seymour Hoffman als prolliger CIA-Wadenbeißer - da muss man erst mal drauf kommen. Hanks ist brillant - vielleicht weil er selbst einem Playboy mit Mossad-Kontakten noch eine solch unverdorbene Aufrichtigkeit mit auf den Weg gibt, dass eine ganz liebenswerte Figur daraus wird.

Vor allem aber sind es die bösen kleinen Beobachtungen am Rande, die Nichols' Film weit über eine Komödie hinausweisen lassen. Zum Beispiel wenn diese politische Zirkustruppe mit einem konservativen Kongress-Kollegen im Schlepptau in Kabul aufkreuzt, und er sich von der tollen Sache überzeugen lässt - ins Gebrüll der sich formierenden Gotteskrieger einstimmt. Willkommen im selbstgemachten Dschihad.

CHARLIE WILSON'S WAR, USA 2007 - Regie: Mike Nichols. Buch: Aaron Sorkin. Nach dem Buch von George Crile. Kamera: Stephen Goldblatt. Schnitt. John Bloom, Antonia Van Drimmelen. Mit: Tom Hanks, Philip Seymour Hoffman, Julia Roberts, Amy Adams, Ned Beatty. Universal, 96 Minuten

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SZ vom 6.2.2008/rus
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