Neu auf CD:Klassikkolumne

Ganz "große Maschine": Die Viola da Spalla klingt in Sergey Malovs eleganter Interpretation von Bachs Suiten heiser wie ein Cello. Und endlich ist nun das dreiteilige Album mit Musik des Barockkomponisten Luigi Rossi erschienen. Zauberhaft!

Von Reinhard J. Brembeck

Reisen ist unbequem. Das Warten in Flughäfen und Bahnhöfen, das Lotteriespiel mit Gastronomie und durchgelegen Betten, die Abhängigkeit von willkürlich geänderten Öffnungszeiten: alles kein Vergnügen. Um wie viel schöner ist das Leben desjenigen, der sich mit einer Handvoll CDs zurückzieht und dabei nicht nur Reisen durch die Geografie und die Zeit zu unbekannten Kunstwerken machen darf. Was folgt, ist das Tagebuch einer Hörreise, die nach Köthen, Indien, Rom und England geführt hat. Wenn die Auswahl willkürlich erscheint, so eint all die porträtierten Komponisten - Bach, Shankar, Sorabji, Rossi - der hemmungslose Hang zur Virtuosität.

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"Violoncello, die Bassa di Viola und Viola di Spala sind kleine Baß-Geigen, in Vergleichung der größeren mit 5, auch wohl mit 6 Saiten, worauf man leichtere Arbeit als auf den großen Maschinen allerhand geschwinde Sachen, Variationes und Manieren machen kan", schreibt 1732 der Lexikograf Johann Gottfried Walther. Viola da Spalla? Das ist eine überdimensionierte Bratsche, die am Band um den Hals hängt und auf der Schulter (spalla) liegt. Der heisere Klang ähnelt dem Cello. Einige Musiker und Forscher glauben, dass Johann Sebastian Bach seine sechs heute üblicherweise auf dem Cello gespielten Suiten, von denen es kein Autograf gibt, für die Viola da spalla geschrieben hat. Sigiswald Kuijken hat diese These durch Konzerte und Aufnahmen populär gemacht. Der Petersburger Geiger Sergey Malov geht in seiner Aufnahme (Solo Musica/Sony) weit über Kuijken hinaus. Seine Viola da Spalla klingt heiser bassig wie ein Cello, er spielt jedoch sehr viel schneller und eleganter als seine Cellokollegen, die nie ganz die Anstrengung verbergen können, auf ihren "großen Maschinen" diese Musik zum Tanzen zu bringen. Malov lässt alle Wiederholungen weg, so passt diese Musik auf eine CD, die durch und durch grandios ist.

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Virtuos konnte auch Ravi Shankar sein, der Großmeister der Ost-West-Fusion und der Sitar, der indischen Langhalslaute mit dem Banjosound. Zu seinem 100. Geburtstag hat Warner Classics eine Fünf-CD-Box herausgebracht. Sie macht klar, warum die Beatles Shankar zu einem Musikgötzen stilisierten und Klassikmusiker wie Yehudi Menuhin, Jean-Pierre Rampal und Zubin Mehta unbedingt mit ihm musizieren wollten. Sie zeigt jedoch auch, dass Fusion zwar seichter Blödsinn ist, aber nicht bei Shankar. Ganz egal ob indische Ragas, im Zusammenspiel mit Menuhin oder in seinen Sitar-Konzerten: Immer ist Shankar die Seele der Musik. Der Mann wäre auch auf der Maultrommel ein Weltstar geworden.

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"Visitors Unwelcome" stand am Haus des britischen Komponisten Kaikhosru Shapurji Sorabji (1892-1988). Das gilt auch für seine Musik, meist für Klavier solo, für sein berühmtestes Stück "Opus clavicembalisticum" mit vier Stunden Dauer genauso wie für die achteinhalbstündige "Sequentia cyclica", 27 Variationen über das "Dies irae", die Jonathan Powell auf sieben CDs eingespielt hat (Piano Classics). Der öffentlichkeitsscheue, asketisch vom Vermögen seines aus Bombay stammenden Parsi-Vaters lebende schwule Komponist war ein Spätromantiker mit einer Vorliebe für strenge Formen, Tonalität und die Unendlichkeit. In dieser so meditativen wie rhythmisch klaren Musik kann man sich leicht verlieren und vor aller Unbill wegzutauchen.

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Wenn man, was schon bald wieder möglich sein sollte, mit dem Fahrrad in Rom vom Kapitol Richtung Piazza del popolo fährt, dann kommt man linker Hand gleich nach der Galleria Doria Pamphilj an einer Kirche vorbei, Santa Maria in via Lata, die von Touristen kaum besucht wird. Hier liegt nicht nur Bonapartes unglücklicher Bruder Giuseppe begraben, sondern auch der geniale Barockkomponist Luigi Rossi. Sein 1647 in Paris uraufgeführter "Orfeo" ist ein Geniestreich, er begründet die französische Oper. Berühmt ist Rossi für seine 300 Kantaten, eine virtuoser und besser als die andere. Christina Pluhar wollte mit ihrem Ensemble L'Arpeggiata und Rolando Villazón Anfang Mai den "Orfeo" von Claudio Monteverdi herausbringen, daraus wird wohl seuchenbedingt nichts. Als Trost hilft da jetzt Pluhars Drei-CD-Album mit der Musik Luigi Rossis (Erato). Vor allem die schon 2008 aufgenommenen, aber wegen eines Rechtestreits erst kürzlich veröffentlichten Titel mit der Sängerin Véronique Gens sind umwerfend und lassen jeden Hörer automatisch davon träumen, wieder mit dem Rad durch Rom fahren zu dürfen.

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