Neu im Kino:Das Auge der Sonne

Danny Boyles Science-Fiction-Trip "Sunshine" ist wie ein Drogenkick: halb Selbstzerstörung, halb Erleuchtung. Der Zuschauer nimmt Teil an unglaublichen Grenzüberscheitungen im Weltraum.

Rainer Gansera

Aus Federn und Wachs bastelt Vater Daidalos die Flügel, mit denen Ikaros dem Gefängnis entkommen kann. Der jugendliche Held des antiken Mythos schwingt sich in die Lüfte und vergisst sogleich die Warnung des Vaters: die Flugbahn weder zu hoch noch zu niedrig zu ziehen. Im Taumel der Flug-Ekstase überschätzt sich Ikaros, kommt der Sonne zu nahe und stürzt ab. Selbstüberschätzung, Grenzüberschreitung, Hybris - das war für die Griechen die Ursünde der Erdgeborenen.

sunshine film danny boyle

Szene aus "Sunshine" von David Boyle.

(Foto: Foto: dpa)

Mission "Icarus II" - Hybris oder Rettung?

Von Grenzüberschreitungen, die in Katastrophen enden, hat der britische Regisseur Danny Boyle, Jahrgang 1956, immer wieder erzählt: in "Trainspotting", 1995, wo er die Drogen-Szene Edinburghs als nihilistische Hölle zeichnete, oder im postapokalyptischen Horror-Szenario von "28 Days Later", 2002. In seinem bildgewaltigen Science-Fiction-Thriller "Sunshine" schickt er nun ein Raumschiff direkt in die Sonne. "Icarus II" heißt die Mission, die als ultimativer Akt menschlicher Hybris erscheint, aber der Rettung der Menschheit dienen soll.

Denn in fünfzig Jahren, das prognostiziert die Wisenschaft, beginnt die Sonne zu sterben. Der Grund dafür bleibt rätselhaft, aber die Strahlkraft unseres Zentralgestirns lässt merklich nach, und die Erde versinkt in einem verheerenden Dauerwinter. Eine erste Rettungsaktion, "Icarus I", ist fehlgeschlagen, nun ist im Jahre 2057 eine internationale Elite-Crew von acht Wissenschaftlern und Astronauten im All unterwegs, um im Herzen der Sonne eine gigantische Sprengladung zu zünden und derart den Sonnenwagen des Helios wieder ordentlich in Gang zu bringen.

Danny Boyle geht es nicht um Space-Action à la "Armageddon", sondern um eine Art Bildermeditation und Kammerspiel - um die Faszination eines visionären Trips und die Dramen der menschlichen Unzulänglichkeiten. Raffiniert setzt er die Kontraste zwischen der Weite des Alls, dem spektakulären Schauspiel des Sonnenballs und - überblendend auf die Iris eines Auges - der klaustrophobischen Enge im Raumschiff.

Wie ein Drogenkick: halb Selbstzerstörung, halb Erleuchtung

Zu Beginn nimmt ein Astronaut am Frontfenster des Raumschiffs ein Sonnenbad. An der dunklen Brille, die seine Augen schützt, kann er die Filtergrade verstellen. Die sanfte Stimme des Bordcomputers flüstert ihm Grenzwerte zu, die er dann doch minimal überschreitet, womit er sich eine Art Sonnenflash verschafft. Boyle legt Wert darauf, dass dieser Flash wie ein Drogenkick ist: halb Selbstzerstörung, halb Erleuchtung. Das ist die für Boyle typische Geste der Grenzüberschreitung, die der Film in immer neuen Varianten durchspielt.

Die Crew wird bei ihrer gefährlichen Mission immer weiter dezimiert, so verlangen es die Regeln des Genres, und wenn der Streit im Cockpit zu sehr eskaliert, steckt man die Kampfhähne in den "Earth Room": dort sorgen Videosimulationen von Meereswellen und grünen, hügeligen Wiesen für Beruhigung. Reminiszenzen an Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey", 1968, und Andrej Tarkowskis "Solaris", 1972, machen deutlich, dass "Sunshine" weder in der Figurenzeichnung noch in der atmosphärischen Dichte an diese Vorbilder heran reicht. Boyle gelingen dann die stärksten Momente, wenn er den gewaltig-schönen Bildern aus dem Weltall die intime Schönheit seiner Porträtaufnahmen gegenüber stellt. Das menschliche Gesicht ist ihm - bei allen Wirrnissen und Verzerrungen - die heimatliche Landschaft, nach der sich der Film sehnt.

"Sunshine" präsentiert ein merkwürdiges Paradox. Einerseits soll das fragile irdische Leben, das (wie der Flug des Ikaros) nur in einem schmalen Spektrum zwischen Hitze und Kälte möglich ist, gerettet werden, aber der Akt der Rettung trägt alle Anzeichen jener Hybris, mit der die Menschheit derzeit ihre Lebensgrundlagen gefährdet. Ein Paradox, das als Signum der Zeit gelesen werden kann.

SUNSHINE, GB 2007 - Regie: Danny Boyle. Buch: Alex Garland. Kamera: Alwin Küchler. Musik: John Murphy, Underworld. Schnitt: Chris Gill. Produktionsdesign: Mark Tildesly. Mit: Cillian Murphy, Rose Byrne, Cliff Curtis, Chris Evans, Troy Garity, Hiroyuki Sanada, Benedict Wong, Michelle Yeoh. Twentieth Century Fox, 108 Minuten.

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