Netznachrichten:Grobkörniger Van Gogh

Van Goghs Interieurs und die leeren Landschaften, die Salvador Dalí gemalt hat, kann man jetzt besuchen. Die virtuellen Welten, die sich für die Nutzer von Oculus Rift oder Vive öffnen, haben nur einen Nachteil: Man wird seekrank.

Von Michael Moorstedt

Virtuelle Realität (VR) ist eine Technologie, auf der viele Hoffnungen liegen. Filmstudios, Videospielentwickler und nicht zuletzt die Pornoindustrie versprechen sich Quanten- und Umsatzsprünge von Brillen wie Oculus Rift oder HTC Vive. Mächtiger, eindringlicher, echter sollen die Medien und ihre Bilder werden. Bei all der Überwältigungsrhetorik bleibt, so könnte man meinen, kaum Platz für Leises und Durchdachtes.

Trotz allem haben die klobigen VR-Brillen schon längst auch Einzug in die Kunstwelt gehalten - und zwar sowohl als Mittel der Produktion als auch der Rezeption. Ein Besuch in van Goghs "Nachtcafé" oder Manets "Bar in den Folies-Bergère"? Kein Problem. Man muss einfach nur die entsprechende App herunterladen, das Smartphone in eine der zahlreichen VR-Brillen-Halterungen stecken, das Display vor die Augen halten und schon befindet man sich in den Fin-de-siècle-Kaschemmen.

Die Apps bieten aber nicht nur eine zweidimensionale Abbildung der berühmten Gemälde - sie werden zum begehbaren Raum. Man kann sich in van Goghs Bild frei zwischen dem Billardtisch und den Lampen mit den gelb-orangen Strahlenkreisen bewegen. Ein paar Qualitätsprobleme hat das junge Medium freilich immer noch: Die Auflösung ist grobkörnig, und auch gegen die bekannte VR-Krankheit haben die Entwickler kein Mittel gefunden. Nach ein paar Minuten im virtuellen Nachtcafé kann einem ähnlich übel werden wie nach einer durchzechten Nacht in eben jenem Etablissement.

Noch anstrengender wird es mit "Bosch VR", einem Programm, das seinen Nutzer anlässlich des 500. Todestags von Hieronymus Bosch in dessen "Garten der Lüste" katapultiert. Auf dem Rücken eines seiner Fisch-Vogel-Zwitterwesen fliegt man durch die Albtraum-Orgie, Verstörung garantiert. Gleiches gilt für die surrealen Landschaften von Salvador Dalí, die ebenfalls digital und dreidimensional nachgebaut wurden. Die Gemälde werden zu einer Art Kunst-Egoshooter, zu virtuellen Wunderkammern, in denen man sich schon mal verlieren kann.

Interessanter als solche Hommagen an Klassiker ist aber vielleicht, was zeitgenössische Künstler mit der Virtuellen Realität anstellen. Im frei begehbaren Raum der Virtuellen Realität werden Gemälde zu Skulpturen und auch das Bewegtbild ist viel mehr als die zwar beeindruckenden aber doch irgendwie statischen 360-Grad-Videos. Die New Yorker Künstlerin Rachel Rossin etwa hat im New Yorker New Museum ein VR-Werk, nun ja, ausgestellt, das Kritiker als "teils Dantes Inferno und teils heimgesuchter Flugsimulator" beschrieben haben. Der Betrachter wird zum Protagonisten und erlebt ein wildes Mosaik aus Markenlogos und Videospielreferenzen, Picassos "Guernica" und Klimts "Der Kuss" haben einen Auftritt, alles ist Zitat.

Und so bietet die Technologie nicht nur vollkommen neue Wege, Bilder zu konsumieren, sondern auch vollkommen neue Möglichkeiten, Bilder zu produzieren. Die Hard- und Softwareentwickler der Virtuellen Realität haben längst Programme entwickelt, gegen die Photoshop wirkt wie Höhlenmalerei.

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